Hamburg. Der 30-Jährige ist derzeit einer der angesagtesten Theaterregisseure. Im Abendblatt spricht er über seine Arbeit am Thalia Theater.

Ersan Mondtagist im Stress. Der Regisseur steckt mitten in den Endproben zur „Orestie“, Aischylos’ wuchtiger Tragödientrilogie aus den Nachwehen des Trojanischen Kriegs. Premiere ist am Sonnabend im Thalia Theater, der 30-Jährige ist unwillig – warum jetzt ein Interview? Gut, eine halbe Stunde, dann aber schnell. Und dann redet er, ohne Punkt und Komma, scharfsinnig, scharfzüngig, gestenreich. Und als die halbe Stunde vorbei ist, redet er einfach weiter ...

Ersan Mondtag, so kurz vor der Premiere Interviews zu geben, das ist …

Ersan Mondtag: ... schwierig, weil man gar keine Kapazitäten hat, irgendwas über das Stück zu sagen. Deswegen mache ich das nicht so gerne. Da wird man dann immer drauf festgenagelt.

Darum geht es in der "Orestie"

Oh. Wir müssen jetzt trotzdem über das Stück reden. Was erwartet uns am Sonnabend?

Mondtag: Also, wir machen durchaus „Die Orestie“, mit viel Sprache – wir haben eine Textfassung von 100 Seiten, der Abend dauert auch mehr als drei Stunden. Der Zuschauer wird insgesamt ziemlich überwältigt sein von den Mitteln, die wir einsetzen. Das Thalia ist ja bekannt dafür, sehr minimalistisch zu arbeiten, und wir haben im Gegensatz dazu versucht, den Raum maximal zu gestalten. Den Zuschauer erwartet eine komplette, hermetische Welt, die er betrachten kann.

Dass Sie gerne überwältigen, ist bekannt, der Fokus auf die Sprache überrascht hingegen. Oft nehmen Sie die Sprache ja ­extrem zurück.

Mondtag: Aber die „Orestie“ ohne Sprache zu machen wäre ein bisschen … frech. Was dieses Stück ausmacht, ist, neben der spannenden Geschichte, diese Sprachgewalt. In der Übersetzung von Walter Jens stehen teilweise Sätze, die sind so monumental, die sind so universal – was da über den Menschen ausgesagt wird! „Was dann geschah, ich sah es nicht, ich weiß es nicht, ich sag es nicht“! Ich weiß etwas nicht, also sage ich dazu auch nichts – das ist eigentlich ein super Slogan für die Heilung der aktuellen Konfliktlagen! Heute sagen die Menschen zu allem etwas, obwohl sie darüber nichts wissen.

Vor ungefähr einem Jahr haben Sie in Frankfurt mit „Iphigenie“ die Vorgeschichte der „Orestie“ inszeniert. Muss man die Frankfurter Inszenierung kennen, um die Hamburger Inszenierung zu verstehen?

Mondtag: Nee. Tatsächlich habe ich „Iphigenie“ auch in die „Orestie“ eingebaut, mit Iphigenie als wörtlich sprechender Figur. Heiner Müller hat ja einmal gefragt: Wie kann man die „Orestie“ erzählen und außer Acht lassen, dass Iphigenie gar nicht gestorben ist?

Das wissen aber die Figuren in der „Orestie“ nicht!

Mondtag: Genau. Aber wir wissen es. Das ist ein total spannender Plot: Verschiedene politische Systeme werden eingeführt, bis am Ende die Demokratie steht. Und all das wird ausgelöst durch einen Mord, der gar nicht stattgefunden hat. Die ganze Konfliktlage beruht auf einer Lüge! Und wie viele Konfliktlagen in der Gegenwart beruhen eigentlich auf Lügen? Die Behauptung, dass es Massenvernichtungswaffen im Irak gebe, was das ausgelöst hat! Der Irakkrieg, die Instabilität Syriens, der IS, das beruht alles auf einer Information, die eine Lüge war.

Als Thalia-Intendant Joachim Lux bei der Spielzeitpräsentation angekündigt hat, dass Ersan Mondtag die „Orestie“ inszeniert, konnte man denken: Na ja, passt doch, Mondtag macht eigentlich ständig antike Tragödien. Aber das stimmt überhaupt nicht, tatsächlich machen Sie eher wenig Antike. Warum diese Fehlinterpretation?

Mondtag: Ich habe mich das neulich auch gefragt. Also, ich beschäftige mich schon länger mit der Antike – im Studium habe ich einen Abend über die Tragödie gemacht, ausgehend von Jean-Luc Nancys Essay „Nach der Tragödie“, in dem er beschreibt, dass man Tragödien heute nicht aufführen sollte, weil man gar nicht mehr versteht, was da verhandelt wird. Davon ausgehend habe ich als zweiten Schritt „Orpheus“ inszeniert, als stummes Spiel, weil ich die Geschichte so toll fand. Und dann habe ich „Iphigenie“ gemacht in Frankfurt, eigentlich auch stumm. Bei „Ödipus und Antigone“ in Berlin habe ich zum ersten Mal mit Texten gearbeitet. Und jetzt bin ich so weit, dass ich die „Orestie“ inszeniere, wo ich die Textgrundlage ernst nehme, als Ganzes, und versuche, eine Deutung innerhalb der Textwelt zu gestalten. Im Prinzip könnte man sagen: Ich bin im konventionellen Theater angekommen.

Ist ein ironischer Blick wichtig?

Mondtag: Für mich ist Ironie reine Zeitverschwendung. Warum muss ich mich via ironischer Distanzierung über die Welt unterhalten? Ich kann doch auch einfach direkt drüber sprechen.

Inszenieren Sie anders, je nachdem ob Sie in Hamburg, in München oder in Berlin arbeiten?

Mondtag: Klar. In jedem Theater hat man eine andere Truppe, man hat eine andere Leitung, man hat andere Vorgänge. Das beeinflusst immer, welche Arbeitsweise man wählt und zu was für einem Ergebnis man kommt. Ganz selten hat auch die Stadt selbst einen Einfluss: Wenn man in einer Stadt ist, die man überhaupt nicht leiden kann, dann kann sich das positiv auf die Arbeit auswirken, weil man dann Reibung mit der Stadt hat. Das ist in Hamburg übrigens nicht der Fall.

Sie arbeiten sehr viel, andere Regisseure machen zwei, drei Inszenierungen pro Jahr. Haben Sie keine Angst, dass Sie irgendwann ausgebrannt sind?

Mondtag: Ja, das sagen immer alle. Bloß: Ich verstehe, wenn Leute weniger machen, aber ich brauche das nicht. Ich kann mit Freizeit gar nicht umgehen – wenn ich eine Woche nichts zu tun habe, dann bin ich durch. Ich habe hier am Sonnabend Premiere, am Sonntag ist B-Premiere, und am Montag fange ich an, in Berlin zu proben.

„Die Orestie“ Premiere Sa 21.10., 20.00, weitere Vorstellungen: 22.10., 26.10.,
29.10., 11.11., Thalia Theater, Karten unter 328 14-444, www.thalia-theater.de