Hamburg. Abendblatt-Gespräch mit der 72-jährigen Autorin über den Text für ein Schubert-Konzert und Kent Nagano.

Der Komponist Franz Schubert hatte oft Pech in seinem ­Leben, und besonders viel Unglück brachte ihm eine Prinzessin aus ­Zypern, die auf ihrem Weg zum Thron von einem Drama ins nächste schlitterte: Rosamunde, Heldin eines komplett verunglückten Theaterstücks aus der Feder einer gewissen Wilhelmine von Chézy, für das Schubert in Wien 1823 in wenigen Wochen eine Schauspielmusik zusammenzuzimmern hatte. Das Stück fiel mit Pauken und Trompeten durch, Schubert war um einen herben Rückschlag reicher. An diesem Wochenende bekommt Rosamunde eine zweite Chance: Generalmusikdirektor Kent Nagano hat die Autorin Ulla Hahn ­gebeten, neue Texte zu schreiben, als Teil eines Philharmoniker-Programms, das ausschließlich diesem Komponisten gewidmet ist.

Einen neuen Text für ein Schubertstück zu verfassen – ist das nicht so, als würde man einen neuen Hintergrund für die „Mona Lisa“ ­malen?

Ulla Hahn: Da würden Sie Augen ­machen! Aber ich verstehe, was Sie meinen: Normalerweise gibt es den Text vor der Musik. Hier war es umgekehrt. Also was tun? Ohren auf! Die Musik wieder und wieder hören. Tief eintauchen in das Leben Schuberts und in seine Zeit. Dann abwarten, immer in Bereitschaft mit Stift und Papier. Ich habe drei Entwürfe geschrieben, ausgerechnet der unfertigste hat Kent Nagano spontan am besten gefallen.

Wie war der Umgang mit der für Sie ja doch neuen Textform? Bislang waren Sie Einzelschreiberin, jetzt mussten Sie sich in einen Kontext fügten, in ein Raster.

Die Herausforderung lag darin, dass der nachträglich zur Musik geschriebene Text der Musik so vorangehen soll, als folge die Musik dem Text. Mithin ­also ein Dialog von Wort und Musik, in dem die Musik das letzte Wort behalten sollte. Unbedingt.

Die Anfrage kam im Frühjahr

Wie kam es überhaupt zu diesem Auftrag?

Im Herbst, bei einem Gedenkabend für Wilfried Weber, den verstorbenen Chef der Buchhandlung Felix Jud, hatte ich einige Gedichte vorgetragen. Kent Nagano war auch dort. Im Frühjahr kam seine Anfrage.

Haben Sie gezögert?

Keine Sekunde. Ich hatte gerade den vierten Band meines autobiografisch getönten Romanprojekts weitgehend abgeschlossen. Den Kopf also wieder frei für etwas Neues.

Womöglich erst recht ein Grund fürs ­Zögern …

Ganz im Gegenteil! Eine Herausforderung!

Haben Sie sich eingelesen oder auch eingehört für Ihre „Rosamunde“?

Ich las Dokumentensammlungen und hörte die Zwischenmusikstücke wieder und wieder. „Ich bin für nichts als für das Komponieren auf die Welt gekommen“, hat er geschrieben. Sein Weg, das äußerlich so traurige Leben zu ­bestehen.

Wo wir schon beim Zitatevorlesen sind: „Wer die Musik liebt, kann nie ganz ­unglücklich werden.“ Schubert.

Aber ja! Solange ein Künstler die Kraft hat, wie Heine es formulierte: „Aus meinen großen Schmerzen mach ich die kleinen Lieder“, solange ist er nicht aussichtslos unglücklich. Deswegen ist es auch viel zu kurz gegriffen, Schubert als den Todessüchtigen darzustellen. Leben wollte er. Und arbeiten.

Ein Vorteil: Beim originalen „Rosamunde“-Text hing die Messlatte für Qualität so niedrig, über die kommt man fast im Schlaf.

Das Schauspiel von Wilhelmine von Chézy ist schon beim damaligen Publikum durchgerauscht. Ich hab’s gelesen und dann: weg damit.

Haben Sie Vorgaben erhalten?

Nicht mehr als 20 Minuten Text. Das habe ich deutlich unterschritten.

Ein Gleichnis mit Deutungen

Keine Anrufe zwischendurch, Nachfragen, ob und wie es denn so läuft?

Nein. Doch als ich die Texte vorgestellt habe, bin ich der Wahl von Kent Nagano und Dieter Rexroth gerne gefolgt. Sie haben die größere Erfahrung, und ihre Argument waren einleuchtend. Nun erzähle ich eine Geschichte, ein Gleichnis, wenn Sie so wollen, das für mancherlei Deutung offen ist.

Dass Sie als Lyrikerin etwas anderes als Lyrik schreiben würden, war nie die Frage?

Ich als Lyrikerin? Immerhin habe ich sechs Romane und einen Erzählband geschrieben! Letzten Endes ist es doch allein die Sprache, die zählt. Die muss klingen. Fließen. Gerade in dieser ­Geschichte, die auch mit Wasser, Hamburg und einer berühmten Legende zu tun hat. Hamburg hatte ja auch seinen berühmt-berüchtigten Robin Hood …

… ich ahne etwas …

… Schubert war ein Träumer, ein Überlebensträumer. Er lebte in der Metternich-Zeit, einer Zeit des Spitzelwesens und der Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Seine Musik ist sein Weg, die Sehnsucht nach Freiheit und Schönheit, nach einer „bessren Welt“, wie er es nannte, wachzuhalten. Und ,Rosamunde‘ ist doch auch ein schöner ­Name für ein Schiff. Wer will, kann ­jedoch allen Verkleidungen zum Trotz, unsere Zeit und unsere Welt in meinen Zeilen wiedererkennen.

Mal ganz ehrlich, bei aller Liebe: Die „Rosamunde“-Schauspielmusik ist keine absolute Sternstunde in Schuberts Werkkatalog, verglichen mit anderen Stücken. Wie hat sich Ihr Blick darauf durchs Betexten verändert?

Wie Schubert diesen Auftrag bewältigt hat, bleibt großartig. Diese Zwischenmusiken öffnen gewissermaßen die Ohren für die große C-Dur-Sinfonie.

Es ist ja aber auch fast so tragisch wie bei Charlie Brown: Zehn Musik-Theater-Anläufe hat Schubert genommen, und es ­waren zehn Nieten, zehn lausige Text­bücher.

Sie haben recht! Welch ein Geschenk wäre für ihn – und für uns! – ein gutes Libretto gewesen. Wie viele Liedtexte hat dieser Mann in hochdramatische Kurzopern verwandelt. Ich nenne nur zwei der bekanntesten, den ,Erlkönig‘ und ,Die Forelle‘.

Ein Zitat mit Schubert-Bezug habe ich noch: ,Wer reitet so spät durch Sturm und Wind, weg von Urahne Mutter Kind? / Es ist ein Genosse mit Kleistertopf, wohl aus der Gruppe Eppendopf‘. Ihre ,Erl­könig‘-Persiflage, aus Ihrem letzten ­Roman … Ein Omen?

(Lacht) Ja, und die ,Forelle‘ spielt darin eine noch merkwürdigere Rolle.

Spielen Sie selbst ein Instrument?

Ach ... Da treffen Sie einen wunden Punkt. Ich komme aus einem ganz bildungsfernen Elternhaus. Als Kind wünschte ich mir nichts sehnlicher als eine Geige. Und was habe ich bekommen: ein abgelegtes Akkordeon von einer Cousine. Bei jedem Familienfest hieß es: Spiel ,Lindenwirtin du junge‘. Oha. Darum beneide ich jeden, ein geliebtes Instrument spielen zu können.

Viele Virtuosen würden Etliches dafür ­geben, einmal mit ihrem Instrument im Großen Saal der Elbphilharmonie auftreten zu dürfen. Nun dürfen Sie, als Lyrikerin. Was macht Ihr Lampenfieber?

Ja, das ist aufregend. Meine Partitur sind Rhythmus und Melodie der ­Wörter und meine Stimme ist mein Instrument: Hauptsache, die Akustik funktioniert.