Hamburg. Metallica, Depeche Mode, Guns N‘ Roses und immer wieder die Toten Hosen: Die Hamburger Markthalle rockt die Musikgeschichte.

Mehr als 10.000 Veranstaltungen in 40 Jahren mit mehr als zwei Millionen Besuchern: Die Markthalle am Klosterwall ist aus der Hamburger Musikgeschichte nicht wegzudenken, sie strahlt weit über die Stadt hinaus. Kaum zu glauben, wer hier alles schon gespielt hat. Metallica und Iron Maiden waren da, bevor sie zu Weltstars wurden, ebenso Depeche Mode, Guns ‘N Roses und AC/DC.

Die legendärsten Konzerte in der Markthalle

3. März 1977

Staus Quo

4. Oktober 1977

AC/DC

11. September 1978

The Ramones

18. Mai 1978

Charles Bukowski

11. Januar 1980

The Police

19. Mai 1980

The Clash

26. September 1980

Marius Müller-Westernhagen

10. April 1981

Iron Maiden

25. September 1981

 Depeche Mode

22. März 1982

Herbert Grönemeyer

23. März 1983

The Eurythmics

25. März 1983

Die Toten Hosen

14. November 1983

Nina Hagen

9. Dezember 1984

Metallica

3. April 1985

Bryan Adams

10. Oktober 1985

R.E.M.

29. September 1987

Guns N’ Roses

10.. März 1988

Sinead O’Connor

11. November 1991

Nirvana

10. März 1992

Pearl Jam

6. September 1994

Die Ärzte

21. November 1994

Oasis

5. Juni 1996

Yoko Ono

10. November 1997

Robbie Williams

12. September 2007

Volbeat

1/25

Doch es waren nicht nur die ganz Großen, an die sich erinnert, wer auf vier Jahrzehnte Markthalle zurückblickt. Unzählige Abende haben Abendblatt-Mitarbeiter hier seit ihren Jugendtagen verbracht, oft in Enge und Hitze, gelegentlich in Bierlachen stehend und von Zigarettenrauch umnebelt. So manches mal klebte das T-Shirt am Körper, ließ das Fiepen in den Ohren erst nach Stunden nach – aber gelohnt hat es sich doch in den allermeisten Fällen. Legendäre Indierock- und Metalbands waren hier, in Hauptbahnhofnähe, zu erleben, und an manchen Nächten wurde im Stroboskopgewitter einfach nur getanzt, bis der Morgen kam. Schön war die Zeit, schön sind unsere Erinnerungen. Auf die nächsten 40 Jahre! Holger True

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Die Karte für das
Markthallen-Konzert
der Cramps
Die Karte für das Markthallen-Konzert der Cramps © privat

Die pure Penis-Raserei

Sie galten in den 80er-Jahren als die wildeste Rockband der New Yorker Szene: The Cramps. Sänger Lux Interior und Gitarristin Poison Ivy waren ein Duo, das aus Rockabilly, Horror und Porno ein trashiges Punk-Gebräu auf die Bühne brachten. Am 18. April 1986 gastiert die Band mit den so unterschiedlichen Protagonisten in der Markthalle. Poison Ivy, mit roter Mähne und im kurzen Glitzerkleidchen, steht stoisch da und drischt Akkord auf Akkord auf ihrer Gitarre, Lux Interior, nur mit einer hautengen Latex-Hose bekleidet, rast dagegen über die Bühne, schmeißt sich auf den Boden und schreit die Texte ins Mikrofon. The Cramps, das ist Ekstase, Erotik und Exhibitionismus. Mitten in der Show greift Interior sich in die Hose, holt seinen Penis raus, schwingt ihn, um ihn dann sichtbar im Hosenbund einzuklemmen. In den USA würde er dafür vielleicht verhaftet, in Hamburg quittiert das Publikum die Aktion mit lautem Johlen – und weiter geht es mit dem Song „Can Your Pussy Do The Dog“. Heinrich Oehmsen

The Clash am 19. Mai 1980 in der Markthalle. Wenig
später flogen Bierbecher, kam die Polizei
The Clash am 19. Mai 1980 in der Markthalle. Wenig später flogen Bierbecher, kam die Polizei © picture-alliance

Verhaftung auf der Bühne

Es war der 19. Mai 1980, die britische Band The Clash spielte in der Markthalle, eine der ersten Punkbands, 1976 gegründet. Aber die Jungs um Sänger Joe Strummer wollten mehr als nur Punk machen. Einige Monate vor dem Konzert war „London Calling“ erschienen, ihr berühmtestes Album, ihr erfolgreichstes. Der Nachteil: Fortan galt die Männer von The Clash als Verräter in der puristischen Punkszene, der kommerzielle Erfolg genügte, ihnen Tod und Teufel an den Hals zu wünschen. In der Markthalle wurde das Verdikt in flüssiger Form umgesetzt: Kaum hatte die Band die Bühne betreten, hagelte es aus den ersten Reihen Bierbecher auf die Musiker. Reichlich Treffer inklusive. Strummer wand sich wie ein Aal auf dem Trockenen, um den Geschossen auszuweichen - keine Chance. Dass er irgendwann in die Offensive ging, war verständlich. Die Wahl der Waffe allerdings nicht: Wild schlug er mit dem Mikrofonständer auf die Bierwerfer ein, keine gute Idee, wenige Minuten später wurde er auf der Bühne festgenommen. Das Konzert war vorbei, nach gefühlten 40 Minuten. Historisch aber war’s. Schade um das schöne Bier. Volker Albers

Ein Kuss als Dankeschön

Die Karten für das Konzert der Flaming Lips in der Markthalle im Mai 2006 hatte mir meine Tochter zum Geburtstag geschenkt. Ich hatte die Band schon in Roskilde gehört und wusste, die Pop-Exzentriker aus Oklahoma liefern zuverlässig großen Budenzauber ab. Am Eingang der Markthalle sprach uns eine junge Frau an. Ob wir Lust hätten, auf der Bühne mitzutanzen. Neben den Flaming Lips, wow! In jugendlichem Übermut sagten wir Ja. Zur Wahl standen zwei Kostüme: Weihnachtsmann (rote Kutte mit Bart) oder Alien (silberner Neopren-Ganzkörperanzug). Die Markthalle war ausverkauft, die Bühne in gefühlte 70.000 Gigawatt Scheinwerferlicht getaucht, und natürlich ging es sofort los mit Riesenluftballons, Konfettipistolen und Nebelschwaden. Wir gaben alles. Schon nach kurzer Zeit klebten uns die Weihnachtsmannkutten auf der Haut, während zwei männliche Freiwillige, die als Aliens mittanzten, in ihren Neoprenanzügen förmlich gedünstet wurden. Wie lange wir durchgehalten haben, weiß ich nicht mehr, trotz allem war es ein Riesenspaß, und Sänger Wayne Coyne bedankte sich hinterher mit einem Kuss. Irene Jung

Weißes Netzhemd – Wahnsinn

Ende der 70er hatte in Großbritannien das Ska-Revival eingesetzt. Als am 29. November 1981 Madness live spielte, war das ‘ne große Nummer. Die Musiker sahen zwar nicht ganz so lustig und schnieke aus wie auf dem Cover ihres Debütalbums „One Step Beyond“, doch ihre Mischung aus Pop, Punk und Ska ging in die Beine und verwandelte die Markthalle in eine Sauna. Dafür sorgten auch die Kameras des WDR, der das Konzert für seine „Rockpalast“-Reihe aufzeichnete. Leider versperrten diese meist die Sicht auf die Bühne. Von hinten war nur Saxofonist Lee Thompson zu sehen – er trug ein hässliches weißes Netzhemd. Und als Frontmann Graham McPherson zum Schluss an den Absperrgittern nach seinem „One Step ...“ von Besuchern jeweils ein „Beyond!“ einforderte, war der Wahnsinn komplett. Stefan Reckziegel

Luft zum Atmen

„In der Erinnerung verklärt sich ja einiges. Mitunter, da erscheint einem aber das Ereignis selbst bereits wie ein schön-verschleierter Fiebertraum. Moloko in der Markthalle. Der Mai 2000. Vermutlich ausverkauft. Gefühlt auf jeden Fall. Körper an Körper, Schweiß an Schweiß, Glück an Glück. Waren das damals über 40 Grad Celcius im Saal? Egal. Als Sängerin Róisín Murphy ihren betörenden Gesang zu flirrenden Electro-Grooves zu uns herüberschickte, verwandelte sich der Club in eine subtropische Disco. Und wir, wir tanzten in einer schwülen Sphäre, in der sich alles in schönstes Wohlgefallen aufzulösen schien. Madame Murphy sang den Moloko- Hit „The Time Is Now“. Die Zeilen waren wie geschrieben für diese Nacht: „You’re my last breath / you’re a breath of fresh air to me“ (Du bist mein letzter Atemzug / Du bist wie eine frische Brise für mich). Musik war unsere Luft zum Atmen. Und wir meinen uns noch zu erinnern, dass sich La Murphy in einem Spiegelkugelkleid auf der Bühne drehte. Aber vielleicht haben wir das auch nur geträumt – in der Hitze der Markthalle. Birgit Reuther

Eine Überdosis Adrenalin

Der Ruf, unberechenbar irre zu sein, eilte der Band voraus: Bei Auftritten in ihrer britischen Heimat hatte The Jesus and Mary Chain keine Gefangenen gemacht. Konzerte in Sheffield und Birmingham waren verboten oder von der Polizei abgebrochen worden, in London gab es wüste Prügeleien. Entsprechend gespannt ging ich am 6. November 1985 in die Markthalle. 13 Mark hatte das Ticket gekostet, im Nachhinein ein echtes Schnäppchen, wurde an diesem Abend doch Hamburger Konzertgeschichte geschrieben. Die Band betrat unübersehbar misslaunig die Bühne; die Instrumente wurden eingestöpselt, dann ging’s los: zuckersüße Melodien gepaart mit bedingungslosem Krach, irre laut. Eine Feedback-Orgie, die nach etwa 20 Minuten völlig aus dem Ruder lief. Das Schlagzeug flog um, Gitarren wurden auf den Boden gepfeffert, es fiepte nur noch aus den Boxen und weg war die Band. Zurück blieb ich mit klopfendem Herzen, eine Überdosis Adrenalin im Blut, und der Gewissheit, einen legendären Abend erlebt zu haben. Holger True