Cellistin spielt gleich viermal im Norden. Im Interview spricht sie über Schmerzen bei Konzerten und die Rolle ihrer Mutter.

Mit einem Lächeln betritt Sol Gabetta das Kastens Hotel Luisenhof in der Hannoveraner Innenstadt. Zart ist sie und wirkt in Jeans und Bluse eher wie ein Schulmädchen denn wie eine Mittdreißigerin. Dass zu ihren Signierstunden nach Konzerten viele junge Cello-Schülerinnen kommen, passt ins Bild: Die Musikerin Sol Gabetta ist gefühlt eine von ihnen. Ein Weltstar zum Anfassen.

Als Tochter französisch-russischer Eltern wuchs sie in Argentinien auf und gewann im Alter von zehn Jahren den ersten Cello-Wettbewerb. Ihre Debüt-CD mit Werken von Tschaikowski, Saint-Saëns und Ginastera sorgte 2006 für großes Aufsehen, mittlerweile hat sie mehr als 15 Alben veröffentlicht, wurde dreimal mit dem Echo Klassik ausgezeichnet und war 2014 Residenzkünstlerin des Schleswig-Holstein Musik Festivals.

Sol Gabetta auf CD – drei Empfehlungen

Ende Mai ist sie Mutter eines Jungen geworden, hat aber schon wieder einige Konzerte gespielt. Im Rahmen des SHMF tritt sie am 21. August in Kiel (für Karten gibt es derzeit eine Warteliste), am 22. August in der Elbphilharmonie (ausverkauft) und am 23. August in Glückstadt (Restkarten) auf. Am 10. April 2018 spielt sie mit dem Hagen Quartett erneut in der Elbphilharmonie (ebenfalls ausverkauft).

Ein Gespräch über Disziplin, Durchhaltewillen und die Fähigkeit, auch mal loszulassen.

Frau Gabetta, Sie haben den Ruf, als Musikerin ausgesprochen diszipliniert zu sein, gibt es überhaupt Tage, an denen Sie das Cello nicht zur Hand nehmen?

Sol Gabetta: Eigentlich übe ich täglich. Es sei denn, mein Instrument ist zur Reparatur oder ich habe Interviewtage und bin ohne Cello gereist. Als ich 17 war, habe ich bis zu 14 Stunden am Tag geübt. Es klingt vielleicht seltsam, aber das war keine Pflicht für mich, ich habe es geliebt. Ich wollte was erreichen, perfekt werden. Hätte ich das nicht geschafft, wäre ich vermutlich in eine andere künstlerische Richtung gegangen. Ich habe große Meister am Cello erlebt und mich immer gefragt, wie ich dieses Niveau erreichen und dabei meinen eigenen Klang finden kann. Vieles ist mir gelungen, aber die Suche geht immer weiter.

Gab es Phasen, in denen Sie sich zum Üben zwingen mussten?

Gabetta: Kein Kind will über einen langen Zeitraum allein üben. Am Anfang ist die Begeisterung noch groß, aber die lässt irgendwann nach. Und dann war meine Mutter für mich da. Wenn ich drei Stunden gespielt habe, dann ist sie eben nicht Shoppen gegangen, nein, sie hat sich zu mir gesetzt, hat gelesen oder gestrickt. Sie war immer bei mir. Das Problem ist heute häufig: Die Eltern möchten, dass ihre Kinder etwas tun, aber sie wollen selbst nicht die notwendige Zeit investieren.

Ihnen sind die vielen Übungsstunden also leicht gefallen?

Gabetta: Als ich drei, vier, fünf Jahre alt war, fand ich eine Stunde Cello super, aber auf drei Stunden hatte ich manchmal keine Lust. Vor allem, wenn meine Freunde vor der Tür warteten, um mich zum Spielen abzuholen. Andererseits wusste ich immer: Nach den drei Stunden kann ich machen, was ich will. Meine Mutter hat mir nämlich große Freiheiten gelassen. Außerdem wollte ich ja unbedingt Cello spielen. Ich bin jeden Morgen um fünf aufgestanden, um noch mehr Zeit zum Üben zu haben. Heute bin ich immer noch eine Frühaufsteherin. Selbst wenn ich mal erst um zwei Uhr morgens ins Bett gehe, bin ich spätestens um sieben wieder wach.

Ihr Mutter war Pianistin, war der Weg in die Musik da für sie vorgezeichnet?

Gabetta: Ich habe im Kindergarten viel gesungen, dann wollte ich Pianistin werden wie meine Mutter. Mit sechs Jahren habe ich mit der Klarinette angefangen, habe Ballett getanzt und Theater gespielt. Und das, obwohl ich damals eigentlich sehr schüchtern war. Ich wollte zum Beispiel nie bei Freunden übernachten. Es war mir zu fremd, deshalb kamen alle immer zu mir. Ein wenig bin ich heute noch so. Journalisten Telefoninterviews geben, die ich nicht kenne, ich ein Horror für mich. Aber die Bühne war für mich immer ein Raum der Freiheit. Dort fühle ich mich überhaupt nicht eingeschüchtert. Ich wollte immer brillieren, die Solistin sein.

Klingt nach viel Ehrgeiz und hohem ­Einsatz ...

Gabetta: Darin liegt natürlich auch eine gewisse Gefahr: Mit 17 war ich an der Grenze zur Magersucht. Wie viele andere Mädchen in dem Alter wollte ich unbedingt schlank sein. Also habe ich wenig gegessen, viel Sport getrieben und eben auch sehr viel Cello geübt. Mental war ich in dieser Zeit so stark wie nie. Ich fühlte eine unglaubliche Kraft. Aber meine Mutter hat dann eine klare Ansage gemacht und mir gesagt, dass sie mich ins Krankenhaus bringt, wenn das nicht aufhört. Letztlich hat das ausgereicht, damit ich wieder in die Spur kam.

Was hat ihr Lehrer Ivan Monighetti, zu dem Sie bis heute ein sehr enges Verhältnis haben, zu all dem gesagt?

Gabetta: Er war schon damals wie ein zweiter Vater für mich und passt immer noch auf mich auf. Oft musste er mich bremsen, etwa wenn es darum ging, dass ich nicht an zu vielen Wettbewerben teilnehme. Ich bin im Sternzeichen Widder geboren und vielleicht auch deshalb sehr ungeduldig. Manchmal war es hart zu lernen, dass ich mir für manches Zeit lassen muss. Monighetti hat mir jedenfalls beigebracht, geduldiger zu sein.

Können Sie auch loslassen und einfach mal nichts tun?

Gabetta: Das versuche ich immer mehr. Einerseits brauche ich die Musik zum Leben. Andererseits ist es wirklich wichtig, auch muskulär ordentlich zu regenerieren. Wenn ich auf Tour bin und täglich spiele, nehme ich mir auch Auszeiten und schlafe zwischendurch zwei Stunden. Anders geht es nicht, sonst bin ich abends tot.

Das Cellospiel auf Ihren Niveau ist Hochleistungssport. Haben Sie, ähnlich wie Sportler, mit typischen Verletzungen zu kämpfen?

Gabetta: Ich hatte schon als Kind sehr kräftige Finger, das hilft. Aber es gibt da einen typischen Riss unter dem Fingernagel, der außerordentlich schmerzt. Am schlimmsten ist es natürlich, wenn so etwas während des Konzerts passiert und ich ja weiterspielen muss. Oft versuche ich, den Schmerz psychologisch zu behandeln und denke zum Beispiel an eine Balletttänzerin, die viel stärkere Schmerzen hat als ich und trotzdem tanzt. Der Kopf spielt bei so etwas eine große Rolle.

Wie viele Konzerte spielen Sie durchschnittlich im Jahr?

Gabetta: Früher waren es bis zu 130, jetzt sind es noch etwa 110. Ich empfinde das als Luxus: Ich spiele, was ich will und mit wem ich will. Aber es gab eben auch Zeiten, in denen ich an meine Grenzen gekommen bin und gedacht habe: Das ist kein Leben mehr.

Was tun Sie, wenn Sie mit einem Orchester auf Tour sind und nach ihrem Part, der in der Regel vor der Pause liegt, nicht mehr auf die Bühne kommen? Fahren Sie schon mal ins Hotel und legen sich frühzeitig schlafen?

Gabetta: Am Anfang einer Tour höre ich mir noch ein oder zwei Konzerte bis zum Ende an. Später fahre ich dann tatsächlich ins Hotel oder treffe mich mit Freunden. Oft gibt es noch ein gemeinsames Dinner mit dem Veranstalter oder Sponsoren, aber die sind ehrlich gesagt nicht so mein Ding. Eigentlich schade, dass ich so bin, denn manchmal trifft man dort wirklich interessante Menschen.

Infos: www.solgabetta.com