Hamburg. Mit 171.00 Besuchern ist das Schleswig-Holstein Musik Festival weiter auf Rekordkurs. 131-mal waren Konzerte ausverkauft.
Ein Komponist, von dem viele bislang nur ein einziges Stück kannten, den „Bolero“, der im Kern aus nur einer einzigen Rhythmus-Idee besteht. Dazu ein noch junger Solist, dessen Instrumentchen – die Mandoline – im Vergleich zu einem ausgewachsenen Konzertflügel fast an Spielzeug erinnert. Mit Maurice Ravel und dem Virtuosen Avi Avital hat sich das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) in diesem Sommer theoretisch auf einen programmatischen Drahtseilakt eingelassen.
Praktisch jedoch ging diese Risiko-Rechnung des SHMF, das an diesem Wochenende mit Orffs „Carmina Burana“ in Kiel ausklang, offenbar bestens auf: Rekordmeldungen bei der SHMF-Besucherbilanz, zum vierten Mal in Folge. Voller Erfolg also. Intendant Christian Kuhnt jubilierte entsprechend: „Die großartige Bilanz zeigt, dass unser Publikum der Idee des Komponistenschwerpunkts und des Porträtsolisten mit immer größer werdender Neugier folgt“, sagte er, „wir schweben auf einer Wolke der Euphorie und des ungläubigen Staunens.“
131-mal waren Konzerte ausverkauft
Verständlich ist es. 171.000 SHMF-Karten gingen weg, 131-mal waren Konzerte ausverkauft. Die Gesamtauslastung der 198 Veranstaltungen lag bei 90 Prozent – eine ebenso wichtige wie variable Messgröße, denn kleinere Gutshof-Scheunen, von jeher das Markenzeichen des Sommer- und Flächenland-Festivals, sind schneller pro-zentual gefüllt als Säle oder Hallen. Dass am Ende alle 20 Avital-Termine ausverkauft waren, liest sich großartig und ist es auch. Es hat aber auch damit zu tun, dass er mit seinem ebenso zierlichen wie exotischen Saiteninstrument eindeutig kein Musiker ist, der Komplettauslastungen der großen Spielstätten leisten kann.
Nachdem in früheren SHMF-Jahren die Betonung auf Länderschwerpunkten lag, was sich von Sommer zu Sommer als schwieriger – oder undankbarer – erwies, ist die Kopplung aus Komponist und Künstler mit massiver Spielplan-Präsenz nun offenbar solider Garant für gute Zahlen. Das SHMF, mittlerweile 31 Jahre alt, ist außerdem längst eine gelernte Kulturmarke, fest verankert im touristischen Kalender des nördlichsten Bundeslands. Zur Akzeptanz gerade der letzten Jahre trägt sicher auch bei, dass Intendant Kuhnt auch populäre Nichtklassik ins Ge-samtsortiment einfädelt, in diesem Sommer unter anderem Axel Prahl, Chilly Gonzales oder Gustav Peter Wöhler.
Der Kassensturz 2017 läuft noch, erklärte Kuhnt. Zum wirtschaftlichen Ergebnis könne man erst etwas sagen, wenn alles abgerechnet sei. „Aber so viel steht schon fest: Wir werden zum vierten Mal in Folge unseren Wirtschaftsplan nicht verfehlen.“
Mehrere große Anteile seiner positiven Bilanz hat das SHMF wohl vor allem Hamburg zu verdanken: Da wäre zunächst die finanzielle Unterstützung zu nennen, direkt durch Sponsoren und Partner, ohne die kein Festival über seine Runden käme, und indirekt durch Publikum aus der Millionenstadt. Als Spielort ist die Metropole seit Langem eine sichere Bank in der SHMF-Kalkulation.
Enormer Aufschwung
19 SHMF-Konzerte fanden seit Anfang Juli hier statt, an sieben Spielorten, vom Klassiker Laeiszhalle bis zur S-Bahn-Station am Flughafen für eine Clubnacht. Nächster, für die gesamte Branche wichtiger Aspekt ist der erfreuliche enorme Aufschwung, den das Thema Klassik hierzulande generell durch den Run auf die Elbphilharmonie erlebt. Je knapper die Karten dort sind, desto größer der Ausweichansporn, andernorts die Neugierde auf dieses Kulturgut zu befriedigen, wo es noch freie Plätze hat.
Vor allem aber: Für die Steigerung der SHMF-Besucherzahlen ist die Elbphilharmonie selbst die allererste, sicherste Adresse. Ein Konzerttermin dort ist wie eine Lizenz zum Gelddrucken, das wird sich so schnell kaum ändern. Der überlange „Ravel total“- Klavier-Soloabend mit Bertrand Chamayou hätte wohl, obwohl es ihm zu wünschen gewesen wäre, in keiner anderen Location 2100 Menschen angelockt.
Konzertsaal mit Ausverkauft-Garantie
Erstaunlich also, dass Kuhnt, der in seiner Begrüßungsrede vor Chamayous Auftritt so euphorisch klang, nun in einem Bilanz-Interview mit den „Lübecker Nachrichten“ über diese Prestige-Spielstätte ganz andere Töne zu Protokoll gab: „Wer eine sterile Konzertatmosphäre haben will, soll nach Hamburg in die Elbphilharmonie gehen.“
Eben dort hatte sich das SHMF 2017 mit neun Konzerten eingemietet, das allein sind 4,5 Prozent aller SHMF-Termine. Neunmal prall gefüllter Großer Saal macht, trotz aller Kosten, rund 18.900 Karten. Etwa elf Prozent der diesjährigen SHMF-Tickets also wurden am Hamburger Elbufer abgesessen, in einem Konzertsaal mit Ausverkauft-Garantie – ein Umstand, von dem das SHMF in diesem Jahr kräftig profitiert hat.