Hamburg. Die Matinee „Der Kanzler als Pianist“ widmete sich den musischen Neigungen Helmut Schmidts. Der hatte “eingeschränkte Möglichkeiten“.

Es war einmal ein Hochschulpräsident, der setzte sich mit Frau und Kindern in einen blauen VW Lupo und machte sich auf den Weg nach Hamburg-Langenhorn. Dort nämlich gedachte der Präsident, Elmar Lampson sein Name, die Schallplattensammlung einzusammeln, die Helmut Schmidt der Hochschule für Musik und Theater schenken wollte. Den Lamp­sons wurde die gesamte Gastfreundschaft des Ehepaars Schmidt zuteil, mit Obstkuchen, Rundgang durchs Haus und ausführlichem Gespräch über – fast – jeden einzelnen der Tonträger. Nur eins hatte niemand bedacht: 2500 Platten sind für einen Lupo geringfügig zu viel. Das kleine Auto bog sich förmlich durch, die Sache hatte ein mittelgroßes organisatorisches Nachspiel, bis die Platten glücklich im Archiv der Hochschule landeten.

Das ist rund elf Jahre her. Schmidt starb 2015. Am Sonntagmorgen hat die noch junge Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung ihr Veranstaltungsprogramm mit einer erstaunlich lebendigen Matinee eingeleitet. „Der Kanzler als Pianist“ im Forum der Musikhochschule war zu Ehren von Schmidts 99. Geburtstag gedacht. Der war zwar schon am 23. Dezember 2017, aber immerhin hat sich das Jahrhundert noch nicht gerundet.

Musik gesellschaftsrelevant

Wenn es um Schmidt geht, droht es in Hamburg ja immer gewaltig zu menscheln. Wie aber kommt man als Veranstalter von dieser zugegeben dankbaren Anekdote auf eine Fragestellung, die so gehaltvoll ist, dass sich das Publikum am Sonntagvormittag ins Schneegestöber begibt? Zunächst einmal, indem man Kultursenator Carsten Brosda bittet, ein Grußwort zu sprechen.

Der SPD-Mann stellte Musik und Politik dialektisch als Gegenpole hin. Aber Musik ist nicht nur Schönheit, Politik ist nicht nur Ratio; auch die Musik folgt Regeln, und in der Politik kommt man ohne Einfühlung, Nachfragen, Beharren nicht aus. Von diesem Ausgangspunkt knüpfte Brosda, gelehrt und amüsant wie stets, ein immer dichter werdendes Netz an Bezügen, bis er zu dem vordrang, was an der Synthese beider Sphären für Schmidt kennzeichnend gewesen sei: zu dessen Credo von der Kunst des Kompromisses als Bedingung für das Prinzip der Demokratie. Was gerade nichts von der Konnotation des faulen Kompromisses habe, sondern mit Verantwortung, mit Abwägen und der Geduld, die einem die kleinen Schritte des demokratischen Prozesses nun einmal abfordern.

Musik also war für Schmidt nicht eskapistische Entspannung, sondern sie fasste gleichsam sein staatsbürger­liches Selbstverständnis in Töne, sie war in seinen Augen konstitutiv für das Entstehen einer Gesellschaft.

Eingeschränkte Möglichkeiten am Klavier

Wie es nun um seine pianistischen Qualitäten bestellt war, darüber wird sich der nüchterne Schmidt keine Illusionen gemacht haben. Er selbst sprach von seinen „eingeschränkten musikalischen Möglichkeiten am Klavier“. Dennoch hat er mehrere Schallplatten aufgenommen. 1981 haben die beiden Pianisten Christoph Eschenbach und Justus Frantz mit ihm und dem London Symphony Orchestra Mozarts Konzert für drei Klaviere und Orchester KV 242 eingespielt. „Am meisten hat mich damals das Tempo überrascht, mit dem Eschenbach vom Flügel aus dirigierte. Ich war seinem Tempo technisch nur mit größter Mühe gewachsen“, erinnerte sich Schmidt noch kurz vor seinem Tod. Der gefürchtete Musikkritiker Joachim Kaiser fand für Schmidts Leistung seinerzeit immerhin wohlwollende Worte: „Der Kanzler bewältigt Mozarts Sechzehntel, er hat den Rhythmus verstanden und die Harmonie des Ganzen erfasst.“

Das anmutige, in seiner Leichtigkeit anrührende Werk war das Herzstück der Matinee. Die beiden Klavierprofessoren Hubert Rutkowski und Stepan Simonian sowie sieben Klavierstudenten der Hochschule teilten sich die Solopartien der drei Sätze, das Hochschulorchester spielte unter der Leitung von Simon Edelmann. Die trockene, helle Akustik schenkte den Musikern nichts, aber es war alles so fein gearbeitet und von gemeinsamem Atmen und einer allseitigen Aufmerksamkeit geprägt, als wollten die Beteiligten die hehren Eigenschaften, die die großen Denker der Musik zugeschrieben haben, klingend unter Beweis stellen.

Der Musikwissenschaftler Dieter Rexroth betonte im Podiumsgespräch die Wichtigkeit, die Schmidt der Musik im Erziehungswesen beigemessen hatte. Und nach der Geschichte mit dem Lupo hob Hochschulpräsident Lamp­son hervor, was für ihn an seinem Besuch in Langenhorn über den Tag hinauswies: Die Schmidts hätten sich der Übergabe der Plattensammlung mit derselben unbedingten Aufmerksamkeit gewidmet wie einer Staatsangelegenheit. „Das ist das Wesentliche an der Musik“, sagte Lampson, „die Fermate über der Gegenwart.“