Hamburg. Sechster Teil der Serie: Frank Engelbrecht, Pastor von St. Katharinen, liebt den Jazz, aber auch nigerianischen Rap.
Für unsere Serie „Der Soundtrack meines Lebens“ haben wir mit prominenten Hamburgern Musik gehört. Ihre erste selbst gekaufte Platte, Songs, die sie in ihrer Jugend begleitet haben, bisweilen auch Musik, die ihrem Leben eine ganz neue Richtung gab. Heute: Frank Engelbrecht
Der Pastor von St. Katharinen zieht sogar das Johannesevangelium in Zweifel. „Im Anfang war das Wort“, so beginnt Vers 1. Frank Engelbrecht aber sagt: „Am Anfang war die Musik.“ Doch, doch, meint er auf Nachfrage: „Das glaube ich auch. Das Wort lebt doch vom Klang der Stimme, die es spricht.“
Der Blick aus den großen Wohnzimmerfenstern seiner Wohnung direkt an der Hauptkirche geht hinüber auf die Speicherstadt, vor ihm auf dem Tisch türmen sich die Schallplatten. Und noch einmal rund 200 Scheiben drängeln sich zusätzlich im untersten Fach des Wandregals. Rock, Pop, Jazz, Klassik. „Von links nach rechts.“
Wir beginnen also am Anfang. Schon als Kind wurde der kleine Frank mit klassischer Musik quasi dauerberieselt. „Immer, wenn wir mit meinen Eltern nach Dänemark gefahren sind, hat mein Vater im Auto die Bachkantaten laufen lassen“, sagt er. Nicht unbedingt seine Lieblingsmucke, aber schlimm fand er es auch nicht. Rund 300 Kantaten soll Johann Sebastian Bach komponiert haben, von denen noch etwa 200 erhalten sind. „Wenn ich die heute höre, sehe ich mich immer noch im Auto auf dem Rücksitz auf der Fahrt mit meinen Eltern in den Urlaub.“
Auch davor war schon die Musik. Sein Großvater, ebenfalls Pastor, wäre gerne Pianist geworden. Frank Engelbrecht, seit 15 Jahren Pastor in der Hauptkirche St. Katharinen, hatte früh Klavierunterricht und sich dann das Gitarrespielen selbst beigebracht. Was er heute mit 54 Jahren wirklich vermisst? „Dass ich nie länger in einer Band Musik gemacht habe.“
Während seiner Studienzeit ist er einmal mit seinem amerikanischen Freund Rob nach Paris gefahren. Sie haben auf der Straße „Blowing In The Wind“ und „Heart Of Gold“ gespielt und 49 Franc, damals etwa zehn Mark, eingenommen. In Hamburg hatte er mal kurz eine Band, die hieß „Unterm Talar“, nach einem Song, den er geschrieben hatte. Heute spielt er noch Mundharmonika. „Die Blues Harp“. Manchmal auch live beim Open Stage nebenan im Klub.K., den sein Freund Markus Riemann betreibt.
Friedliches Miteinander
Mit 13 Jahren hat sich Frank musikalisch selbstständig gemacht. Beeinflusst durch den Freund seiner Schwester, kam er erstmals mit den Beatles in Berührung. „Meine erste Platte war auch das erste Studioalbum der Beatles: ,Please Please Me‘.“ Er zieht die Scheibe, die er 1976 in einem Plattenladen am Mühlenkamp „für vielleicht 12,90 Mark“ gekauft hat, aus dem Stapel. Es sei toll gewesen, endlich die erste eigene Schallplatte in den Händen zu halten. Ein bisschen enttäuscht war er trotzdem. In seiner Euphorie hatte er gar nicht auf die einzelnen Songs geschaut. „Erst in meinem Kinderzimmer merkte ich, dass Hits wie ,Let It Be‘, ,Hey Jude‘, ,Penny Lane‘ oder ,Get Back‘ gar nicht auf der Platte waren.“
Wir hören über seinen digitalen Plattenspieler mittels Umwandler „Love Me Do“. Den Song, der ihn damals am meisten begeisterte. Warum? Frank Engelbrecht mochte die Harmonien der Pilzköpfe und fand die Musik spannend. „Die Beatles haben einfach Spaß gemacht.“
Es folgten Songwriter. Neil Young, Crosby, Stills und Nash, Simon & Garfunkel, Don McLean. „Die letzte Strophe von seinem Hit ,American Pie‘ habe ich mit einem Edding auf meinen Tisch in der Klasse geschrieben.“ Engelbrecht gefiel diese Hippie-Atmosphäre. „Die langen Haare, Love and Peace, das lässige Lebensgefühl und die politischen Aussagen von einem friedlichen Miteinander auf der ganzen Welt.“
Begegnung mit Jazz hat ihn nie mehr losgelassen
Nach dem Abitur hat Frank Engelbrecht Theologie in Hamburg, London und Kopenhagen studiert. Die Musik hat ihn auf jeder Station begleitet. „In Hamburg war ich der DJ bei unseren Semesterfeiern in der Sedanstraße.“ Engelbrecht legt dazu eine Maxi-Single von T-Sky Valley auf: „Catch The Beat“. Es war die Zeit, in der Musik nicht mehr nur aussagekräftig sein musste, „sondern einfach Spaß machen durfte“. Funk und Soul. „Musik funktioniert auch, wenn sie nur für den Augenblick da ist.“ In London, wo er zwei Jahre lebte, entdeckte er durch Studienkollegen Musiker wie Lou Reed oder Aretha Franklin. Und eines Abends im berühmten Ronnie Scotts Jazz Club das James Taylor Quartett. Seine erste echte Begegnung mit dem Jazz. Er hat ihn nie mehr losgelassen.
In London fing Frank Engelbrecht auch an, eigene Songs zu schreiben. „Mit jedem Lied kann ich noch heute eine Geschichte verbinden. Einen Menschen, eine Begegnung, meine Gedanken. Das war mein Tagebuch.“ Als er 1997 Sunniva kennenlernte, hat er sie gleich nach Dänemark ins Haus seiner Eltern auf Møn entführt. „Was ich dort gerne aufgelegt habe: ,Eugene‘ von Pink Martini.“
Komplexität und tiefere Wahrheiten
Sunniva wurde seine Frau, mit der er drei Kinder hat. Die musikalische Suche aber ging weiter. Engelbrecht zieht die nächste Platte aus dem Stapel. „Gilberto & Jobim“. Wir hören „Samba De Uma Nota Só.“ Plötzlich sind ganz andere Harmonien und Rhythmen im Raum. Eine andere musikalische Kraft. „Diese Musik hat gleichzeitig Leichtigkeit und Tiefgang.“ Er spricht von „wunderbaren Miniaturen“. Was ihn daran vor allem reizt: „Das Einfache ist ganz schwer.“
Auch das sei wie im Leben. Ihn interessieren Komplexität und tiefere Wahrheiten. Beides findet der Pastor heute vor allem im Jazz. Für ihn ist es die Musikform, die am meisten Kraft hat, „in andere Stile rüberzureichen“. In Rock und Pop, Klassik und Kirchenmusik, Blues und atonale Musik. Regelmäßig finden in St. Katharinen Jazz-Gottesdienste statt. Engelbrecht zitiert Helge Schneider: „Ich liebe den Jazz, weil er eine Musik ist, zu der man nicht marschieren kann.“ Darum geht es ihm, musikalisch und im Leben: vielfältig bleiben, nicht den Gleichklang suchen. Sich auf Neues einlassen, auch wenn man es nicht gleich versteht. Sich öffnen, auch wenn man nicht weiß, was daraus wird.
Tom Waits darf nicht fehlen
Folgerichtig bleibt Frank Engelbrecht auf der Suche. Er spielt Nicola Conte an. Let Your Light Shine On. „Weltmusik, die verschiedene Stile verbindet und mich an meine Zeit in Israel erinnert.“ Neun Monate hat er 1994 in Jerusalem gelebt, um herauszufinden, welcher Weg für ihn der richtige ist. Natürlich darf auch Tom Waits nicht fehlen. Und „Imagine“ von John Lennon. Und „Halleluja“ von Leonard Cohen. „Das hat unsere Kinder- und Jugendkantorei mit Markus Riemann und Daniel Stickan auch zur Trauerfeier für meine Mutter im Sommer 2015 vorgetragen.“
Vor Kurzem hat Frank Engelbrecht einen Rapper entdeckt, „der gerade Nigeria aufmischt“. Er sucht auf seinem Handy. „Wie heißt der noch? Ach ja, hören Sie mal!“ Falz heißt der Sänger und „This Is Nigeria“ der Song, der die Gesellschaft anklagt, die sich wie selbstverständlich an Kriminalität und Korruption gewöhnt hat. Frank Engelbrecht ist auch auf der Suche nach einer anderen Musik, die in den Kirchen gespielt werden könnte. Er habe überhaupt nichts gegen die alten Lieder und Choräle, aber er will endlich auch „Gegenwartslieder“ in den Gotteshäusern. „Mit Tönen und Texten aus unserer Zeit.“ Diese Musik müsse jedoch erst noch geschrieben werden. „Die Zeit dafür ist reif.“
Schon jetzt öffnet Engelbrecht die Kirche regelmäßig für neue Töne. Mit Michy Reinke hat er die Lausch-Lounge in der Katharinenkirche ins Leben gerufen. Und im Herbst wird es eine Blues-Messe geben. „Der Ursprung liegt in der ehemaligen DDR, dort kamen vor dem Mauerfall bis zu 700 Menschen zu solchen Gottesdiensten. Das war sicher eine Keimzelle für die spätere Wende.“ Was ihn am Blues fasziniert? „Das Ursprüngliche, die Trauer, die Freude, die Kraft.“ Das Anprangern und das Jubeln, sagt Frank Engelbrecht, denn das sei für ihn auch Gottesdienst.