Glücksburg. “Im Auge des Sturms“ heißt das neue Album. Die Norddeutschen nehmen bewusst in Kauf, auch bei Teilen der Fangemeinde anzuecken.
Seit sechs Jahren kreuzt die Crew der Santiano nun schon durch die Meere der deutschen Pop- und Unterhaltungskultur und hat dabei viele Abenteuer erlebt. Sie meisterte die seichten Gewässer des ZDF-Fernsehgartens ebenso wie die wilden Stürme am Kap Wacken. Mit den drei erfolgreichen Album-Kaperfahrten „Bis ans Ende der Welt“ (2012), „Mit den Gezeiten“ (2013) und „Von Liebe, Tod und Freiheit“ (2015) und den angeschlossenen Tournee-Raubzügen füllten Björn Both, Hans-Timm Hinrichsen, Peter Sage, Axel Stosberg und Andreas Fahnert ihre Goldschatullen bis zum Rand.
Eigentlich könnte das norddeutsche Quintett aus dem Flensburger Raum, das auch noch eine Akustik-Tour und das Kinder-Hörspiel „König der Piraten“ in den Terminkalender gequetscht hat, es sich mit Schirmchen-Cocktails auf einer Karibikinsel gemütlich machen und die Beute aufteilen. „Nee, wenn es eine Welle gibt, dann musst du sie weiter reiten“, winkt Björn Both ab, als Santiano das neue Album „Im Auge des Sturms“ vorstellt. Während die Band mit Freunden, Familie, Produzenten, Textern und Promotern in einer Strandbar in Glücksburg auf die vierte Platte anstößt, fegt Orkan „Xavier“ über Norddeutschland. In Glücksburg aber strahlt die Abendsonne über der Flensburger Förde. Santiano im Auge des Sturms.
Die Energie der Live-Konzerte
Dabei ist es kein ruhiges Album geworden, im Gegenteil. Schwankten und schunkelten die drei Vorgänger noch zwischen Schlager, Shanty und Rock, so ist „Im Auge des Sturms“ ein satt produziertes, lautes Rockalbum geworden. „Wir hatten bei den Aufnahmen immer ein großes Publikum, die große Bühne im Blick“, erzählt Both, und tatsächlich sind das von Klaus Doldingers „Das Boot“-Thema getragene „Könnt ihr mich hören“, „Brüder im Herzen“ und die Fan-Hommage „Wir für euch und ihr für uns“ wohl kaum willkommen bei Carmen Nebel. Das hohe Energieniveau der ausgedehnten Konzertreisen wurde ins Aufnahmestudio übertragen.
Allerdings müssen Santiano-Fans nicht befürchten, dass die Band aus der gewohnten Fahrrinne schlingert. Die von Peter Sage geröhrten Sauf- und Segelnummern gibt es mit „Sail Away“ oder „Hooray For Whiskey“. Und wer die sentimentale Seite mochte, bekommt mit dem herzerweichend komponierten Drama „Die Sehnsucht ist mein Steuermann“ die gelungenste Ballade der Bandgeschichte. Wie schon auf „Von Liebe, Tod und Freiheit“ ist der Tod auch wieder ein ständiger Begleiter: in „Deine Reise endet nie“, „Ihr sollt nicht trauern“ und „Unsere Lieder werden bleiben“. „Das ist uns aber aus Versehen passiert und erst in der Nachbetrachtung aufgefallen. Aber wenn du so wie wir Lebensfreude zelebrierst, dann spürst du auch den Tod umso mehr auf deiner Schulter sitzen“, sagt Both. „Wer das Licht einlädt, sollte auch Platz für Schatten lassen.“ Und das Meer, da sind sich alle einig, steht schon immer auch für Abschied. Und Tod. War es beim Vorgänger die Mär des in der Sturmflut versunkenen „Rungholt“, so sind dieses Mal die „Liekedeeler“ dran, Störtebeker und seine Mannen: „Alle Männer hier, die ich noch passier‘, werden vor dem Tod bewahrt. Und dann fiel sein Kopf, doch er trug ihn noch bis zum elften Kamerad.“ Sagen, Legenden und Seemannsgarn.
"Maritime Romantik"
Wo liegt zeitlich das Ende der maritimen Romantik, bei der Containerschifffahrt? Björn Both verneint lachend: „Nein, Containerschiffe bringen unsere schönen Gitarren und Verstärker über den Atlantik. Die Romantik endet bei diesen Kreuzfahrtdingern. Diese schwimmenden Feriendomizile, die Öl verbrennen und nichts transportieren, sind wirklich überflüssig.“
Warum Hunderte Lieder über Störtebeker geschrieben wurden, aber noch keine über hanseatische Piratenjäger wie Simon von Utrecht oder Berend Karpfanger, ist zumindest aus der Sicht von Santiano schnell erklärt: Einen Störtebeker und seine Geschichte kennt ein jeder, sie ist selbsterklärend, polarisiert, ist schlicht massentauglich. Santiano hat nie bestritten, möglichst viele Menschen erreichen zu wollen.
"Darauf warten wir"
Die Band klang mit ihrem Shanty-Schlager-Folk-Rock-Mix lange Zeit einzigartig und hat eine Nische im Popmarkt gefunden, in die sich mittlerweile weitere Künstler wie die Nürnberger Musketiere dArtagnan oder die Osnabrücker Rock-Piraten Mr. Hurley & die Pulveraffen bewegt haben. Historisierende Popmusik, Folk-Rock oder Mittelalter-Metal, sprich Bands wie Ougenweide, Torfrock, In Extremo, Schandmaul oder Versengold hatten schon immer ein Publikum. Aber wer wie Santiano in drei Jahren drei Nummer-eins-Alben unter das Volk bringt, setzt offensichtlich einen Trend, dem gern im Kielwasser gefolgt wird. „Für uns ist das kein Problem, wir fassen das als Kompliment und nicht als Konkurrenz auf“, bleibt Hans-Timm Hinrichsen gelassen. „Wir wünschen allen viel Glück.“ Und Axel Stosberg ergänzt: „Wenn du im Kabarett verarscht wirst, dann hast du es geschafft. Darauf warten wir bislang noch. Aber vielleicht trauen die sich nicht, wir sind ja immer zu fünft und keine Strichmännchen.“
Meere kennen keine Grenzen
Santiano nimmt jedenfalls kein Blatt vor den Mund. Als Band mit dem Kernthema Freiheit und der Botschaft „Meere kennen keine Grenzen“ sowie klaren Kanten gegen Donald Trump und die AfD nimmt Santiano bewusst in Kauf, bei Teilen der Fangemeinde anzuecken. „Egal wo wir spielen, erklären wir gern, was Freiheit und Heimat für uns bedeuten und wer sie gefährdet. Wir wissen auch, wer Lieder wie ,Frei wie der Wind‘ oder ,Walhalla‘ auf Wahlpartys missbraucht. Wenn ich das anspreche, gibt es auch in Dresden keine Pfiffe, vielleicht den einen oder anderen genervten Blick“, sagt Both. „Die Menschen, die mit unserer Einstellung nicht klarkommen, sind auch viel zu feige, um zu pfeifen“, ergänzt Stosberg. „Die gehen erst mal nach Hause und kotzen sich in der Anonymität des Internets darüber aus, was uns denn einfallen würde, Tausende Fans zu verprellen. Aber warum verlassen dann nicht Tausende vor Konzertende die Halle?“
Santiano ist jedenfalls gegen Obergrenzen, wenn es um die eigene Popularität geht. „Wir haben immer groß gedacht, und wenn es irgendwann heißt: Aztekenstadion – dann machen wir Aztekenstadion.“ Bis dahin fahre man auf Sicht, und nehme auch nicht jeden Vorschlag an. Auf die Frage nach einem Weihnachtsalbum antworten jedenfalls alle fünf im Chor: „Nein. Nein. Nein!“
Santiano: „Im Auge des Sturms“ Album (Universal) im Handel, Konzert: Do 1.3.18, 20.00 Uhr, Barclaycard Arena, Karten ab 45,-
im Vorverkauf; www.santiano-music.de