Hamburg. Ayse Bosse, Ehefrau des Sängers und eigentlich Schauspielerin, hat sich intensiv mit dem Tod beschäftigt.

Als Ayse Bosse zu erzählen beginnt, entsteht sehr schnell das Gefühl: Hier lebt jemand sein Leben nicht leichtfertig. Ein Kaffee dampft vor ihr auf dem Holztisch. Dieser Morgen in Ottensen ist kalt und klar. Im Café hat niemand groß aufgeblickt, als sie herein kam. Das ist bei ihrem Ehemann häufig anders. Denn verheiratet ist die 40-Jährige mit Axel Bosse, dem Hamburger Musiker, der mit seinen mitreissenden, klugen Popsongs bekannt genug ist, um seinen Vornamen einfach wegzulassen. Der als Bosse erst kürzlich wieder die Sporthalle ausverkauft hat und die Massen euphorisiert.

Auch ihr Weg schien in eine deutliche Richtung zu weisen: ins Rampenlicht. Als Tochter eines Arztes und einer Kindergärtnerin wuchs Ayse Bosse in Frankfurt und Umgebung auf. In den 90er-Jahren fing sie an zu modeln und war bis 2010 bei der Hamburger Agentur M4 Models beheimatet. Ihre Schauspiel-Ausbildung absolvierte sie unter anderem an der Filmakademie Ludwigsburg. Hierzulande war Bosse in einigen Fernsehfilmen und -serien zu sehen. Doch ihre großen Rollen, die spielte sie in der Heimat ihres Vaters, in der Türkei.

Sie kümmerte sich um einen todkranken 14-Jährigen

„In Istanbul am Flughafen werde ich immer mal wieder erkannt“, sagt Bosse, lacht und dreht eine ihrer blond-braunen Haarsträhnen. Mit ihrem schmalen Gesicht und der fransigen Frisur wirkt sie zwar fast mädchenhaft. Aber wenn sie spricht, verraten ihre Sätze, dass sie mehrere Leben lebt. Dass da Erfahrung ist.

Irgendwann, da reichten ihr Laufsteg und Leinwand nicht mehr aus. „Die Schauspielerei hat viel mit dem eigenen Ego zu tun. Man gibt sich selbst, aber kann nicht all das geben, was man in sich hat. Ich schlüpfe in eine Rolle, in eine Klamotte“, erzählt Ayse Bosse. „Das hat mich unglücklich gemacht.“

Buchreife Familienangelegenheit: Axel und Ayse Bosse mit Andreas Klammt
Buchreife Familienangelegenheit: Axel und Ayse Bosse mit Andreas Klammt © Carlsen Verlag

Als sie vor zehn Jahren Mutter einer Tochter wurde, habe sie sich zunehmend gefragt: „Was für eine Verantwortung trage ich? Welche Vorbildfunktion habe ich?“ Der Wunsch wuchs, sich zu engagieren. Sie recherchierte und stieß bald auf das Theodorus Tageskinderhospiz in Eidelstedt. Eine Woche später saß Ayse Bosse bereits beim ersten Infoabend und schnell stand fest: Sie möchte als ehrenamtliche Sterbebegleiterin arbeiten. Ein halbjähriger Eignungstest folgte. Als erstes kümmerte sie sich um einen 14-jährigen Jungen, ein Fan von David Garrett, mit dem sie stundenlang Konzertvideos des Star-Geigers anschaute.

„Ich war anfangs tierisch aufgeregt, weil ich Angst hatte, dass ich mich nicht richtig verhalte. Aber das war völlig unbegründet. Wir haben auch viel gelacht“, erinnert sich Bosse und fordert dazu auf, ein Hospiz nicht ausschließlich mit dem Sterben zu assoziieren. „Es geht um Lebensqualität in der Zeit, die bleibt“.

Tod zieht Hinterbliebenen viel Kraft

Doch wenn er dann eintrifft, der Tod, zieht er den Hinterbliebenen viel Kraft. Als in einem Jahr zwei von ihr betreute Kinder und zudem ihr eigener Vater starben, brauchte Ayse Bosse eine Pause. „Man kann diese Arbeit nicht ohne emotionale Verträge machen. Man verbindet sich automatisch“, erklärt Bosse und blickt offen aus ihren blauen Augen.

Sie beschloss, dass aus ihrer Trauer etwas Gutes entstehen sollte. „Ich wollte aus Gift Medizin machen“, erzählt sie mit viel Ruhe in der Stimme. Und so begann sie Ende 2013 in Bremen beim Verein Verwaiste Eltern und Geschwister eine anderthalbjährige Ausbildung zur professionellen Trauerbegleiterin. Eine intensive Zeit, wie sie sagt.

„Wir waren auch beim Bestatter und haben in Särgen Probe gelegen. Das Standardmodell roch ein wenig nach Ikea, war aber nicht ungemütlich“, sagt Bosse und lächelt. Es gehe darum, die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes zu be-greifen. Also den Tod nicht zu tabuisieren, sondern Verstorbene zum Beispiel auch noch einmal anzuschauen und anzufassen vor der Beerdigung. Wichtig sei zudem, zu reden. Ohne Hemmungen.

Beim Bestatter hat Ayse Bosse in Särgen Probe gelegen

„Es ist auch erlaubt, über den Tod Witze zu machen.“ Für sie ist Trauern „so facettenreich wie Haarfarben oder Musikgeschmack“. Vor allem Kinder müssten von ihren Eltern lernen, dass alle Gefühle nach solch einem einschneidenden Verlust normal seien. Und deshalb hat Ayse Bosse, die Frau mit den vielen Leben und noch mehr Ideen, nun ein wunderbar einfühlsames, fantasievolles und Mut machendes Buch beim Altonaer Carlsen Verlag herausgebracht. „Weil Du mir so fehlst“ lautet der Titel. Und weiter: „Dein Buch fürs Abschiednehmen, Vermissen und Erinnern“.

Zu fein gezeichneten Illustrationen von Andreas Klammt erzählt Bosse in einfacher schöner Sprache die Geschichte eines traurigen Bären und all seiner Emotionen von Lustlosigkeit bis Wut. „Das ist gemein, dass jemand, den man lieb hat, nie wieder zurückkommt“, ­erfährt der Leser direkt zu Beginn. Sehr gelungen ist vor allem, dass das Buch auffordert, aktiv zu werden: Tränen ­malen, in einen Brülleimer schimpfen, eine Collage aus Fotos basteln, sich ­verkriechen oder auch mal krumm­lachen und süße Trauerklöße kochen. Oder den Song hören, den Bosses Mann – da schließt sich der Kreis – zu dem Buch geschrieben hat.

Ayse Bosse,  Andreas Klammt: „Weil du mir so fehlst“, Carlsen, 64 Seiten, ab vier Jahren,  14,99 Euro
Ayse Bosse, Andreas Klammt: „Weil du mir so fehlst“, Carlsen, 64 Seiten, ab vier Jahren, 14,99 Euro © Carlsen Verlag

Jeden Tag erhalte sie nun „absolut herzzerreißende E-Mails“, sagt Ayse Bosse. Die Kernzielgruppe ihres Buches seien zwar Vier- bis Zwölfjährige, aber auch Teenager und Erwachsene finden darin Trost. Da sei zum Beispiel die 80-Jährige, die ihr Buch gelesen hat: „Sie schrieb, dass ihre Schwester gestorben ist, als sie fünf war. Sie hat sich bei mir bedankt, dass sie jetzt endlich richtig trauern konnte“, erzählt Bosse und wischt sich kurz die Augen. „Als ich die Geschichte in meinem Schreibbüro auf St. Pauli vorgelesen habe, haben wir erstmal alle geheult.“

Prioritäten ­haben sich verschoben

Mit den Erfahrungen von Tod und Trauer haben sich ihre Prioritäten ­immens verschoben. „Der Erfolg als Schauspielerin war mir irgendwann nicht mehr so wichtig.“ Aber wie sich das Leben nun einmal so fügt, kommen die Anfragen genau dann, wenn das eigene Begehren nicht mehr so groß ist. Als ihr Buch fertig war, erhielt Bosse das Angebot, bei den Wormser Nibelungenfestspielen in der Inszenierung „Gold“ ­mitzuspielen. „Das war ein Megaspaß ohne Anspannung. Wie ein Bonbon obendrauf“, sagt sie und klingt ganz ­beglückt, frei.

Mit ihrem Buch und so genannten „Trauer-Power-Workshops“ geht Bosse nun ab Januar verstärkt in Grundschulen. Und dann, erzählt sie noch, hätte sie „richtig Bock“, all ihre Themen zusammenzubringen. Das Schauspiel und den Tod und die Trauer und die Kinder und den Mut. Ein Theaterstück möchte sie entwickeln. Oder besser noch, gleich ein eigenes kleines, buntes, plüschiges Kindertheater eröffnen. Am liebsten in Blankenese, wo sie mit ihrer Familie wohnt. Das würde sehr gut passen, in dieses Leben mit den vielen Leben.

Das Buch: Ayse Bosse, Andreas Klammt: „Weil du mir so fehlst“ (14,99 Euro)
Die Autorin liest: Ayse Bosse ist am 16.2. 2017 zu Gast in der Buchhandlung Heymann in Blankenese, Erik-Blumenfeld-Platz 27