Hamburg. Matthias Elwardt verlässt das Lichtspielhaus nach mehr als 28 Jahren. Ab 2019 verantworten die Söhne des Gründers das Programm.
Das Abaton-Kino im Grindelviertel ist 48 Jahre alt. 28 davon ist Matthias Elwardt für das Programm verantwortlich. Das Jubiläum zum vollendeten halben Jahrhundert allerdings wird er nun nicht mehr planen – Elwardt verlässt zum Ende des Jahres das wichtigste Programmkino der Stadt. Für Hamburgs Filmszene bedeutet diese Personalveränderung einen Einschnitt.
„Es gab so einige schwierige Jahre.“ Viel mehr möchte Matthias Elwardt, angesprochen auf das Verhältnis zwischen ihm und den Gesellschaftern, öffentlich nicht sagen. Neben Elwardt und Abaton-Mitbegründer Werner Grassmann, der das Kino 1970 gemeinsam mit Winfried Fedder eröffnete und schon damals bewusst gegen den kommerziellen Mainstream programmierte, sind dessen Söhne Felix und Philip Grassmann, bis Frühjahr 2017 Chefredakteur der linken Wochenzeitung „Freitag“, vertretungsberechtigte Geschäftsführer. Auch Elwardt gehörte zwischenzeitlich zu den Gesellschaftern. Erst Ende 2015 schied er nach juristischen Auseinandersetzungen als Gesellschafter aus.
Das Abaton soll digitaler und auch politischer werden
„Alles, was das Abaton heute ist, verdanken wir Matthias Elwardt“, sagt Philip Grassmann, und sein Bruder Felix, der zunächst gar nicht bestätigen wollte, dass Elwardt überhaupt geht, ergänzt: „Erst einmal ändert sich gar nichts.“ Es klingt, als gebe es gar keinen Grund zur Trennung. Kommen wird diese allerdings: Bis Ende Dezember verantwortet Elwardt das Programm, 2019 übernehmen die Grassmann-Brüder. Inhaltlich wollen sie wenig ändern, erklären sie, aber „digitaler und gern auch politischer“ werden.
Matthias Elwardt, ein selbstbewusster, aber ruhiger Mann, arbeitet am Abaton nach dem Intendantenprinzip. Aus rund 800 Kinofilmen, die jedes Jahr herauskommen, kuratiert er ein Programm, das am Allende-Platz um die 240.000 Kinogänger pro Jahr sehen wollen. Das sind annähernd so viele Besucher, wie das Thalia Theater in derselben Zeit hat. Man stehe finanziell sehr solide da, bestätigt Felix Grassmann.
Unangepasst wollte das Abaton seit seiner Gründung sein. Es gab Filme in Originalfassung mit und ohne Untertitel, Dokumentationen, Retrospektiven. Matthias Elwardt hat dieses Profil geschärft, hat „sein“ Haus zum Vorzeige-Programmkino entwickelt, das nicht nur Arthouse-Kino zeigt, sondern zahlreiche Gespräche mit Regisseuren oder Schauspielern, Thementage und (Hamburg-)Premieren organisiert. Im Jahr kommt das Abaton auf mittlerweile 250 solcher Zusatzveranstaltungen, „die Leute schätzen das“, so Elwardt.
Elwardt mehrfach für sein Programm ausgezeichnet
Bevor er die Programmleitung 1990 übernahm, gab es diese Gesprächskultur dort nicht – und sie ist in diesem Umfang nach wie vor einzigartig. Nicht nur in der Hamburger Kinolandschaft, sondern bundesweit. Mal kam der Schauspieler Burghart Klaußner vorbei, mal Maria Schrader, allein der „Absolute Giganten“-Regisseur Sebastian Schipper war zehnmal zum Publikumsgespräch da. „Für mich ist das Teil einer Kinokultur.“ Mehrfach wurde Elwardt für sein Programm ausgezeichnet.
Die Gespräche wollen auch die Grassmanns belassen, „eher noch ausbauen“, sagt Philip Grassmann. Sein Bruder, Jahrgang 1966, sei „der Cinephile“, er selbst, zwei Jahre älter, habe den Online-Sachverstand und die journalistische Kompetenz. Das sei durchaus relevant für ein Kino der Gegenwart und erst recht der Zukunft: „Wir kommunizieren bislang zu wenig mit unserem Publikum. Wir wollen aber eine richtige Abaton-Community aufbauen. Wir glauben, die Kinolandschaft steht vor einer fundamentalen Wende. Da braucht es auch eine Social-Media-Strategie.“ Man könne dann Kunden gezielter ansprechen. In Großbritannien seien Newsletter an unterschiedliche Zielgruppen wie die der Arthouse-Kette Picturehouse selbstverständlich. Auch kleinen Filmen sei so ein besseres Forum zu bieten, ergänzt Felix Grassmann, studierter Politologe, und nennt als Beispiel das Debüt „Ferien“ der Detlev-Buck-Tochter Bernadette Knoller. Um die Programmgestaltung wird vorrangig er sich kümmern. Beide betonen: „In diesem Kino steckt unser Herzblut.“
Das gilt für die Grassmanns ebenso wie für Matthias Elwardt, der, damals noch als BWL-Student, Ende der 80er-Jahre als „Tonsteuerer“ im Abaton anfing. „Ich weiß bis heute nicht, warum die das brauchten. Man saß hinten im Saal und sollte den Ton regulieren, aber es gab eigentlich gar kein Tonproblem!“ sagt er und grinst. „Bezahlt wurde das nicht, aber man durfte immer umsonst ins Kino. Also hab ich das gemacht.“
Im Sommer wird das Abaton-Kino umgebaut
Dann startete, im Februar 1986, Günter Wallraffs „Ganz unten“ „und jede Vorstellung war ausverkauft“. Mehr Personal wurde gebraucht, Elwardt wurde Kartenabreißer. Und blieb. Er brachte sich ein, importierte aus Irland die Idee des „Bloomsday“ und übernahm schließlich von Hella Reuters die Programmleitung. Im Sommer 2018 sollte nun der 30. „Bloomsday“ stattfinden, wie an jedem 16. Juni hätte es die Verfilmung von James Joyce’ „Ulysses“ und ein Bloomslunch (Gorgonzola-Sandwich und Rotwein) gegeben. „Ein bisschen seltsam, dass man bestimmte Sachen wirklich zum letzten Mal macht“, sagt Elwardt. Ob es dieses letzte Mal allerdings wirklich geben wird, ist gar nicht sicher: Im Sommer wird das Kino umgebaut.
Bilanz gezogen habe Elwardt übrigens immer, betont er: „Habe ich Filme übersehen, etwas falsch eingeschätzt? Dass ,Sonnenallee‘ hier im Westen funktioniert, hätte ich zum Beispiel nicht gedacht. Und letztes Jahr hätte ich aus kommerziellen Gründen ,The Circle‘ spielen müssen. Filmisch fand ich den aber komplett langweilig.“ Alle 800 anlaufenden Filme vorab zu schauen, schaffe er natürlich nicht, 300 bis 400 Filme guckt er komplett. „Auch, weil es sich gehört, selbst wenn man sich dann dagegen entscheidet, sie zu zeigen.“
Elwardt: "Kann mir auch etwas ganz anderes vorstellen"
Matthias Elwardt will nun nach vorn blicken, es gebe „Gesprächsangebote aus Berlin und Hamburg“, eine Entscheidung über das Danach steht indes noch aus. „Ich kann mir auch etwas ganz anderes vorstellen.“ Dass er nicht ganz freiwillig geht, ist ihm durchaus anzumerken, auch wenn er selbst seinen Weggang noch gar nicht publik machen wollte. „Ich hätte vielleicht viel früher mit dem Schlimmsten rechnen müssen, aber wer macht das schon.“
Bei Philip Grassmann im Büro hängt eine riesengroße Titelseite des „Freitag“ an der Wand, knallgelb, direkt vis-à-vis vom Schreibtisch. Und wenn ihm jemand nun doch noch einmal eine spannende Chefredaktion anböte? Grassmann winkt ab. Sie hätten sich entschieden. „Es ist eben auch unser Familienbetrieb.“