Hamburg. Die Chefs der großen Häuser sehen bereits oder erwarten demnächst positive Effekte. Hoffnung auf eine Kultur- statt Musikstadt.
Die Eröffnung der Elbphilharmonie hat in Hamburg für eine Euphorie gesorgt, die bis heute kaum abebbt. Dennoch erleben manche Kulturinstitutionen, wie die Privattheater von Axel Schneider, Besuchereinbußen. Aber wie sieht es bei den Museen aus? Ist auch dort ein „Staubsauger-Effekt“ zu beobachten? Oder vielleicht gar das Gegenteil? Zieht die Elbphilharmonie Kulturtouristen in die Stadt, die tagsüber Ausstellungen besuchen?
„Wir nehmen uns jedenfalls nichts gegenseitig weg“, stellen Deichtorhallen-Chef Dirk Luckow und die Museumsdirektoren fest. Die Stadt werde neuerdings aber anders wahrgenommen: „Früher waren Hafenrundfahrt und Musicals die Hauptattraktionen. Mit der Eröffnung der Elbphilharmonie hat sich die Kultur als Leitlinie etabliert“, so Luckow. An den Deichtorhallen-Kassen seien „auffällig mehr Fremdsprachen“ festgestellt worden. Mehr ausländische Journalisten hätten über die Kulturstadt Hamburg berichtet, auch die Kunstmeile habe positive Erwähnung gefunden.
Die Elbphilharmonie setzt Qualitätsmaßstäbe
Mehr Besucher hat Luckow trotzdem nicht, was ein Problem ist: Die öffentlichen Subventionen der Deichtorhallen sind seit 27 Jahren gleich geblieben, sie belaufen sich auf rund zwei Millionen Euro pro Jahr – bei fünf Millionen Euro Ausgaben. Die Diskrepanz muss selbst erwirtschaftet werden, und das wird allein wegen der Kostensteigerungen immer schwieriger.
Sabine Schulze, Direktorin des benachbarten Museums für Kunst und Gewerbe (MKG), sieht die Konzerthauseröffnung „in jeder Hinsicht positiv“. Auch sie hofft, dass sich das Bekenntnis der Stadt zur Kultur fortsetzt in andere Bereiche: „Der Begriff Kulturstadt Hamburg würde mir gefallen. Es wird aber von der Musikstadt Hamburg gesprochen.“ Sie sieht also Nachholbedarf. Mehr Besucher hat auch sie nicht, ihr Haus liegt im Vergleich mit den europäischen Kunstgewerbemuseen allerdings ohnehin an der Spitze: 2016 hatte das Musée des Arts décoratifs im Pariser Louvre 247.000 Besucher und Hamburg mit 230.000 fast genauso viele.
Einzig die Führungen durch die Sammlung historischer Tasteninstrumente haben deutlich zugenommen: „Die Leute möchten mehr über Musik erfahren.“ Allerdings habe die Elbphilharmonie jetzt neue Qualitätsmaßstäbe gesetzt, und das, finden alle befragten Museumschefs, erhöhe auch in Richtung Museen den Druck, als Kulturstadt international zu punkten. Eine historische Chance: „Ich hoffe, dass man uns die Möglichkeit gibt, da mitzuziehen und attraktive Projekte zu realisieren“, sagt Schulze. Börries von Notz, Alleinvorstand der Stiftung Historische Museen, ergänzt, es müsse jetzt darum gehen, Angebote zu schaffen, „die in derselben Liga spielen“.
Sammlungen attraktiv präsentieren
Mit leiser Sorge beobachtet Schulze die Stadtentwicklung: Durch die großen privaten Investitionen in Rathaus-Nähe, wo viele neue Geschäfte und Cafés in Richtung Elbphilharmonie und Hafen entstehen, verschiebe sich etwas im Zentrum.
Kunsthallenchef Christoph Martin Vogtherr umreißt die Strategie der Museen an der Kunstmeile, sich wieder ins Gespräch zu bringen: Es gehe darum, die Aktivitäten des Stadt-Marketings um die Angebote der Museen zu erweitern, damit Kulturtouristen „Hamburg als attraktives Ziel entdecken“. Bisher sei das nicht der Fall gewesen, und er habe aufseiten der Stadt auch „noch keine Offenheit“ feststellen können. Jetzt sei aber die große Chance da, „neue Pakete zu schnüren“, in denen Museumsbesuche vorkommen. Auch findet er als Direktor der erneuerten Kunsthalle, dass der Zwang, ständig neue Sonderausstellungen machen zu müssen, zur Falle werden kann. Vielmehr müsse die ständige Sammlung attraktiv präsentiert sein und lebendig gehalten werden.
Riesenchance für die Kultur
Der große Gewinner der Quartiersbelebung Richtung Elbphilharmonie könnte das Bucerius Kunst Forum werden, wo Geschäftsführer Andreas Hoffmann schon jetzt sehr positiv gestimmt ist: „Unser Eindruck ist, dass viele Besucher, die aufgrund der Elbphilharmonie in Hamburg sind, das Bucerius Kunst Forum besuchen.“ Durch die Elbphilharmonie sei so etwas wie „ein neues Bewusstsein“ in der Stadt gewachsen, ein Stolz auf das, was kulturell existiere. „Und wir reiten auf der Welle mit.“ Darin, dass der Mietvertrag für das Bucerius Kunst Forum, das 2018 innerhalb des Gebäudes in neue Räume zieht, gleich für 30 Jahre unterschrieben worden sei, liege „ein Bekenntnis zur Entwicklung des Alten Walls“. In der Elbphilharmonie sieht er eine Riesenchance für die Kultur, aber auch „die Aufgabe, die interdisziplinären Verbindungen stärker zum Thema zu machen“.
Börries von Notz hat bei seinen Konzertbesuchen in der Elbphilharmonie indes „noch nicht das kulturoffene Publikum beobachtet, wie man es erwartet“. Vielen Besuchern gehe es derzeit vor allem darum, den Saal einmal von innen gesehen zu haben. Allerdings glaubt er auch: „Wenn man kulturelle Leuchttürme wie die Elbphilharmonie oder das Weltkulturerbe Speicherstadt hat, dann steigt für alle Angebote die Nachfrage.“ Das zum Museum der Arbeit gehörende Speicherstadtmuseum etwa habe einen Besucherzuwachs von 30 Prozent, und auch für das Museum für Hamburgische Geschichte beobachtet von Notz, dass die Besucheranteile an Touristen „deutlich steigen“.
Elbphilharmonie ist Hochkultur
Vom neuen Konzerthaus erwartet von Notz langfristig positive Effekte. Es seien aber „Schritte notwendig, um auf das Niveau von Hochkultur zu kommen, das die Elbphilharmonie zu bieten hat. Da gibt es teilweise starke Diskrepanzen.“ Immerhin: Das Museum für Hamburgische Geschichte erhält 20 Millionen Euro für die Sanierung, und die Stadt plant den Bau eines Hafenmuseums – mit Blick auf die Elbphilharmonie.