Hamburg. Die Abendblatt-Favoriten für das Fest der Liebe. Auch geeignet für Weihnachtsmuffel – und manches hallt bis zum Sommer nach.

Soul unterm Christbaum

Wäre mein Leben anders verlaufen, hätte ich jedes Jahr an Weihnachten die Supremes gehört? Im Großen und Ganzen wahrscheinlich nicht. Aber manchmal sind die kleinen, die (angeblich) nebensächlichen Dinge die entscheidenden, meine Musiksammlung zum Beispiel. Hätten wir früher zu Hause nicht immer das Weihnachtsoratorium gehört oder „Stille Nacht“, dieses an sich natürlich gar nicht unsympathische Zeugnis deutscher Heimeligkeit, sondern „White Christmas“ von den Supremes – wer weiß, vielleicht hätte ich heute mehr Seele! Also Soul und Motown im Plattenschrank. Da klafft eine Lücke, aber ich habe mir immerhin vorgenommen, ab sofort zu Weihnachten immer die unsterbliche Diana Ross und ihre Supremes aufzulegen. Ihr 1965 erschienenes Album „Merry Christmas“ (CD ca. 10 Euro) ist ein Klassiker, der die Klassiker unter den amerikanischen Weihnachtsliedern in ein souljazziges Gewand packt und dabei die an Heiligabend besonders heiligen Streicher nicht vergisst. Man muss die Getragenheit und den Ernst deutscher Weihnachtslieder übrigens gar nicht gegen die besinnliche Fröhlichkeit von Songs wie „Rudolph The Red-Nosed Reindeer“ ausspielen, im Gegenteil: Zusammen ergeben sie den perfekten Soundtrack für weiße oder nicht weiße Weihnachten. „Joy To The World“, „Freue dich, Welt“, singen die Supremes. Machen wir. (tha)

Charlie Brown & Co.

Das Weihnachtsoratorium? Von wegen, weder das wohlfeile barocke Original, von wem auch immer, noch die sonderbare Bach-it-yourself-Version vom Ensemble Resonanz. Es gibt nur einen Rudi Völler, und, noch wichtiger, es gibt nur eine ewiglich liebliche, alle Jahre wieder schöne Weihnachtsplatte: „A Charlie Brown Christmas“ vom Vince Guaraldi Trio (ca. 8 Euro). Endlos kindliche Fröhlichkeit, swingend und zeitvergessen. Ein lässig dahinperlendes Klavier, ein nougatsüß den Rhythmus patschender Bass, die lakonisch wischenden Schlagzeugbesen, und schon kommen alle Erinnerungen zurück: Snoopy im Schnee auf seiner Hütte oder über das Eis gleitend wie Nurejew durch „Schwanensee“. Lucy, nur scheinbar harmlos, und Schröder, nur scheinbar unerreichbar, Linus und seine Schmusedecke. „Ich bin Weihnachten immer so niedergeschlagen“, beichtete Charlie Brown. Wer dieses Gefühl nicht kennt, der werfe den ersten Zimtstern auf diesen Klassiker. Und wer bei „Christmas Time Is Here“ keinen schlimmen Melancholieschub verspürt, muss schon keinen Puls mehr haben. Angeblich ist dieses 1965 veröffentlichte Meisterwerk das zweitbestverkaufte Jazz-Album aller Zeiten nach Miles Davis’ „Kind of Blue“. Verdient wäre es. (jomi)

Da steigt die Stimmung

Leichtfüßig, beswingt, fröhlich – wenn man die Songs auf „Snow – The Get Easy! Christmas Collection“ (ca. 15 Euro) hört, könnte man annehmen, die 60er-Jahre waren in den USA ein besonders glückliches Jahrzehnt. Wenn James Brown singt „Santa Claus Goes Straight To The Ghetto“ wird die gesellschaftliche Kehrseite deutlich, aber auch die Verheißung im Glauben an den Weihnachtsmann. Der Sampler enthält 24 tolle Songs von Sängern aus Jazz, Soul und Pop. Die Beach Boys sind ebenso dabei wie Marvin Gaye, Stevie Wonder, Ella Fitzgerald und Mel Thormé. Den Schlusspunkt setzt Scott Walker mit der Ballade „Winter Night“. Genau der richtige Song für einen besinnlichen Heiligabend. (oeh)

Geht auch im Sommer

Ich gestehe: Weihnachten ist eigentlich nichts für mich. Die erzwungene Besinnlichkeit, der Kaufrausch, das Hangeln von Mahlzeit zu Mahlzeit – nein, danke. Und dann ist da auch noch diese furchtbar süßliche Weihnachtsmusik, die seit Ende November durch Fußgängerzonen und aus Radios wabert; als ob die dunkle SchneematschJahreszeit nicht schon schlimm genug wäre. Aber es gibt Rettung auch in diesen Tagen, und die heißt „Yule Struttin’ –A Blue Note Christmas“ (ca. 10 Euro). Eine Jazz-Wundertüte mit Weihnachtsliedern, die hier so gar nicht nach gewimmertem Kitsch klingen – und das will bei „O Tannenbaum“ oder „Stille Nacht“ schon was heißen. Doch Chet Baker, Count Basie, Dianne Reeves, John Scofield, Dexter Gordon, Benny Green und viele andere sorgen mit ihren Ecken-und-Kanten-Versionen tatsächlich für Spannungsbögen und gute Laune. Eine Weihnachts-CD, die sich auch im Sommer hören lässt! (hot)

Licht im Dunkeln

Johnny Cash (1932–2003) mag bekannt gewesen sein für sein OutlawImage, doch dieser Grenzgänger besaß auch ein Faible für Weihnachten. Gleich mehrere Alben widmete der Countrysänger den Feiertagen um Christi Geburt. Wenn Cash mit sonorer, schmelzender Stimme vom „Christmas Spirit“ erzählt, dann sieht man diesen stolzen wilden Amerikaner vor dem geistigen Auge durch verschneite Straßen stapfen. Auf der Suche nach den kleinen, den wirklich wichtigen Dingen in der Welt. Und wenn Cash seinen Bassbariton durch Songs wie „Silent Night“ fahren lässt, dann lodert in jedem zwangsläufig ein inneres Lagerfeuer auf. „Christmas With Johnny Cash“ (ca. 15 Euro), das bedeutet tatsächlich, Licht im Dunkeln zu finden. Für Unrastige, die zur Ruhe kommen wollen. An diesen Tagen im Winter. (bir)

Jauchzet, frohlocket!

An Weihnachten, nach überstandener Adventszeit, immer noch das Weihnachtsoratorium hören? Na klar! Erstens fängt es da, wenn man streng nach Bach geht, erst an, nämlich mit der ersten Kantate am ersten Feiertag. Und zweitens bohren und schmeicheln sich die Melodien und Harmonien und Klangfarben und Stimmungen jedes Jahr tiefer in Ohr und Herz. Zumal in der Aufnahme von René Jacobs („ Bach: Christmas Oratorio“, ca. 20 Euro). Keiner nimmt die Choräle so zärtlich und innig, keiner lässt das „Jauchzet, frohlocket“ zu Beginn so leichtfüßig tanzen wie er. Und die Stimmen sind, wie immer bei Jacobs, absoluter Luxus. Wer den Evangelisten Werner Güra im Ohr hat, kann die Weihnachtsgeschichte nie mehr aufschlagen, ohne Lukas’ Sätze im Geiste mit Bachs Rezitativen zu unterlegen. (vfz)

Schmelz und Wahnsinn

Weihnachten ist ja immer eine wilde Mischung aus Zucker, Hach und Wahnsinn. Bei uns jedenfalls. Was daran liegen könnte, dass in meiner Familie praktisch alle an Weihnachten Geburtstag haben. An Heiligabend, am Tag davor, am Tag danach. Ja, nicht so clever geplant. Auch wenn die anderen Eltern ihre Kinder am 23. Dezember stets ganz erleichtert zum Kindergeburtstag durch die Tür schubsen. Irgendwie fand ich immer, dass das Album „A Very Ally Christmas“ (bei Ebay ab 4 Euro) perfekt dazu passt. „Ally McBeal“ war zur Jahrtausendwende diese angenehm durchgeknallte, warmherzige, ein bisschen melancholische und gerade richtig kitschige Anwaltsserie, zu der Vonda Shepard den Soundtrack lieferte. Auf dem Weihnachtsalbum schmelzt Shepard das bluesige „Please Come Home For Christmas“, Calista Flockhart (damals noch ungebotoxt) tupft Eartha Kitts kesses „Santa Baby“ dahin, Robert Downey Jr. schwelgt in Joni Mitchells „River“ und beschwört mit Vonda Shepard „White Christmas“ . Und dann müssen wir uns nur noch konzentrieren, wann wir „Merry Christmas“ und wann „Happy Birthday“ sagen. Es geht einem ja so oder so das Herz auf. (msch)