Hamburg. In „Die Ermordung des Commendatore“ erzählt der Autor wie immer gekonnt, mit Humor und dezentem Grusel.
Das Lesen eines Murakami-Romans ist eine weihevolle Erfahrung. Aber eine, der man jegliche Feierlichkeit erst im Nachhinein attestiert. Huch, ist schon wieder vorbei, bin ich wirklich schon durch? Man hat sich mal wieder einsaugen lassen in den Textstrom, ohne Schwimmweste natürlich: Murakami-Leser überlassen sich dem Element bereitwillig. Vielleicht, weil Buchstaben nicht nass sind. Ganz sicher, weil die Bücher des japanischen Bestsellerautors und Dauer-Nobelpreiskandidaten Haruki Murakami schwerelose Angelegenheiten sind, denen man mit keinerlei Argwohn entgegentritt.
Sein neuer Roman „Die Ermordung des Commendatore“ ist ein typisches Produkt aus dem Hause Murakami. Bemerkenswert stringent und kristallin erzählt, fächert es in einem nur unangestrengt wirkenden Erzählstil, dem der Wille zur Form anzumerken ist, eine zwischen Realität und Traum changierende Handlung auf – mit der für diesen Autor typischen gleichmäßigen Pendelbewegung der Motive. Die Frage nach der Grenze zwischen Wirklichkeit und Illusion, die Fantasie als Urstoff alles Menschlichen, die Regeln der Vorstellungskraft, die Literatur selbst – man kennt diese Themen von Murakami, hier werden sie so entschieden vorgeführt wie noch nie.
Einbruch des Übersinnlichen
Im Zentrum steht ein namenloser Erzähler, den Murakami anders als den Leser nicht in einen ruhigen Erzählstrom schickt. „Der Strudel, der mich umwirbelte, wurde immer reißender“, resümiert die Hauptfigur im Verlauf der Handlung. Man folgt dieser Feststellung gerne, der Held hat schließlich den Einbruch des Übersinnlichen zu verarbeiten. Er ist ein Porträtmaler, dessen Bilder sich die, die es sich leisten können, ins Büro oder ins Wohnzimmer hängen.
Wie „Karte und Gebiet“ von Michel Houellebecq ist „Die Ermordung des Commendatore“ ein Künstlerroman. Der Porträtmaler also, Mitte 30, führt kein aufregendes Leben, dann verlässt ihn seine Frau. Obdachlos geworden, bezieht er Quartier in einem am Hang gelegenen Haus. Es ist die frühere Bleibe des berühmten Malers Tomohiko Amada, der nun, alt geworden, dement in einer Pflegeanstalt lebt. Eines seiner Gemälde findet der Erzähler auf dem Dachboden. Es zeigt, wie er zumindest kombiniert, eine Szene aus „Don Giovanni“. Die, in dem der titelgebende Wüstling den Commendatore niedersticht.
Reicher und rätselhafter Mann
Der Erzähler lernt Wataru Menshiki kennen, einen reichen und rätselhaften Mann, der in einer weißen Villa am Berg gegenüber lebt und sich von ihm malen lassen will. Dank dieser fürstlich bezahlten Auftragsarbeit entledigt sich der Erzähler einer künstlerischen Schaffenskrise. Er verstrickt sich freilich auch in die dubiosen Lebensumstände Menshikis.
Und er hat kaum glaubliche Erlebnisse, an denen wiederum Menshiki lebhaft Anteil nimmt. Ein Glockenstab in einer Steinkammer in einem nahe gelegenen Wäldchen weckt ihn Nacht für Nacht. Ist es ein Mönch, der sich vor langer Zeit verbuddelt hat und jetzt Alarm schlägt? Dann ist da noch ein Mann, der in einem Imbiss seinen Weg kreuzt und dessen Blick nicht aufhört, den Erzähler zu beschäftigen. Und vor allem „die Idee, die mir in Gestalt des Commendatore erschien“; dem Erzähler erscheint ein 60-Zentimeter-Mann in Kostüm, der mit ihm spricht und nur für ihn zu sehen ist. Es ist der Commendatore aus dem Gemälde.
Ist der etwa ein Horrorzwerg? Kommt er wie die „Little People“ in „1Q84“ aus dem Parallelreich der Fantasie? Und was passiert hier eigentlich, wenn die Grenzen zwischen Realität und Einbildung eingerissen werden? Es wird der Raum für Kunst und Kreativität geöffnet, und bei Murakami ist das immer mit einem dezenten Grusel verbunden. Der sichere Boden des unabweisbaren Geschehens wird verlassen. Auf die Spannungsmomente seiner Handlung, die ganz herrlich unkompliziert, aber handwerklich wie stets bei ihm gekonnt inszeniert sind, verlässt Murakami sich nicht allein: Raunende Vorhersagen und Vorausblicke („Damals konnte ich natürlich noch nicht ahnen ...“) sind gern verwendete Mittel, die dem Stoff eine suggestive Grundierung geben.
Die Gedankentiefe ist faszinierend
Zunächst kaum merklich zieht Murakami den Leser in ein Gedankenabenteuer. „Die Ermordung des Commendatore“ ist ein Ideenroman, der nicht nur auf die Bedingungen von künstlerischer Produktion zielt, sondern auch von Buddhismus, klassischer japanischer Malerei, kultureller Aneignung und Kunstpurismus handelt. Die Gedankentiefe ist gerade aufgrund aller Bekömmlichkeit des Ausdrucks faszinierend, Murakamis Humor schadet selbstredend auch nicht. Am Ende des Buchs gibt es eine weitere Verquirlung, die die Handlung an die Zeit des Nationalsozialismus andockt.
Aber aufgelöst wird gar nichts. Der zweite Teil des Romans erscheint im April, und das kann man zunächst durchaus als gute Nachricht für Murakami-Süchtige begreifen. Andererseits erscheint die Aufsplittung etwas willkürlich und der derzeitigen Serien-Mode geschuldet: Andere Verlage sind dank Autoren wie Ferrante und Meyerhoff schließlich auch Dauergast in den Bestsellerlisten.