Hamburg. Serie „Der Soundtrack meines Lebens“. Teil fünf: Der Regisseur Antú Romero Nunes über Vorlieben und Abneigungen.
Für unsere Serie „Der Soundtrack meines Lebens“ haben wir mit prominenten Hamburgern Musik gehört. Ihre erste selbst gekaufte Platte, Songs, die sie in ihrer Jugend begleitet haben, bisweilen auch Musik, die ihrem Leben eine ganz neue Richtung gab. Heute: der Thalia-Regisseur Antú Romero Nunes
In der kleinen Schanzenwohnung thront eine Hammondorgel mit bunten Knöpfen, CD-Stapel türmen sich, allerlei betagtes Audio-Gerät steht herum. Thalia-Hausregisseur Antú Romero Nunes genießt die Gegenwart dieser Dinge, mit seinem Leben haben sie nur am Rande zu tun. Die Räume bewohnt eigentlich die Tochter des Allround-Künstlers Rocko Schamoni. Für Antú Romero Nunes ist es, vermittelt durch einen Schauspielerfreund, ein regelmäßiges Zuhause auf Zeit. Nunes ist ein typischer Theaternomade. Seine Habe ist bei Ex-Freundinnen und Freunden im Arbeitsdreieck Hamburg, Berlin, Wien verteilt.
Die Frage nach einer Plattensammlung erübrigt sich – der Erfolgsregisseur, 34 Jahre alt, ist ein Kind des Digitalen. Und ein Wanderer zwischen Welten. Der Sohn einer chilenischen Mutter und eines portugiesischen Vaters reist seit Kindertagen zwischen Deutschland und Chile hin und her. Zwei Leben in einem, mindestens. „Hier kann ich mich auf das Theater konzentrieren. In Chile begebe ich mich zu Leuten, die vom Theater nichts wissen.“
Zwei Welten
Die frühen musikalischen Erinnerungen sind jene an chilenische und spanische Kinder- und Revolutionslieder. An den Vater, einen Psychoanalytiker, der daheim in Tübingen, wo Nunes zur Welt kommt, dem Sohn vorsingt. Frühe Besuche in Chile. Sein Großvater spielt Piano und hat zwei Büsten, eine von Beethoven und eine von Chopin, dessen Nocturne No. 1 in B-Flat Minor Op. 9 jetzt erklingt. „Er war der Mann mit dem Klavier“, sagt Nunes über seinen Großvater. Mehr musikalische Vorfahren? Eine Großtante mit übel beleumundetem Lebenswandel, auf Schiffen tanzend mit Federboa um den Hals.
In der Tübinger Schule durfte Nunes alle zwei Jahre länger fernbleiben, um in die Heimat zu reisen. Er war einer von nur zwei Schülern mit nichtdeutschen Wurzeln, das Gymnasium traute man ihm zunächst nicht zu. Nunes saß in gediegenen Einfamilienhäusern, aß Vollkornbrot und hatte einen Freund, der Jean-Claude-Van-Damme-Filme sah. Wieder zwei Welten. Südamerika war sowieso anders.
Michael Jackson einer der größten Musiker
„Ich habe in Chile damals ein richtiges Leben gehabt“, sagt er. Die Musik dazu lieferte zum Beispiel Michael Jackson mit „The Way You Make Me Feel“. Das dazugehörige Musikvideo, in dem Michael Jackson eine Frau umtanzt, gefiel dem jungen Antú noch mehr. „Dieses vorwärts und rückwärts gleichzeitig, nicht entscheiden können, was man ist, trotzdem zu grooven, das passt zu mir. Auch wenn es nicht seine beste Platte ist.“ Nunes’ erstes Album war das bis heute klassische Michael-Jackson-Werk „Thriller“.
„Er ist einer der größten Musiker unserer Zeit. Würde man Popmusik ins Weltall schießen, würde man Michael Jackson mitnehmen. Da steckt alles drin“, sagt Nunes, „Er ist ein Peter Pan. Ich als Theatermensch weigere mich auch zu altern.“ Vielleicht, sagt Nunes, baut er eine Jackson-Bewegung in seine nächste Inszenierung „Orpheus“ zum Saisonstart im Thalia ein.
Shakira nur auf Spanisch zu ertragen
Von der Soulhitze Jacksons zu etwas ganz anderem. Zu zarten, innerlichen Klängen. Kinderstimmen im Dialog. Lady & Bird schuf mit „La Ballade of Lady & Bird“ ein todtrauriges Konzeptalbum über zwei Kinder, die Selbstmord begehen. Antú Romero Nunes lernte es 2003 kennen, als er mit „Geisterseher“ seine Diplominszenierung an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin inszenierte. Er hält kurz inne: „Das Album ist so rätselhaft nach so vielen Jahren.“ Auch in der „Odyssee“, mit der er in diesem Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen war, gehe es darum, das innere Kind zu töten. Es gibt einige Musiken, die Antú Romero Nunes immer wieder begegnet sind. Das sind in der Studienzeit in Berlin die Twin-Peaks-Filmmusiken von Angelo Badalamenti – und die Party-Hits von Radiohead wie „Creep“.
Andere Musik steht für das andere Leben, das in Chile. Chavela Vargas, „Las Simples Cosas“. Und, ganz wichtig: Chico Trujillo mit dem melancholischen „Loca“. Aber auch Gute-Laune-Pop, wie ihn Daddy Yankee und Luis Fonsi in „Despacito“ produzieren, Musik, die einfach Spaß macht. Natürlich hat auch Antú Nunes all die südamerikanischen Exportschlager gehört, Shakira sei nur auf Spanisch zu ertragen, findet er. „Das ist alles schrecklich, aber wenn man es mit Humor betrachtet, warum nicht?“ In Chile hat er Freunde, hört Metal und Rock, Hip-Hop. In den Gruppen, in denen er sich bewegt, seien „keine verweichlichten Bürgerjungs“.
Was wäre ein Leben ohne Musik?
Ein Lied, um einen frühen Verlust zu bewältigen, wurde Sinéad O’Connors von Prince geschriebene messerscharfe Ballade „Nothing Compares 2 U“. Es habe eine Frau in seinem Leben gegeben, über die Nunes viele Musiken auspacken könne. Nach fünf Jahren Beziehung verunfallte die Freundin tödlich. Es war die Zeit des ersten Karriereschubs, Nunes überforderte sich konsequent, arbeitete wie besessen, gleichzeitig war alles bedeutungslos. Ein Leben in einer Wolke. „Ich war woanders. Gar nicht hier.“ Von Chico Trujillo fällt ihm „Regresa“ ein. Ein Abschiedssong.
Antú Nunes springt im Erzählen gern, erinnert sich an das Tacheles in Berlin-Mitte, wo Chico Truchillo auftrat, mit dessen Tourmanager Antú Romero Nunes sich anfreundete. Nunes ist ein Übersprudelnder, ein Maniker, der wohlmeinende Intendantenratschläge („Mach doch mal weniger“) nicht gut beherzigen kann. „Ich bin gerne auf der Probebühne!“ Das Thalia sei eine Theaterfamilie. Gerade wird gemeinsam wild musiziert. Die Spielzeiteröffnung „Orpheus“ werde „eher ein Ballett“.
Es wird auf allen Ebenen gegen- und miteinander improvisiert. „Es geht mit Nietzsche darum, sich danach zu sehnen, mehr zu sehen. Füreinander da zu sein. Sich Fragen zu stellen“, sagt Nunes. Dinge, die ihn inzwischen auch in zwei Opernproduktionen beschäftigt haben. Von Wagner, dessen Ring er in den „Nibelungen“ am Thalia inszeniert hatte, erträgt er inzwischen nur noch „Siegfrieds Tod“. Wagner? „Der nervt einfach.“ Aber ob Klassik, Hip-Hop oder Elektro, was wäre ein Leben ohne Musik? „Mit hohlem Herzen in die leere Zeit schauen.“ Nichts für Antú Romero Nunes.