Am Sonntag werden die Auszeichnungen in der Elbphilharmonie verliehen. Das ZDF überträgt zeitversetzt ab 22 Uhr.

Pro: Der Preis hilft Künstlern, ein neues Publikum zu erreichen

Es ist leicht, sich über den Echo Klassik zu mokieren. Zu sehr auf ein Massenpublikum sei die Veranstaltung ausgerichtet, heißt es gern. Überdies eine Art Erfüllungsgehilfin der großen Plattenfirmen, die sich vornehmlich selbst feiern und zu Werbezwecken schamlos ihre eigenen Künstler ins Rampenlicht schieben. Da ist natürlich was dran, gleichwohl hat die Klassikvariante des Echo, bei der ja auch viele Nischenproduktionen prämiert werden, großen Wert: vor allem für Künstler, die nicht von finanzstarken Werbekampagnen profitieren, die keines der großen Labels im Rücken haben und womöglich auch noch ein Ins­trument spielen oder ein Repertoire abdecken, das nicht als „sexy“ gilt. Solchen Künstlern öffnet diese Auszeichnung Türen, lässt sie leichter Auftrittsmöglichkeiten finden, macht sie auch für Medien interessant, die sich nicht vornehmlich an Klassikspezialisten richten.

Diese Stars kommen zur Echo-Klassik-Gala

Mit dem etwas ungelenken Satz „Echo-Klassik-Preisträger präsentieren die Vielfalt der Klassik“ wird derzeit auf Plakaten an Hamburgs U-Bahnhöfen für einen Konzertabend im Michel geworben. Warum wohl? Das Dogma Chamber Orchestra tritt hier auf, der Gambenspieler Thomas Fritzsch, das Saxofon-Duo Eva van Grinsven und Lars Niederstraßer. Sämtlich Top-Künstler und -Ensembles, denen allerdings der große Glamour fehlt. Macht aber nix, ihr gemeinsames Konzert an diesem Sonnabend ist dennoch nahezu ausverkauft – dank Echo-Klassik-Etikett.

Dass die Verantwortlichen bei der Gala, die im ZDF übertragen wird, vor allem auf bekannte Namen setzen, ist mutlos und ein berechtigter Kritikpunkt. Dieses Schaufenster muss unbedingt auch denen zur Verfügung stehen, die sonst nur selten Fernsehzeit bekommen. Stars braucht es für eine solche Veranstaltung natürlich dennoch. Und auch eine Elbphilharmonie als Veranstaltungsort. Schließlich geht es darum, möglichst viele Menschen zu erreichen und nicht nur die ohnehin schon Bekehrten.

Am Ende zählt das Ergebnis

„Die Preisverleihung wird von vielen Leuten verfolgt, die sonst selten in klassische Konzerte gehen“, sagt die Hamburger Pianistin Anna Vinnitskaya, selbst zweifache Echo-Klassik-Gewinnerin und inzwischen auch international gefragt. „Wir Künstler bekommen deutlich mehr Aufmerksamkeit.“ Und Trompeter Matthias Höfs, mit dem Ensemble German Brass Preisträger im vergangenen Jahr, ergänzt: „Nach so einer Fernsehübertragung wird man von Menschen angesprochen, die mit klassischer Musik sonst nichts am Hut haben. Unsere Konzerte nach der Echo-Gala waren ruck, zuck ausverkauft.“

Am Ende zählt das Ergebnis. Und wenn mehr Menschen die klassische Musik für sich entdecken, wenn mehr Künstler die Anerkennung erhalten, die sie verdienen, dann kann dieses Blitzlichtgewitter-Promi-Event so falsch nicht sein. Holger True

Kontra: Bei diesem Preis kommt Qualität zu kurz, nur das Event zählt

Wo man eine Fernsehkamera draufhält, da stellt sich die Relevanz schon von selbst ein. Das können wir kommenden Sonntag wieder erleben, wenn das ZDF die Verleihung des Echo Klassik 2017 aus der Elbphilharmonie überträgt. Aufmerksamkeit generiert Aufmerksamkeit, kostbarstes Gut unserer Zeit. Das Etikett „Echo Klassik“ suggeriert Qualität. Aber ist die wirklich der Maßstab? Zweifel daran können sich angesichts mediokrer Produktionen wie Daniel Hopes „For Seasons“ schon mal einstellen – und erst recht beim Blick auf die Zusammensetzung der Jury.

Der Echo Klassik wird vergeben von der Deutschen Phono-Akademie. Dahinter steckt niemand anderes als der Bundesverband Musikindus­trie. In der elfköpfigen Jury sitzen mehrere Vertreter von Plattenlabels, darunter Big Player wie Sony, Deutsche Grammophon, Warner Classics samt ­Ablegern. Mögen andernorts unabhängig besetzte Fachgremien arbeiten, etwa beim „Preis der deutschen Schallplattenkritik“, hier feiert sich eine Branche fröhlich selbst.

Noch mehr preisgekrönte Musiker

Die Echo-Klassik-Preisträger jubeln derweil vor Freude und Ehre – und mancher schimpft hinter vorgehaltener Hand. Aber wer will schon die Mächtigen der Branche vergrätzen? Aus der Deckung wagt sich immerhin der Produzent Stefan Winter, der mit seinem kleinen, feinen Label Winter & Winter selbst bereits Echos bekommen hat. „Auf diese Auszeichnungen sind wir nicht stolz“, ereifert er sich. „Das Publikum und die ,ausgezeichneten‘ Musiker werden vergaukelt und benutzt.“

Die erbitternde Regelmäßigkeit, mit der die großen ­Labels in wichtigen Kategorien wie „Sänger“ oder „Instrumentalist“ abräumen, gibt Winter recht. Natürlich ist das Vergabeverfahren mit der Zeit verfeinert worden, es werden auch unabhängige Labels bedacht für so unaussprechliche Großtaten wie „Welt-Ersteinspielung“ oder „Audiophile Mehrkanal-Einspielung “. Auf die Kategorie „Feigenblatt“ warten wir noch.

Wieder nur die Big Shots

Bei der Gala aber sind es dann doch wieder die Big Shots, die zum Zuge kommen. Selbst dem Fernsehzuschauer ist es hochnotpeinlich, wenn ein ­Boxer a. D. die Laudatio auf seinen Lieblingstenor herunterleiert. Wer das mit der Breitentauglichkeit des Formats ­erklärt, hat nicht verstanden, dass auch ein weniger klassik­affines Publikum ein feines Gespür für Glaubwürdigkeit hat.

Es ist auf bittere Art schlüssig, dass die Gala in der Elbphilharmonie stattfindet. Auch der wird die eigene Popularität derzeit zum Fluch. Sowie es auf der Bühne mal ans Eingemachte geht, verlassen scharenweise Zuschauer, die ihre Karte nach dem Motto „Hauptsache, drin“ ergattert haben, die Ränge. Das, was die klassische Musik groß macht, wird sich nie anstrengungslos konsumieren lassen. Da hilft kein Elbphilharmonie-Hype und schon gar kein Echo Klassik. Verena Fischer-Zernin