Rellingen. Beim Schleswig-Holstein Musik Festival gab Ian Bostridge ein Recital in Rellingen. “Ein spannender und bahnbrechender Klangkosmos“.

Sie ist ein Kleinod der Barock-Kirchen in Norddeutschland, auch wegen ihrer ungewöhnlichen achteckigen Form. Drinnen fühlt man sich irgendwie heimelig, denn die strenge hierarchische Teilung – hinten die Gemeinde, vorne der Pastor – gibt’s hier nicht. Selbst die hochgelegene Kanzel ist auf derselben Ebene wie die Empore, auf der ebenfalls Plätze für die Gemeinde sind. Dann die schöne alte Orgel, die kunstsinnige und feine Ausstattung des Kirchenraums, außerdem eine gute Akustik. Kein Wunder, dass das Schleswig-Holstein Musik Festival(SHMF) schon vor 30 Jahren die Rellinger Kirche als Konzertort auswählte. Jetzt gaben der englische Tenor Ian Bostridge und sein Klavierpartner Julius Drake ein Lied-Recital im Rahmen des SHMF in Rellingen.

Singen als natürlichste Sache der Welt

Ganz französisch ging es in diesem Programm zu, ein kleiner Kontrast zur deutschen, spätbarocken Kirchenarchitektur. Aber warum nicht, das erzeugt Spannung und inspiriert. Für die Künste nicht das Schlechteste.

Ian Bostridge jedenfalls schien sich wohlzufühlen. Das Herz des britischen Startenors und promovierten Historikers schlägt für den Liedgesang, es sei seine erste Liebe, wie er einmal im Interview verriet. Er wirkte so frei in Rellingen, ganz klar: Singen ist für ihn die natürlichste Sache der Welt!

Maurice Ravel ist das Komponisten-Porträt beim diesjährigen SHMF gewidmet, Bostridge hatte den dreiteiligen Lied-Zyklus „Shéhérazade“ in seinem Recital-Programm. Es erklangen aber auch Debussy, Poulenc und Berlioz. Hector Berlioz’ Zyklus „Nuits d’été“ (Sommernächte) von 1840 waren die frühesten Werke des Abends. Hier darf der Sänger auch mal in langen, manchmal ziemlich verschlungenen Melodien schwelgen, der Stimme freien Lauf lassen.

Bostridge schien es zu genießen, dass der Klang seines schönen, eher leichten und hellen Tenors sich einmal im Raum entfalten konnte, wie etwa in „Le spectre de la rose“. Der Dichter Théophile Gautier hat hier den „Geist einer Rose“ erfunden, die seine Geliebte auf einem Ball trug. Eine Geliebte allerdings, die unerreichbar schien, es ist auch von Tod die Rede.

Er sprach mehr, als dass er sang

Der Hauch von Melancholie durchweht die späteren Lieder und Gedichte um und nach 1900 noch viel stärker als bei Berlioz und Gautier. Bei diesen sogenannten „mélodies françaises“ dominiert das Deklamatorische. Die Musik folgt hier der Melodie der Sprache. Ian Bostridge näherte sich dieser oft schwebenden Lyrik, unter anderem von Apolinaire, Verlaine, Éluard, und der ein wenig mystischen Musik erstaunlich intellektuell. Man spürte sein Bemühen um einen möglichst französischen Klang. Aber nicht selten sprach er mehr, als dass er sang, was den musikalischen Fluss etwas hemmte. Da überzeugte mehr die dynamische Skala, die Bos­tridge parat hatte, vom kaum hörbaren Pianissimo bis zum scharf schneidenden Forte.

Im Französischen ist es schwer für Nichtmuttersprachler

Dennoch: Als Hörer fühlte man sich zu wenig mit hineingenommen in diese schillernde Welt des Symbolismus und Surrealismus. Wo Schmerz, Melancholie und vergebliche Liebe dominieren. Wo die Dichter in ihren poetischen Texten schon mit Worten Musik und Magie erzeugen. Selbst im Deutschen rätselt man bei dieser Poesie, was gemeint sein könnte, und darin liegt ja auch ihr Zauber.

Wie schwer ist es dann im Französischen für einen Nichtmuttersprachler! Es schien auch Ian Bostridge nicht leicht zu fallen, und sein Französisch war schwer zu verstehen. Problematisch war bisweilen auch eine leichte Intonationsunsicherheit. Trotzdem berührte der Zauber der indifferenten Klänge, bei denen wie bei Aquarellen die Farben ineinanderfließen.

Fast durchgehend dominiert ein elegischer, introvertierter Ton wie etwa bei Debussys „Colloque sentimental“ oder Ravels „L’indifférent“ – und Ian Bostridge gelangen berührende, spannungsreiche Momente. Erfrischend waren die wenigen, rhythmischer angelegten „mélodies“, etwa Debussys „Le faune“, wo man einen lachenden alten „Terrakotta-Faun“ förmlich durch die Landschaft staksen hören konnte. Daran hatte Ian Bostridge Vergnügen, dagegen geriet man fast ins Schaudern von der Intensität, mit der er geradezu beschwörend von der Sehnsucht nach dem Orient in Ravels „Shéhérazade“ sang.

Mit Julius Drake hatte Bostridge einen fantastischen Lied-Pianisten mit einem ungeheuer breiten Ausdrucksspektrum an seiner Seite. Seine fein abgestufte Farb- und Anschlagsskala erzählten wunderbar von den Geheimnissen dieser impressionistischen Welt.