Hamburg. Bei Kongress in der Elbphilharmonie würdigen viele Experten die Bedeutung der Kreativen. 300 Abendblatt-Leser bei Abschlusskonzert.

„Wir brauchen Kultur nicht, um Stadtplanung zu ermöglichen, wir brauchen Stadtplanung, die der Kultur den Weg ebnet.“ Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda fand gestern auf dem Kongress „Kultur trifft Stadtentwicklung“ klare Worte. Künstler seien nicht dafür da, ein unmittelbares Pro­blem zu lösen, wie beispielsweise den Leerstand einer Immobilie.

Wie wichtig ist Kultur für eine moderne Stadt? Welche Bedeutung haben Denkmäler? Wie muss unsere Generation damit umgehen? Wie kann verhindert werden, dass Investitionen in Kultur und soziale Probleme gegeneinander ausgespielt werden? Über diese Fragen diskutierten nationale und internationale Experten auf dem Kongress in der Elbphilharmonie. Veranstalter ist die Stiftung „Lebendige Stadt“, die von Alexander Otto gegründet wurde. Viele Bürgermeister deutscher Städte, Kommunen und Gemeinden nahmen teil.

Geld für die Kultur oder die Sozialarbeit?

Nach den Worten von Brosda sind Künstler oft Vorreiter bei der Entwicklung vernachlässigter Quartiere. Nicht selten entstünden kreative Milieus in Leerräumen oder auf Brachen – in Hamburg beispielsweise in Hammerbrook. Das sei für die Entwicklung einer Stadt unverzichtbar. Allerdings veränderten Künstler und Kreative ein Viertel auch, was die Gefahr steigender Mieten und der Verdrängung Alteingesessener mit sich bringe. Die Politik könne und müsse hier eingreifen, sagte Brosda. Der Bau von Wohnungen oder die soziale Erhaltensverordnung seien Möglichkeiten, „um eine Aufwertung von Stadt im negativen Sinn zu verhindern“.

In seinem Grußwort zur Eröffnung hatte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) eine Überprüfung von Gesetzen für die Stadtentwicklung angemahnt. Städte seien nur dann lebendig, wenn Kultur, Arbeitsplätze, Verkehr, Freizeit und Parks nebeneinander existierten. „Wer über Kultur redet, muss auch über das Handwerk reden.“ Das unmittelbare Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe sei die Voraussetzung dafür, dass Quartiere lebendig seien. Allerdings verhinderten derzeit geltende Gesetze, dass so eine Stadt heute baubar sei. „Wir sollten uns etwas trauen.“

Zukunft gestalten

Der Architekt Matthias Kohlbecker griff die Forderung von Scholz auf, sieht die Verantwortung aber vor allem bei der Politik. „Man muss das nicht nur sagen, sondern auch tun“, sagte er während einer Podiumsdiskussion und erntete den Beifall des Auditoriums. Auch Hamburgs scheidender Oberbaudirektor Jörn Walter nahm die gewählten Politiker in die Pflicht. Sie müssten am Ende entscheiden, auch wenn heutzutage die Zivilgesellschaft und die Möglichkeit von Volksentscheiden eine wichtige Rolle spielten. Das mache Stadtentwicklung komplizierter.

Walter erinnerte an Perioden, in denen mit Denkmälern anders als heute umgegangen worden sei. Für den Bau der Hamburger Speicherstadt, die inzwischen zum Weltkulturerbe gehöre, seien ein ganzer Stadtteil abgerissen und Zehntausende Menschen umgesiedelt worden. Das Kulturerbe habe maßgeblich zu unserer Identität beigetragen, fügte Walter hinzu. „Es entbindet uns aber nicht, Zukunft zu gestalten: also genau hinzuschauen.“ Den größten Schutz erfahre ein Denkmal heute, wenn es genutzt werde.

Denkmal ohne Nutzung sinnlos

Darin war sich die Runde einig. Ohne Nutzung sei ein Denkmal sinnlos, ergänzte Matthias Kohlbecker. Annekatrin Klepsch, Dresdens zweite Bürgermeisterin, verwies in diesem Zusammenhang auf den Kulturpalast im Zentrum der sächsischen Elbmetropole, der der erste frei stehende Industriekulturbau der DDR war. Ursprünglich habe man das Gebäude abreißen wollen, allerdings hätte das eine Mehrheit der Dresdner abgelehnt. Deshalb habe man sich entschieden, lediglich den Konzertsaal von Grund auf zu erneuern.

Zugleich sei in dem „neuen“ Kulturpalast eine Bibliothek eingerichtet worden, „die eine ganztägige Nutzung“ erlaube, sagte Klepsch. Jörn Walter, der vor seinem Hamburger Engagement gut ein Jahrzehnt in Dresden gearbeitet hatte, erinnerte in diesem Zusammenhang daran: „Wir sind die erste Generation, die nicht einfach abreißt.“ Das sei ein großer kultureller Fortschritt. Das dürfe seine Generation allerdings nicht daran hindern, Neues – auch zu Lasten historischer Bauten – zu errichten.

Spannung zwischen Kultur und Sozialarbeit

Nicole Colin, Professorin für Kulturwissenschaften an der Universität Aix-Marseille, hatte am Vormittag in ihrem Referat auf die Spannung zwischen Kultur und Sozialarbeit hingewiesen. Zum einem sei es in den vergangenen Jahrzehnten ein großer Schritt gewesen, die Kultur aus ihrem Elfenbeinturm zu befreien. Inzwischen spreche man von Kulturleuchttürmen, „die gut sichtbar, aber allen zugänglich sind“.

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bei
seiner Rede
Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bei seiner Rede © Fishing4 / Thorge Huter

Andererseits werde angesichts vieler sozialer Probleme in großen Metropolen vermehrt die Frage nach der Funktion von Kunst und Kultur in einer Stadt gestellt. Kultur lasse sich stets gegen soziale Not ausspielen, sagte Colin. Allerdings würden kulturelle Aktivitäten nicht auf unmittelbare Bedürfnisse eines Menschen antworten, sondern Freiräume für freie Entfaltung des Einzelnen zur Verfügung stellen.

Misserfolge von kulturellen Leuchtturmprojekten wögen angesichts der schwierige Finanzsituation vieler Städte besonders schwer, sagte Colin. In Marseille beispielsweise sei für 80 Millionen Euro ein Zentrum für die Kultur des Mittelmeerraumes geschaffen worden, das bislang nicht funktioniere, weil keine Klarheit über Inhalte herrsche. In der öffentlichen Meinung werde das Zentrum inzwischen als Fall von Steuerverschwendung betrachtet.

Kulturleuchttürme seien unverzichtbar

Nichtsdestotrotz seien Kulturleuchttürme unverzichtbar, sagte Colin. Zum einen dienten sie der Außendarstellung einer Stadt und den in der Metropole lebenden Menschen. Zum anderen seien über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Kultureinrichtungen widerstandsfähiger gegenüber Kürzungen von Geld. „Das Verschwinden von kleinen Kultureinrichtungen ist einfacher als das von großen“, sagte Colin.

Der Kongress ging gestern Abend mit einem Konzert im Großen Saal zu Ende. Mit dabei: 300 Abendblatt-Leser, die von Alexander Otto begrüßt wurden.