Hamburg. Im Erzählungsband „Das Teemännchen“ macht sich der preisgekrönte Hamburger Schriftsteller über alle und alles lustig.
Der „dralle Braten“, das ist Anja. Anja hat schon in jungen Jahren, sie ist Mitte 20, eine Scheidung hinter sich. Sie war ihrem Marcel treu, obwohl sie „wirklich alle haben konnte“. Trotzdem lief es irgendwann nicht mehr. Und dann fängt Anja, das hübsche Mädchen von nebenan, im Borstelgrilleck an. Als Bäckerin, in ihrem erlernten Beruf, konnte sie nicht mehr arbeiten. Mehlstaubunverträglichkeit. Also rein in den Grill, ab an die Frittierfront, die Schaschlik- und Grillhähnchenfreunde verwöhnen. Besonders mit dem eigenen Anblick („Sie war so jung. Das Wichtigste an ihr.“). Nach einigen Jahren im Reich des Frittenfetts und Bulettenmiefs, sie bleibt natürlich im Imbiss, wo soll sie sonst hin, wird sie sehr hässlich sein.
So hässlich, dass der einst noch genauso wie alle anderen ihrem Knackkörper hinterhersabbernde Chef sie nach hinten verbannt, weg vom Tresen. Anja darf jetzt nur noch mit Rücken zur Kundschaft Jägerschnitzel braten. Dann muss sie sogar in den Keller. Kartoffelsalat anrühren. Da sieht sie wirklich keiner mehr: „Sie weiß nicht, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt, sie beobachtet jeden Tag im Spiegel, wie ihr Körper, nachdem er zunächst dicker und breiter wurde, nun den umgekehrten Weg nimmt und allmählich verschrumpelt. Wie ein Regenwurm, der beim Überqueren der glühend heißen Straße vertrocknet.“
Das Ende von Anja. Eine Elegie des Elends. Die Vergänglichkeit des Menschen, dargestellt von Heinz Strunk, dem sehr, sehr großartigen Hamburger Schriftsteller, der nur noch im Nebenberuf Musiker und Bühnenkomiker ist. Strunks neuer Erzählungsband heißt „Das Teemännchen“ und ist formal sogar noch unter der Erzählung angesiedelt, oder besser gesagt über. Die Literatur ist mitunter noch pointierter, klarer, wahrhaftiger, wirkungsvoller: Nämlich dann, wenn die Erzählung eigentlich viel eher eine Prosaminiatur ist und manchmal nur anderthalb Seiten, bisweilen sogar nur ein paar dürre Zeilen lang. Das erzählerische Strunk-Prinzip, das das Leben als ewiges Jammertal zeigt und trübe Lebenswelten in Humor badet, funktioniert im textlichen Schlaglicht, das zügig weiterwandert zum nächsten Schlachtfeld des Scheiterns, ganz prima.
Ja, Humor: Der läuft auf einer Spur des Strunksounds immer mit. Weil existenzielle Themen – das Vergehen, das Sterben, das Altwerden, der Misserfolg, besonders der sexuelle – bei Strunk, dem Träger des Wilhelm-Raabe-Literaturpreises 2016, auf derart groteske Weise überdreht werden, dass einem nichts bleibt als zu lachen. Allerdings sollte niemand den tiefen Ernst in diesen Vignetten des Vulgären („Marcel kann das Wichsen nicht lassen“) übersehen. Er ist es, der die Strunkprosa nie zu purem Klamauk macht.
Finale Genuss-Aktivitäten
Im „Teemännchen“ labt man sich als Leser, sofern man dem mit einem Mindestmaß an Aufgeschlossenheit gegenübersteht, am Totalnegativismus der Betrachtung. In den Rentnerparadiesen, im Kurztext „Der Strand der Versehrten“ heißt es zufälligerweise Usedom, könnte man verdiente Rückzugsorte sehen, in dem letzte Lebensenergien in finale Genuss-Aktivitäten gelegt werden. Nicht so der Schamane der dunklen Seite. Strunk sieht eine „wirklich erstaunliche Anhäufung von Haltungsschäden, Deformationen, sichtbaren Rheuma-, Gicht- und Diabetes-Folgen, missglückten Knie- und Hüft-OPs“.
Die Alten liegen in der Sonne rum, sie fressen und sie schmatzen, und nach dem Essen „bleiben sie noch eine Weile in ihre Stühle eingesunken sitzen und starren benommen vor sich hin“. Es folgt der knallhärteste und gemeinste und unverschämteste, der glorreichste Satz des gesamten Buches: „Sie haben das Stadium des sturen Weiterlebens erreicht.“
Satirische Zuspitzung
Die nicht nur satirische Zuspitzung ist des Meisters Spezialität, und deswegen gibt es auch die auf „der anderen Seite des Schützengrabens“ im Generationenkrieg: Yogakurs, junge Menschen, das Gegenteil der Alten, der Abgelebten also. „Unendlich gedehnt, gesund, jung, schön, fröhlich, wissen, was sie wert sind, ohne den Schatten eines Zweifels, dass das Universum einzig für sie geschaffen ist“, schreibt Strunk, und von der Tendenz her hat er recht. Den in ihrer Selbstüberzeugung einfältigen Jungen gehört, biologisch gesehen, die Welt.
So viel Zukunft, so wenig Falten. Das Interesse an körperlichen Ausdünstungen, körperlichem Verfall und körperlicher Fitness, und, in den neuen Texten so konzentriert wie nie, an den schweinischen Ernährungssünden des noch Lifestyle-mäßig unerleuchtet durchs Büfett pflügenden Menschen zieht sich durch die Texte. Nicht alle halten sich auf dem Hochplateau der ausgefeilten Depressionsprosa, aber der strunksche Stilwille ist stets evident. Der Horror hat sich in diesen Erzählstücken kommod eingerichtet, er umweht zum Beispiel den Mann, der an ein Windrad gekettet ist, der in eine geradezu kafkaeske Situation gerät und sich mit einem Mal an einem der Rotorblätter wiederfindet. Eine Schauergeschichte, ein kräftiger Zug von Düsterromantik und böse Ironie: Die Geschichte heißt, Tatsache, „Über den Wolken“.
Im „Teemännchen“-Band – die extra-nihilistische Titelgeschichte handelt von einem verkrachten Existenzialisten, der einen Teeladen aufmacht, seinen Tee aber alleine austrinken muss, danach hört man nie mehr etwas von ihm – erleben wir den üblen Trip des Axl Rose auf dem Hamburger Berg. Wir begleiten ein Zockerpärchen („Alles, was einem zu ihnen einfällt, stimmt wahrscheinlich: Stotterschritt, Restharn, entzündetes Nierenbecken, Schließmuskellähmung“) auf ihrer Spielautomatentour durch die Autobahnraststätte.
Wir stürzen mit dem Ü-60-Jogger, der vom jungmännlichen Leistungsläufer aus der Bahn getreten wird, zu Boden. Wir sind im „Madhaus“, einer fürchterlichen Disco, in der Metal läuft und angeblich dennoch junge Frauen verkehren. Die Loser-Barkeeper füllen sie ab, dann nehmen sie die besoffenen Lämmlein mit nach Hause. Gruselig. Bei Heinz Strunk sind die Verlierer diesmal echte Monster, keine im Grunde ihres Herzens guten Kerle. „Das Teemännchen“ ist Strunks bislang schwärzestes Werk.