Hamburg. Pixi-Bücher und mehr: Verlag feiert heute ein halbes Jahrhundert Comic-Geschichte. Welcher Dauerbrenner der Bestseller ist.

Als der Carlsen Verlag vor 50 Jahren am Rand von Reinbek ­anfing, Comics in deutscher Sprache zu verlegen, war das ein gewagtes Unterfangen, denn Bildergeschichten mit Sprechblasen galten damals als minderwertig und der Literatur nicht ebenbürtig. Das hat sich gründlich geändert: Am 16. Juni feiert der Ottenser Verlag das große Jubiläum von Carlsen Comics – und damit auch die langjährige Zusammenarbeit mit Zeichnern, Autoren, Lizenzpartnern, Händlern und Vertretern.

Im lichten Entree einer ehemaligen Schmiede und Fabrik, in der der Verlag seit 1989 beheimatet ist, muss Verlegerin Renate Herre schon kräftig zupacken, wenn sie den schweren Schuber zu fassen kriegen will: 24 Hardcover-Bände umfasst die Gesamtausgabe von „Tim und Struppi“. Zum Jubiläum wurde dieser Dauerbrenner des Verlags neu herausgegeben, Subskriptionspreis: 199 Euro. „Tim und Struppi ist unser Aushängeschild und immer noch einer unserer Bestseller“, sagt Herre.

Lesenswertes

Hergés Abenteuergeschichten ­waren 1967 die ersten Comics, die der damals noch kleine dänisch-deutsche Carlsen-Verlag auf Deutsch herausbrachte. Eine gute Entscheidung, wie man sieht.

1980 verkaufte Per Hjald Carlsen seinen Verlag an den schwedischen ­Medienkonzern Bonnier, und dazwischen entfaltete sich eine Erfolgs­geschichte, die vor allem mit den Namen zweier Comic-Kenner verbunden ist: Eckart Sackmann und Andreas C. Knigge. Beide hegten eine jahrzehntelange Leidenschaft für das Genre, ­waren Spezialisten und brannten für ihre Arbeit bei Carlsen.

Klaus Schikowski mischt Tradition und Moderne

Der Verlegerin zur Seite hat nun einer ihrer Nachfolger Platz genommen: Auch Klaus Schikowski (51) hat sich mehr als die Hälfte seines Lebens professionell mit Comics beschäftigt und verantwortet seit 2014 das Comic-Programm des Verlags, jenes Liebhabergenres, das, sagt seine Chefin, „für Carlsen eine ­unglaubliche Bereicherung ist“. Auch wenn die Comic-Auflagen von denen der deutschsprachigen Jugendbücher „Harry Potter“ (33 Millionen verkaufte Exemplare) um Lichtjahre entfernt sind und nicht sehr viel zum Gesamtumsatz von 71,2 Millionen Euro im Jahr 2016 beigetragen haben.

Dennoch müssen auch in Schikowskis Abteilung die Zahlen stimmen. „Wir erlauben uns aber, in diesem Bereich zu experimentieren“, sagt Renate Herre. Wichtig sei, „dass wir qualitativ überzeugt sind.“ Eine gute Mischung zwischen Tradition und Moderne steuert Klaus Schikowski an, aber letzten Endes habe er jeden Griff zum Unbekannten, nicht Erprobten „aus sehr viel Bauch­gefühl“ heraus getan. Carlsen lädt zudem regelmäßig zum Händlertag, bei dem von Verkäuferseite ausdrücklich Wünsche geäußert werden sollen.

Klassiker zu Sonderpreisen

Die letzte Überraschung bei Carlsen Comic war die Graphic Novel „Die Leichtigkeit“, herausgebracht im vergangenen Jahr. Autorin ist Catherine Meurisse, eine der Zeichnerinnen der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, die den Terroranschlag auf ihre Kollegen nur überlebt hatte, weil sie zu spät dran gewesen war. Mit „Die Leichtigkeit“ hat sie sich sozusagen zurück ins Leben ­geschrieben, fort vom Schock, der Traurigkeit, dem Trauma. Zwischen 30.000 und 40.000 Bücher wurden 2016 von Catherine Meurisse verkauft.

Comic-Spezi
Klaus Schikowski und
Verlegerin Renate Herre
Comic-Spezi Klaus Schikowski und Verlegerin Renate Herre © HA | Andreas Laible

Zum Jubiläumsjahr wurde eine Reihe von Klassikern zu Sonderpreisen von je 9,90 Euro aufgelegt, darunter die prominentesten Spaßvögel des belgischen Zeichners André Franquin: Spirou, Gaston und Marsupilami. Gaston sogar als Gesamtausgabe. Im Übrigen schaut Klaus Schikowski auch sehr gern nach vorn.

Er findet, dass „gerade sehr viele große Talente im deutschen Comic“ unterwegs sind, darunter Isabel Kreitz, Olivia Vieweg oder Jens Harder. Und er schwärmt von herausragenden älteren Zeichnern wie Reinhard Kahl (48), der dem Carlsen-Verlag mit seiner Graphic Novel „Der Traum von Olympia“ 2015 einen größeren Erfolg und sechs Preise beschert hat.

Erzählung über Nick Cave

Kahl arbeitet derzeit an einer gezeichneten Erzählung über das Leben des Musikers Nick Cave, dazu kommt ein Artbook im Schallplattenformat heraus. „Es ist ein neuer Weg für uns, da hinzugehen, wo die Musikbegeisterten sind“, sagt Schikowski dazu.

Der Markt für Comics ist in Deutschland recht überschaubar: „Wir Verleger sind natürlich Konkurrenten, aber wir profitieren jeder vom gesamten Umfeld“, sagt Renate Herre. „Wir kennen uns alle schon lange, viele von uns sind untereinander befreundet.“ Auch internationale Player seien wichtig, es gehe schließlich unter anderem darum, „das Genre weiterzuentwickeln.“

Alternativen zum ­bedruckten Papier

Im Zusammenhang mit der all­gemeinen Digitalisierung arbeitet der Verlag zwar an Alternativen zum ­bedruckten Papier, aber letzten Endes, sagt Schikowski, „mögen Comic-Liebhaber das Haptische, das Objekt Buch. Man braucht eben Zeit, eine ganze Seite in ihrer Architektur zu betrachten. Diese Art zu lesen mag einigen von uns ­abhandenkommen, aber bis jetzt lässt sie sich digital nicht erschließen.“

In seiner unterhaltsamen Zeitschrift „Reddition“ hat der Barmsteder Comic-Spezialist Volker Hamann eine ganze, sehr gut und auch kritisch geschriebene Ausgabe dem 50. Jubiläum von Carlsen Comics gewidmet. Das Heft hat 82 Seiten und kostet 10 Euro. ISBN : 978-3-946266-07-5.