Hamburg. Achter Teil der Serie: Amelie Deuflhard hört gern starke Frauen. Ihr prägendes Musik-Live-Erlebnis verdankt sie Udo Jürgens.

Für unsere Serie „Der Soundtrack meines Lebens“ haben wir mit prominenten Hamburgern Musik gehört. Ihre erste selbst ­gekaufte Platte, Songs, die sie in ihrer ­Jugend begleitet haben, bisweilen auch ­Musik, die ihrem Leben eine ganz neue Richtung gab. Heute: Amelie Deufhard

Normalerweise ist die Schnittmenge zwischen Udo Jürgens und Bela Bartóks „Für Kinder“ geradezu minimal – im musikalischen Lebenslauf von Amelie Deuflhard sieht das anders aus. Da sind sie untrennbar verbunden. Als sie Mitte der 1960er so um die sieben Jahre jung war, waren die ungarisch angehauchten Klavierstückchen, selbst gespielt natürlich, das Größte für die kleine Amelie, weil die anderen Klavierschüler keine Musik aus dem 20. Jahrhundert spielen durften. Sie durfte. Das erste prägende Musik-live-Erlebnis, im selben Alter: Schlagergott Udo Jürgens, mit der Mutter, im heimischen und wohl auch heimeligen Stuttgart.

Begabt und ehrgeizig am Klavier

Jürgens besang damals 17-jährige Blondinen. Deuflhard, heute seit mehr als zehn Jahren Intendantin auf Kamp­nagel, passte schon als Kind ganz und gar nicht in dieses Schema: „Blond wollte ich nie sein, wirklich nie.“ In ihr Langzeitgedächtnis hat es gerade diese Barbie-Ballade wahrscheinlich eher aus anderen Gründen geschafft, denn sie hat das Lied bei einem Orchesterkaraoke-Abend im Berliner Theaterkombinat „Hebbel am Ufer“ vorgetragen, „aber mehr aus strategischen Gründen: Das will eh keiner singen, dann komme ich eher dran.“

Von ihrer Jugend war dieses Berlin weltenweit entfernt. Gutbürgerliches Elternhaus in einem Stuttgarter Vorort, der Vater Arzt, ein Bruder wurde ebenfalls Mediziner, der andere Jurist. Wenn Schülerparty, dann aber bitte im Kellerraum. Ansonsten galt: Hausmusik und Abos für Liederhalle und Schauspiel; Letzteres wurde von den Eltern empört gekündigt, als Claus Peymann das Ländle-Theater aufmischte. Und mittendrin in dieser Welt Amelie, begabt und ehrgeizig am Klavier, bis die Lehrerin von fünf Stunden Üben täglich für eine Profi-Karriere sprach. Geige spielte sie damals auch und so ziemlich jede Blockflöte, die sie in die Finger bekam. Lange her.

Irgendwann kam Nina Hagen

Wohl auch deswegen muss ­Deuflhard bei der Frage nach der ersten nun wirklich prägenden Platte nach ­einigem Grübeln passen. Als es losging mit ihr als Teenager und den Ton­trägern, machten neben Vinylplatten auch die riesigen Tonbandgeräte Kar­riere. „... diese Doppelalben von Pink Floyd­, The Who, den Beatles, den Stones …, aber welche wirklich die allererste war? Weiß ich nicht mehr.“

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Eines allerdings weiß sie noch: Die Debatte, ohne welche LP das Leben zwar halbwegs möglich, aber garantiert komplett sinnlos wäre, die wurde in der Schule härter von den Jungs geführt. Überhaupt, dieses Jungs-Ding damals, auch in der Musik. Stones, Dylan, Zappa? Alles Männer, die auch in der Musik das Sagen haben wollten. „Dann aber kam irgendwann Nina Hagen mit ihren ersten Stücken um die Ecke, mit ihrer Wut und ihrem Widerstand, und das fand ich megabeeindruckend“, erinnert sich Deuflhard.

Beatles oder Stones, die ewige Frage

Also steht „Unbeschreiblich weiblich“ auf ihrer ewigen Bestenliste. „Die Jungs fanden Nina Hagen auch total aufregend“, staunt sie heute noch beim Wiedersehen über YouTube. Total brutale Sprache war das damals, „sehr theatral, deswegen gefällt mir das wohl auch heute noch“. Es sollte nicht bei der einen starken Frau bleiben. Kate Bush („die war schon auch etwas crazy …“) mit „Running Up That Hill“ wird erwähnt. Durch eine Begegnung mit Yoko Ono 2013 auf Kampnagel verlängert sich die Heldinnenliste. „Ein richtiger Superstar, eine Ikone“ war das. „Im eigenen Haus. Yoko Ono bei uns auf der Bühne zu sehen, das war für mich total bewegend.“ Auch wenn es Menschen im Publikum gab, die ihr nach wie vor übelnahmen, die Beatles gesprengt zu haben.

Überhaupt: Beatles oder Stones, die ewige Frage? „Ich glaube, die Stones. Obwohl ich die Beatles auch immer noch cool finde.“ Auf dem Weg die eigene Nostalgiestraße herunter erwähnt sie auch ein weiteres Erinnerungsphänomen: Ihre LPs von damals sind offenbar im Laufe mehrerer Umzüge verschollen, während Deuflhard – vor Hamburg in Berlin – Kulturkarriere machte. Doch die Cover-Illustrationen, die haben sich ins Gedächtnis eingebrannt. Und noch etwas: „Popmusik spielte den ganzen gesellschaftlichen Entwicklungen damals in die Hände.“

Immer irgendwelches Geld verdient

Beim Stöbern in der Erinnerung kommt Deuflhard, als es noch mal um Udo Jürgens geht, übrigens spontan auf einen anderen Hit zurück: „,Griechischer Wein‘ find ich ja super“, sagt sie, „das war ein frühes Bekenntnis zur offenen Gesellschaft.“ 2014 erstatteten AfD-Politiker gegen die Intendantin Anzeige, wegen eines Kunstprojekts, das den Lampedusa-Flüchtlingen helfen sollte, über den Winter zu kommen. So viel also zum Thema gesellschaftliche Veränderungen.

Zur Person

Das Fundament der damaligen Plattensammlung war selbstfinanziert zusammengespart. „Ich war immer recht gut bei Kasse und hab immer irgendwelches Geld verdient“, erinnert sich Amelie Deuflhard­. „Auch im gut situierten schwäbischen Bürgertum waren die Eltern recht sparsam. Und weil ich schon in dem Alter kein Freund von Demutsgesten war, hab ich mir lieber etwas dazuverdient.“ Womit bekam man sie damals sofort auf jede Tanzfläche? „Stehblues zu ,Je t’aime‘, das fand ich ziemlich aufregend“, amüsiert sich Amelie Deuflhard.

Rumpelige Clubszene in Berlin

Kein Geschmackslebenslauf ohne „kleine Verfehlung“. Bei Deuflhard ist es eindeutig Chris de Burgh. Dessen „Spanish Train“ steht für die Zeit, in der sie während ihres Studiums in Montpellier einen Freund aus Nordirland hatte. So kam es dann auch, dass sie mit ihm und einer irischen Clique damals eher auf Irish Folk stand und weniger auf Chansons. „Und selbst als es vorbei war mit uns, hab ich Chris de Burgh aus Wehmut noch weiter gehört.“

Vier Kinder hat Deuflhard bekommen, in jenen Jahren ist sie musikalisch „etwas blank“, sagt sie. Es gab Wichtigeres. Wichtig und vielschichtig wurde es Mitte der 90er bei ihr, durch die damals noch rumpelige Clubszene in Berlin und das Gefühl, in jedem Kellerloch entwickelt sich womöglich gleich das nächste große Ding. Bleibende Erinnerung an diese unwiederbringbare Zeit ist die Musik der Einstürzenden Neubauten. Als sie die Chance bekam, den Ost-Berliner Palast der Republik künstlerisch mit Zwischennutzungen zu bespielen, rief Deuflhard bei Blixa Bargeld an.

Manche Dinge ändern sich nicht

Der war zwar gerade in China, sagte aber sofort zu. Deswegen also Wehmut und wohl auch Stolz aufs Gewagte der Neubauten-Song „Die Interimsliebenden“. Die Erwähnung von Brahms’ Deutschem Requiem hat indirekt damit zu tun, weil die Aufführung 2012 im Rohbau der Elbphilharmonie die Erinnerung an die Zeit wiederbelebte, und weil die von Jochen Sandig inszenierte Baustellen-Performance ein „wirklich gigantisches“ Konzert war.

Einer von Deuflhards Klassikern hat es auf erstaunliche Art und Weise in die Gegenwart geschafft. Pink Floyd, „Wish You Were Here“. Für Deuflhard ist dieser Song eine Erinnerungsdosis an diese Zeit, in der alle Übersetzungsversuche der englischen Texte anfertigten, um zu verstehen, worum es wohl gehen könnte. Und neulich erst habe sie, in ihrem Haus im Brandenburgischen, mit ihrer 30 Jahre alten Tochter zusammengesessen. Auf die Frage nach dem Song ihres Lebens antwortete die Tochter: Pink Floyd, „Wish You Were Here“. Hits kommen und gehen, aber manche Dinge ändern sich nicht.