Hamburg. Die Sopranistin Marlis Petersen singt, und die Trockenlegung vor dem Kleinen Saal der Elbphilharmonie dauert an.

Die Garderobe ist vorübergehend auf der Plaza untergebracht. Und auf dem Weg nach oben müffelt es ein bisschen, nach der weißen Farbe auf den Pappwänden, mit denen ein Großteil des Foyers abgetrennt ist. Bilder einer Baustelle: Da sind die Renovierungsarbeiten nach dem Wasserschaden in der Elbphilharmonie deutlich zu sehen und zu riechen.

Aber der Kleine Saal selbst, der ist problemlos zugänglich und unbeschadet. Er hat jetzt seine endgültige, vom Akustiker Yasuhisa Toyota feinjustierte Form, mit gleichmäßig nach innen versetzten Eichenholzpaneelen auf der linken Seite – und er klingt vielleicht noch eine Spur wärmer als vorher, wenn der Eindruck nicht täuscht.

Petersen erweist sich als begnadete Erzählerin

Marlis Petersen braucht einen klitzekleinen Moment, um die Einladung des Raums anzunehmen und die Strahlkraft ihres Soprans auf den wohnzimmerhaft intimen Schummerton herunterzudimmen, der hier möglich ist. Dann taucht sie mit ihrem Klavierpartner Camillo Radicke ganz in die Welt der Pastellfarben ein, mit denen die französischen Komponisten so gern malten.

Die Sängerin eröffnet die neue Saison im kleinen Saal mit Liedern über die Liebe. Obwohl sie etwa in ihrer Paraderolle als Alban Bergs „Lulu“ auf den Opernbühnen der Welt jahrelang vokale Grenzen ausgereizt hat, sind ihr die Strapazen nicht anzumerken. Petersen führt ihre Stimme geschmeidig und spürt den Nuancen der Musik mit ihrem hellen Tim­bre nach: Wenn sie in Henri Duparcs „Chanson triste“ über die Klavierarpeggien haucht und damit einen sanften Sommermondenschein beschwört, oder wenn sie im Lied „Notre amour“ von Gabriel Fauré von der federleichten Liebe schwärmt und die Töne nur antippt.

Weicher Legato-Fluss der Lieder

Die Sopranistin widersteht der Versuchung, im weichen Legato-Fluss der Lieder zu versinken und formt die Konturen der Sprache so klar, wie es die Musik zulässt. Dabei hat sie mit Camillo Radicke einen Pianisten an der Seite, der ihre Phrasen und feinen Zäsuren mit­atmet. Aus dem vertrauten Zusammenspiel erwachsen in der ersten Hälfte zarte Stimmungsbilder und duftige Klänge, denen man mehr als einmal gewünscht hätte, dass sie sich unbeklatscht im Raum ausbreiten dürfen. Gerade bei den leise nachhallenden Schlussakkorden.

Nach der Pause singt Marlis Petersen selten aufgeführte Richard-Strauss-Lieder und präsentiert sich auch da als begnadete Erzählerin, die den oft sehr blumigen Textinhalt mit klarer Diktion, reich differenziertem Klang und einer wachen Körpersprache zum Leben erweckt. Aber vielleicht sind manche der Stücke eben doch besser im Strauss-Archiv als auf der Konzertbühne aufgehoben. Erst mit den Zugaben von zweien seiner schönsten Lieder („Zueignung“ und „Allerseelen“) kehrt die Zauberstimmung des ersten Teils zurück.

Ein starker, teilweise berückender Neustart des kleinen Saals, dessen Foyer voraussichtlich noch bis Ende November renoviert wird. Konzertverschiebungen soll es, Stand jetzt, keine geben. Falls doch, will die Elbphilharmonie ihre Besucher rechtzeitig informieren.