Hamburg. Der Jüdische Salon am Grindel feiert zehnjähriges Bestehen. Es geht um Austausch, um ein Miteinander und das gegenseitige Zuhören.
Manche Ideen werden in Sekundenschnelle geboren und können das Leben von Menschen und sogar das eines ganzen Stadtviertels verändern. So eine Idee hatte die international bekannte Agentin für Streichquartette und Solisten, Sonia Simmenauer, als sie im Grindelviertel, in dem sie wohnte, vor gut elf Jahren bei dem alten Drucker Wolfgang Fläschner für ein Schwätzchen stehen blieb. Er wolle seinen Laden dichtmachen, erzählte er ihr. Und bei Sonia Simmenauer begann es im Kopf zu rattern. Als er ihr antwortete, es gebe keinen Nachmieter, hörte sie sich sagen: „Ich möchte hier ein jüdisches Café eröffnen.“
Dieses einladende, charmante, mit Büchern und Zeitschriften bestückte Café Leonar am Grindelhof 59, mit angeschlossenem Jüdischem Salon, feiert – nach zwischenzeitlichem Umzug, gelungenem Neubau und Wiedereinzug – an diesem Montag sein zehnjähriges Bestehen. Kultursenator Carsten Brosda (SPD) und viele Gäste haben sich zu diesem Termin angekündigt.
Spenden immer willkommen
Sonia Simmenauer wollte damit einen „Treffpunkt vieler erschaffen, die eine Sprache teilen, eine Sehnsucht, die Lust an gemeinsamem Lesen und Nachdenken, oder schlicht nach einem guten Kaffee oder einer tröstenden Suppe“. Inzwischen ist sie nach Berlin gezogen, Vereinsvorsitzende ist sie geblieben.
Aber auch ohne Michael Heimann und Andreas Heller, beide Gründungsmitglieder, gäbe es den Verein Jüdischer Salon wohl nicht. Ohne Heller gäbe es weder das alte noch das neue Café. Der Hamburger Architekt mit angeschlossenem Designbüro hat sich, nachdem er einmal zugesagt hatte, immer dann reingekniet, wenn es nötig war. Zuerst brachte er den alten Kasten so auf Vordermann, dass Sonia Simmenauer darin ihre wunderbare Idee mit Bravour verwirklichen konnte. Dann leitete er den Neubau und die Inneneinrichtung von Café und Salon zum Hof. Finanziert wurde das Ganze durch die darüber entstandenen Wohnungen. Heute muss das Café den Salon mittragen, Spenden sind immer sehr willkommen.
Das jüdische Lebensgefühl
Durch alle Veränderungen hindurch ist beides gut besucht. Der Salon hat im Jahr um die 1500 Besucher, ein Drittel kommt regelmäßig. Das Programm mit Lesungen, Konzerten, philosophischen Exkursen, Gesprächen über Psychoanalyse, Gesellschaft oder Religion stemmen etwa acht leidenschaftliche, jüdische und nichtjüdische Hamburger. Ehrenamtlich, weshalb der Reiz, so Michael Heimann, neben vielem anderem darin liegt, dass es dort „nicht zu professionell“ zugeht.
Was also ist jüdische Kultur? Andreas Heller gilt nicht als jüdisch, da seine Mutter keine Jüdin war. Er nennt sich „hybrid jüdisch“, mag den Ausdruck aber nicht. Dazu gehöre es, ein Suchender zu bleiben und immer ein bisschen das Gefühl zu haben, zwischen den Stühlen zu sitzen. Ein ruhiges und dennoch schwungvolles Gespräch über jüdische Kultur entspinnt sich, in dem die beiden Männer einander stets zuhören, sich auch mal deutlich widersprechen, um immer wieder durch das Zuhören und Nachdenken den eigenen Standpunkt auszuloten. Mit Humor.
Michael Heimann, Rechtsanwalt und Steuerberater, stammt von deutschen Juden ab. Als Junge wurde er auf der Straße noch gefragt, ob er Deutsch sprechen könne. Diese Frage hatte ihn, den gebürtigen Deutschen, geprägt und auch verunsichert. „Hier im Salon geht es darum, immer wieder neu zu fragen, was jüdische Kultur ist“, sagt er, „denn eigentlich ist das nicht definierbar.“
Das Politische nur indirekt
Die jüdische Gemeinde habe sich in Hamburg anfangs sehr abgekapselt. Im Salon dagegen gehe es in einer entspannten, auch warmen Atmosphäre um Austausch, um ein selbstverständliches Miteinander und gegenseitiges Zuhören. Antisemitismus habe es in diesem Zusammenhang noch nie gegeben, die Akzeptanz im Viertel sei hoch.
Doch nach den anti-israelischen Kampagnen des Sängers Roger Waters, Gründungsmitglied von Pink Floyd, überlegen die Macher erneut, ob sie sich stärker politisieren sollten. Sie haben „keine Lust auf Verallgemeinerungen“, sie wollen differenziert urteilen. Angela Merkels Umgang mit der Flüchtlingskrise zum Beispiel sei „eine Reaktion auf die Shoah“ gewesen, findet Neumann. Er wünscht sich ein gewisses Verständnis dafür, „wo für uns die schwierigen Punkte im Zusammenhang mit Geflüchteten liegen“. An solche Themen nähere man sich im Salon dann gern über Literatur an. Zum Beispiel über Hannah Arendts Essay „Wir Flüchtlinge“. Ansonsten ist das Politische hier eher indirekt anzutreffen.
Nach jeder der 28 Veranstaltungen im Jahr, zu denen zwischen 40 und 60 Besucher kommen, wird diskutiert, und „man unterhält sich sehr schnell über das Essenzielle. Das mag ich.“, sagt Andreas Heller. Außerdem könne man „auch mal einen bösen Scherz machen“.
Jüdische Stereotypen loswerden
Michael Heimann möchte mit dem Salon „auch an das erinnern, was deutsch-jüdische Kultur einmal gewesen ist“. Es ist auch eine Spurensuche, hier, im einst viel stärker jüdisch geprägten Grindelviertel. Die jüngere Generation, glaubt er, wolle „ein neues Bild des deutschen Judentums entwerfen und jüdische Stereotypen loswerden“. Der Salon, den es so kein zweites Mal in Deutschland gibt, wie die beiden versichern, genießt einen guten Ruf, der weit über die Grenzen Deutschlands
hinausragt: Der Schriftsteller Amoz Oz oder der Mandolinist Avi Avital waren hier zu Gast, die Schauspielerin Corinna Harfouch kam ebenso wie die mutig-streitbare Schriftstellerin Lizzie Doron.
Mehr Besucher könnten es gern noch werden, und etwas aktueller möchten die Macher ihr Programm noch gestalten. Sonst aber sind wenige Wünsche offengeblieben. Doch. Einer. Dass bald wieder ein Koch gefunden wird, der koscheres Essen kochen kann.