Hamburg. Das Kindertheaterduo Kirschkern & Compes darf sich über eine Finanzspritze von 50.000 Euro für seine kreative Arbeit freuen.

„Die See ist rau“, singt die Liedermacherin Eva Engelbach-Brüggemann. Das stürmische Wetter gibt ihr recht, aber auch ihre Stimme, Lied und Text sind voll interessanter Widerhaken. Ganz wie das Schaffen der furiosen Zwei-Frau-Kindertheatergruppe Kirschkern & Compes, die an diesem Sonntag im St. Pauli Theater den ersten Barbara-Kisseler-Theaterpreis bekommt.

Der Ort ist gut gewählt, ist doch das plüschige, blattgoldene Theaterchen so recht nach der kindlichen Fantasie. Zugleich schwingt eine leicht bittere Reminiszenz mit. 2011 hat das Duo nämlich genau dort bereits den Hamburger Kindertheaterpreis erhalten, unter der Schirmherrschaft und in Anwesenheit der damals frisch installierten partei­losen Kultursenatorin.

Kisseler fehlt nach wie vor

Vor einem Jahr starb Barbara Kisseler an ihrer Krebserkrankung. Wie präsent die Erinnerung an ihre Persönlichkeit ist, schildert der Gastgeber Ulrich Waller in seiner Begrüßung. „Sie fehlt mir nach wie vor“, sagt Kultursenator Carsten Brosda (SPD) in seinem Grußwort. Eine unangepasste, charismatische Figur wie Kisseler erlebt man selten im Politikzirkus. Konflikte bearbeitete sie mit Charme, Sachkompetenz und Beharrlichkeit. Es hat tiefgreifend auf die Kulturszene gewirkt, wie sie zuhören konnte, wie sie Vertrauen bildete und Menschen zusammenbrachte.

Glückliche Wahl getroffen

Der Preis entspricht ihrer persönlichen Neigung, das Theater war Kisseler von allen Formen künstlerischen Ausdrucksformen am nächsten. Er soll jährlich vergeben werden. Ein anonymer Juror, vulgo „Undercover-Agent“, hat sich ein Jahr lang in Hamburger Theatern umgesehen – und eine glückliche Wahl getroffen. Die beiden Künstlerinnen machen Kindertheater auf stupendem Niveau. Wie sie ihre Beobachtungen in psychologisch genaue und hochoriginelle Stücke gießen und das dann auch noch hochvirtuos spielen, das macht ihnen so schnell keiner nach. Mit schlafwandlerischer Sicherheit treffen sie den Verständnishorizont ihres kindlichen Publikums – und die begleitenden Erwachsenen biegen sich vor lachen.

Eine Kostprobe des preisgekrönten Theaterstücks geben die Preisträgerinnen sogleich: „Kuckuck Krake Kakerlake“ ist eine Mischung aus Vorlesung und Performance ganz eigener Art. Das Publikum lernt, dass der Gerinnungshemmer in der Vampirspucke Draculin heißt und bei den freundlichen Bonobo-Affen die Frauen die Chefs sind. Zebras sind wandelnde Strichcodes und Quallen am Strand Gel-Kleckse. „So müsste Schulunterricht aussehen!“, jubelt der Juror, der auch nach getaner Arbeit nicht aus der Deckung kommt, weshalb Senator Brosda als Sprachrohr für die Laudatio fungiert.

Undercover Agent

50.000 Euro, für diese Summe müssen Sabine Dahlhaus und Judith Compes viele Vorstellungen geben. Was sie mit dem Preisgeld machen? Neue Produktionen natürlich, aber auch ganz konkret den verrosteten Transporter durch einen neuen ersetzen. Und irgendwie erinnert es an die sympathischen Bonobos, dass die beiden in ihrer Danksagung an die Kulturpolitik appellieren, sich in Zukunft noch mehr für die gesamte freie Szene zu engagieren. Möglich gemacht hat den Preis die Hermann-Reemtsma-Stiftung. Diese Spielzeit zieht ein anderer Agent los. Natürlich ebenfalls undercover.