Hamburg. Joachim Meyerhoff, John le Carré, Salman Rushdie: Mit gleich drei Lesungen empfiehlt sich das Konzerthaus als Ort der Literatur.

Ein Lachton auf genau derselben Frequenz. Das ist es, was Joachim Meyerhoffs Romanhelden – also, die künstlerische Freiheit miteingerechnet, Meyerhoff selbst – mit seiner Noch-nicht-ganz-Eroberung verbindet. Einer Frau, die eine platte Nase hat, riesige Zähne und einen katastrophalen Tanzstil. Für die Meyerhoff-Show in der Elbphilharmonie galt beinah dasselbe: Lachtöne allüberall, gleiche Taktung, allerdings Varianzen in der jeweiligen Ausführung. Während der eine sich wissend in Schmunzeleien erging, überließ sich die andere ganz der prustenden Enthemmung.

Drei Lesungen an einem Tag, nach Meyerhoff noch der britische Schriftsteller John le Carré und Salman Rushdie, der in New York lebt und gleichermaßen Brite wie Inder ist: Der Abschluss­ des Harbour Front Literaturfestivals am Sonntag war hochkarätig. Und Meyerhoff, der Mann, der Präsenz und Gespür für Dialoge, Pointen und Selbstinszenierung von der Bühne in die Bücher transportiert hat, war es also, der vormittags als Allererstes antrat im Großen Saal. Der Schauspieler (Burgtheater Wien, Deutsches Schauspielhaus Hamburg) und Bestsellerautor war die Idealbesetzung für das literarische Debüt der Elbphilharmonie. Er nahm souverän dem Konzerthaus seine Unbelecktheit, was Lesungen angeht. Man könnte auch sagen: seine Jungfräulichkeit.

Neuer, aber auch letzter Band von Meyerhoff

In dem neuen Roman „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ lässt er sein Alter Ego, den selbst ernannten modernen Taugenichts Joachim, die Liebe entdecken. In seinen Münchner Jahren, in denen er die Schauspielschule besuchte und bei den Großeltern lebte, lief nicht viel: „Eine Erektion im sogenannten rosa Zimmer war ein erotisches No-Go“.

Eine WG mit Opa und Oma als lustfeindliche Umgebung, die keineswegs natürlich ist für einen jungen, aufstrebenden Mann, das ist der Ausgangspunkt der neuen Meyerhoff-Abenteuer. Weil der neue und übrigens auch letzte Band, wie den deswegen durchaus enttäuschten Besuchern unmittelbar vor der Lesung mitgeteilt wurde, von Meyerhoffs autobiografischem Zyklus den Frauen gewidmet ist, muss er allerdings wieder hinaus in die Welt. Nach Bielefeld also, nach Dortmund, wo er seinen amourösen Nachholbedarf mit mehreren Damen gleichzeitig stillt. Es ist alles wieder sehr komisch.

Ein eigenartiger Vorgang sei das, „aus dem kleinen Zimmer direkt hierherzukommen“, gestand Meyerhoff dem Publikum, aber wenn einer dem Bild des schreibstubenschüchternen Poeten gerade nicht entspricht, dann ja wohl er.

Es mag derzeit nicht schrecklich viele Orte geben, die so spektakulär sind wie die Elbphilharmonie, ein Bühnenprofi wie Meyerhoff lässt sich davon allerdings nicht entmutigen. Im Gegenteil genoss er die anderthalb Stunden im Rampenlicht sichtlich, die „aufgeblasene Deklamierhölle“, die er in seinem Roman beschreibt, war der Große Saal des Konzerthauses keineswegs.

John le Carré beschwört den Geist Europas

Eine denkbar andere Art von Veranstaltung war die mit John le Carré. Der Auftritt des Schriftstellers, der mit seinem Thriller „Der Spion, der aus der Kälte kam“ weltberühmt wurde, war beeindruckend und bewegend. Fast eine Stunde lang ging der bald 86 Jahre alte Brite in perfektem und gewähltem Deutsch kursorisch durch sein Berufs­leben. Das Studium in der Schweiz und in Oxford, die Jahre beim britischen Geheimdienst, die Zeit in Bonn und in Hamburg, die Anfänge als Schriftsteller – le Carré, der eigentlich David Cornwell heißt, skizzierte die Erlebnisse eines Mannes, der von der Zeit des Kalten Krieges geprägt wurde.

Sein neuer Roman „Das Vermächtnis der Spione“ handelt wieder von der Frontstadt Berlin, von seiner berühmtesten Figur George Smiley und dem Feld, „auf dem die Spione ihre Spiele spielen“, wie John le Carré es ausdrückte. In einer kurzen Stelle seines Romans, die er in seine Rede einflocht, beschwor er den Geist Europas. Dafür heimste le Carré Beifall ein, wie überhaupt das Publikum dankbar jeden völkerverbindenden Satz quittierte, den der Autor formulierte. Er sprach von der „zutiefst fragwürdigen Nostalgie“ seiner Landsleute, mahnte unter dem Gelächter des Publikums aber auch Deutschland: „Halten Sie, um Gottes Willen, nie ein Referendum ab!“

Wegen des Brexits habe er sich noch nie so fremd im eigenen Land gefühlt, sagte le Carré und bekannte, wegen Donald Tump in Sorge um die Welt zu sein: „Man kann aber Trump nicht dafür verantwortlich machen, dass er Trump ist, sondern sein Fußvolk, ohne dieses wäre er nichts.“ John le Carré („In jedem Schriftsteller ist ein Kind, das sich weigert, erwachsen zu werden“) war ein würdiger Botschafter Großbritanniens, ein Redner voller Witz und Charme, und er freute sich, mal wieder in Hamburg zu sein: „Es ist ein enormes Privileg, hier in der Elbphilharmonie zu sein; man spürt trotz der Dimensionen eine Menschlichkeit und Magie, die kaum zu beschreiben ist.“

Es geht Rushdie um Amerika und das, was aus ihm geworden ist

Die dritte Veranstaltung zeigte ebenfalls, dass Literatur politisch sein kann, wenn sie das denn will. Salman Rushdie stellte im Gespräch mit „Spiegel“-Literaturchef Volker Weidermann seinen neuen Roman „Golden House“ vor, der, zumindest ansatzweise, ein Porträt der Obama-Zeit ist und in die Ägide Donald Trumps hineinragt.

„Das Amerika, das ich liebte, vom Winde verweht“, heißt es einmal in Rushdies Roman, der von Einwanderern und ihren Schicksalen erzählt – als Groteske, aber mit erschreckend realistischen Beschreibungen und einem bösen Joker, der niemand anderes als Trump ist. Es geht Rushdie um Amerika und das, was aus ihm geworden ist: ein Land voller comicartiger Lächerlichkeit. „Viele weiße Amerikaner konnten einen schwarzen Präsidenten nicht akzeptieren; das Pendel schlug zurück, es entstand kein progressives Amerika“, erklärte Rushdie auf die Frage, was falsch gelaufen sei.

Rushdie erzählte auch von der Romanentstehung und was „Golden House“ mit seiner Begeisterung für den Film zu tun hat – es entwickelte sich auch ein Gespräch über die Kunst, jenseits von Trump und allem realen Übel.