Hamburg. Kammerspiele-Intendant Axel Schneider klagt über Einbußen von bis zu 20 Prozent und bezeichnet das neue Konzerthaus als „Störfaktor“.
So ein Festivalauftakt ist in der Regel ein eher sektseliges Ereignis. Prominente Besucher, gutes Theater, nette Reden. Aber auch: eine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Und so nutzte Hamburgs Mehrfach-Intendant Axel Schneider (Altonaer Theater, Kammerspiele, Harburger Theater) zum Start der sechsten Privattheatertage sein Grußwort, um auf die „überraschend dramatische“ Lage seiner Theater hinzuweisen.
Die nämlich hätten heftig unter der Eröffnungseuphorie der Elbphilharmonie zu leiden. Ein „Störfaktor“, so Schneider auf der Bühne des Altonaer Theaters, der die Verantwortlichen „völlig auf dem falschen Fuß erwischt“ habe. „Ich habe es unterschätzt“, erklärte Schneider und sprach von Zuschauereinbrüchen seit April 2016 von „bis zu 20 Prozent“.
Zwar finden in der Elbphilharmonie erst seit Mitte Januar 2017 Konzerte statt, dennoch vermutet Schneider in der Begeisterung der Hamburger für das neue Kulturangebot die Hauptursache dieser Entwicklung. Der Vorverkauf hatte bereits im Frühsommer 2016 begonnen. „Wir verlieren gefühlt erst mal jeden“, beklagt Schneider. „Jeder hat schließlich nur ein begrenztes Budget an Geld und Zeit.“
Ohnsorg-Intendant Seeler widerspricht
In dieser Dramatik konnten seine Intendantenkollegen die Klage nicht uneingeschränkt teilen. „Dass nun plötzlich große Mengen potenzieller Theaterbesucher zu Fans klassischer Musik werden und den Theatern den Rücken kehren, halte ich für fraglich“, sagte Christian Seeler, der noch bis zum Sommer das Ohnsorg-Theater leitet und ebenfalls die Eröffnung der Privattheatertage in Altona besuchte. Die Elbphilharmonie vergrößere „sicherlich die Konkurrenz in Hamburg, die aber auch vorher schon riesig“ gewesen sei. „Ich denke, jeder sollte zunächst Ursachenforschung im eigenen Haus betreiben.“
Während Ernst-Deutsch-Theater-Chefin Isabella Vértes-Schütter Schneiders Einschätzung auf Abendblatt-Anfrage rundheraus zurückwies („Unsere Umsätze sind stabil“), sieht Thomas Collien vom St. Pauli Theater ebenfalls Probleme: „Wenn über 800.000 (oder sogar mehr) Karten bereits verkauft sind, wird das jedes Theater spüren. Wenn die Karten hauptsächlich in der Region Hamburg vertrieben werden, zieht das natürlich Kaufkraft, das lässt sich nicht bestreiten.“
Konkurrenz durch Musicalhäuser
Aber auch andere Wettbewerber seien dazugekommen, „wie zum Beispiel inzwischen fünf Musicalhäuser in Hamburg“. Das aktuelle Stück, „Große Freiheit Nr. 7“ mit Volker Lechtenbrink, laufe zwar „fantastisch“, Termine im März 2018 sind bereits jetzt im Vorverkauf. „Aber bei vielen anderen Themen lag der Rückgang der Zuschauerzahlen auch bei 20 Prozent“, erklärte Collien. Und verkniff sich nicht den süffisanten Seitenhieb: „Es wäre traurig, wenn die städtischen zehn Millionen Euro Marketingetat zur Eröffnung der Elbphilharmonie nichts bewirkt hätten.“ Erfahrungswerte aus anderen Städten hätten jedoch gezeigt, dass sich so ein Hype nach zwei bis drei Jahren wieder für die anderen Spielstätten relativiert.
Axel Schneider appellierte an die Zuschauer, die Privattheater „auf der persönlichen Agenda“ zu bewahren, bevor er die diesjährigen Privattheatertage, es sind bereits die sechsten, schließlich offiziell eröffnete.
Gefeierter Auftakt der Privattheatertage
Und viel besser konnte man kaum für das Genre werben: Die Bremer Shakespeare Company brachte mit der überraschend zeitgemäßen und unerwartet politischen Produktion „King Charles III“ in der Regie von Stefan Otteni royalen Glanz ins nüchterne Altonaer Theater.
Großbritannien hat ein Führungsproblem. So weit, so Tagespolitik. Hier allerdings sind die Vorzeichen andere als im London der Gegenwart: Mutti ist tot. Und ihr Sohn Charles, der ewige Prinz, der ewig Belächelte, soll endlich König werden. Winken, grüßen, geradestehen, hier und da ein Gesetz unterzeichnen, so was. „Lang lebe der König. Das bin ich“, lautet Charles’ Erkenntnis.
Was aber heißt das eigentlich? Und was, wenn er seine Unterschrift, eigentlich nur ein formaler Akt, verweigert? Wenn der König, dessen offizielle Krönung noch aussteht, ein neues Gesetz nicht billigt? Weil es nämlich die Pressefreiheit einschränkt – und weil ihm dämmert, dass er und seine knallrote Paradeuniform und seine Unterschrift die gleiche bloße Dekoration sind, dass das königliche „Ich“ realpolitisch nicht erwünscht ist?
Kluge Anspielungen auf „Hamlet“ und „Macbeth“
Mit klugen Anspielungen auf „Hamlet“ und „Macbeth“ („Du wirst Britanniens größter König!“) hat Mike Bartlett ein Königsdrama nach Shakespeare-Art ersonnen. Großbritannien holt sich darin – als hätte es mit dem Brexit nicht schon genug am Hals – auch noch eine Krise der Monarchie ins Haus.
Während in Charles, den Peter Lüchinger als traurig-sturen Rebellen spielt, der Widerspruchsgeist erwacht und sein Sohn Harry (Tim Lee) sich in eine so gar nicht standesgemäße Kunststudentin verknallt, packt Herzogin Cate (kraftvoll: Petra-Janina Schultz) der ladymacbethhafte Ehrgeiz. Nicht nur soll ihr Mann William (mit dem Markus Seuss tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit verbindet) den Vater verraten („Jetzt sei der Mann, der du, ich weiß es, bist!“). Sie selbst will die Krone.
Das formidabel aufspielende Ensemble schafft es, seine Figuren nicht der Lächerlichkeit preiszugeben. „King Charles III“ ist keine Persiflage auf das real existierende Personal, aber ein immer wieder komisches, ausgesprochen präzise in Szene gesetztes Stück um Familienpflicht, Ehrgeiz und Macht, dem man fast drei Stunden gebannt folgt.
Royalist ist man am Ende vielleicht nicht. Aber solange solche Stoffe dabei abfallen, wäre es doch sehr schade um die britische Monarchie. Und damit nun nicht alle Hamburger Theaterfreunde nach Bremen reisen müssen (was eher kein Wunschszenario für die hiesige Szene sein dürfte), sollte es unbedingt eine Überlegung wert sein, diese Produktion für mehr als einen Abend an eine der Hamburger Bühnen zu holen.