Hamburg. Wenn es was zum Lesen, Hören, Gucken oder zum Erleben sein soll – das Hamburger Abendblatt hätte da mal 98 Tipps für Sie.
Für die noch nicht Bekehrten da draußen: Der Tiefgang fühlt sich bei Karl Ove Knausgård meist gar nicht so an (na, vielleicht in den Hitler-Passagen in „Kämpfen“). Geradezu glückhaft: „Im Herbst“ (22 Euro), neuer Zyklus, erster Band. 288 Seiten Alltagsbeobachtungen für die jüngste Tochter; ein Knausgård-Sprint, gewissermaßen.
Erst die große Liebe, dann die Trennung. Und ein gemeinsames Kind, das zwei Jahrzehnte später für eine schicksalhafte Wendung sorgt. Jussi Valtonens Roman „Zwei Kontinente“ (24 Euro) ist meisterhaft konstruiert und so dicht am Leben, dass es bisweilen schmerzt. Man möchte wissen, wie’s ausgeht. Und dann doch wieder nicht.
Als alles verloren war, der Kaiser längst in Holland, versuchte es München 1918 mit der Räterepublik: Alle stimmen über alles gemeinsam ab. Totale Demokratie – oder so. Mittendrin Schriftsteller wie Ernst Toller und Gustav Landauer. Volker Weidermann erzählt in „Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen“ (22 Euro) unwiderstehlich von ihnen.
Serien sind großartig. Sie machen süchtig – und man kann sie wunderbar verschenken, jedes Mal einen Teil mehr. Darum, zum Erscheinen des letzten Bandes „Kämpfen“ (29 Euro), noch einmal die Empfehlung, auf Karl Ove Knausgårds nun vollständiges autobiografisches Projekt in sechs Bänden zurückzugreifen. Denn hier gilt: jedes Buch großartig.
Der ehemalige „Zeit“-Feuilletonchef Ulrich Greiner hat ein so kleines wie kluges Buch (19,95 Euro) geschrieben: Es heißt „Heimatlos – Bekenntnisse eines Konservativen“ und formuliert das Unbehagen eines liberalen Menschen, der sich an Denkfaulheit und Dummheit dieser Tage stößt. Streitbar, unbequem, erhellend, also: lesenswert.
Was wünschen wir uns? Was macht uns glücklich? Was erwarten wir vom Leben? Die großen Fragen verpackt Jojo Moyes in „Kleine Fluchten“ (12 Euro). In neun liebevollen Kurzgeschichten erzählt sie, wie eine Taxifahrt, ein Mantel oder eine Sporttasche alles verändern können.
Slavoj Žižek ist einer der großen kontroversen Vieldenker unserer Zeit. Seine Thesen und Auftritte polarisieren. Manche halten den Slowenen für einen Star, andere für einen Schwafler. In seiner Kapitalismuskritik „Ärger im Paradies“ (12,99 Euro) kann der Leser dem Philosophen beim Kreuzund Querdenken zusehen – mit Bezügen von Marx bis Batman.
Zahm, vielleicht altersmilde ist John Niven geworden. Dennoch hat sich der „Kill Your Friends“Autor den schonungslosen Blick auf die obere englische Mittelklasse auch in „Alte Freunde“ (20 Euro) erhalten: Ein berühmter Gastro-Kolumnist begegnet seinem Kumpel, einem in der Gosse gelandeten Rockstar – eine Variante von „Die Glücksritter“.
Trostlos und bedrückend ist die Atmosphäre in Kathrin Seddigs Roman „Das Dorf“ (22,95 Euro). Die Dorfbewohner kennen die Leichen im Keller ihrer Nachbarn, und wer neu hinzuzieht, bleibt ebenso einsam wie die „Ureinwohner“. Unabhängig davon genießen vier Unbeirrbare, sehr alte und sehr junge, eine wilde, unanfechtbare Freiheit jenseits aller Kandaren.
Hana Yanagiharas umfangreicher Roman „Ein wenig Leben“ erzählt auf fast 1000 Seiten von vier Männern, die ein Leben lang befreundet sind. Die Geschichte handelt von Liebe, Schmerz, Loyalität und nie zu heilenden Wunden. Ein sehr aufwühlendes und sehr ergreifendes Buch (28 Euro).
Kein Tiefgang ohne Umgang. Doch ein Mindestmaß an Respekt geht flöten. Deshalb hat Axel Hacke für „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“ (18 Euro) in der Mottenkiste der Benimmmoral gewühlt. Gerade noch rechtzeitig?
Das Thema Rechtspopulismus als (Jugend) Roman: Der Autor Martin Schäuble hat es in „Endland“ (15 Euro) mit den Figuren Fana aus Äthiopien und dem angeblichen Mitflüchtling Arno, Anhänger der „Nationalen Alternative“, gekonnt verarbeitet. Mit dem Fall des Soldaten Franco A., der als Syrer getarnt Anschläge plante, wurde die Dystopie fast wahr.
Wortgewaltig ist er ja eigentlich immer. In „Evangelio: Ein Luther-Roman“ (22 Euro) nimmt Feridun Zaimoglu die Leser mit in die turbulenten Zeiten des streitbaren Reformators und Playmobil-Stars. Er erzählt aus der Perspektive von Landsknecht Burkhard, dem Bodyguard Luthers. Sprachlich und inhaltlich ein Genuss.
Wenn Richard Ford etwas kann als Autor, dann die einfühlsame Verwandlung von Alltag in Literatur. In dem Bändchen „Zwischen ihnen“ (18 Euro) beschreibt er seinen Vater und seine Mutter – und das, was ihr Leben ausmachte, als er noch jung war und die beiden glücklich schienen. 144 Seiten Kontrastprogramm zu den Knausgård-Brocken.