Hamburg. Nach einem Jahr Pause gelang mit Stars wie Jan Garbarek, Gregory Porter und Nils Wülker ein erfolgreicher Neustart.
„Viel Spaß euch allen!“, ruft der Skipper der „Otto Abicht“ zum Abschied, als eine Gruppe Jazzfans am Sandtorhöft die Barkasse verlässt und sich in Richtung Elbphilharmonie aufmacht. Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel, ein paar Möwen kreischen, und die Vorfreude ist mit Händen zu greifen: Jetzt geht es los, das siebte Elbjazz-Festival, und die Voraussetzungen könnten kaum besser sein.
Auf dem Vorplatz des Konzerthauses bemüht sich eine Helfer-Armada darum, Ordnung ins wirbelnde Chaos zu bringen. „Garbarek, Garbarek!“-Rufe weisen darauf hin, wo es die hinterlegten Karten für das in Kürze beginnende Konzert des norwegischen Saxofonisten gibt. Hunderte stehen hier, doch viele wollen auch einfach nur ihre Ticket-Gutscheine gegen Zweitages-Bändchen tauschen oder Karten für ganz andere Konzerte abholen.
Eines von vielen kleinen Wundern beim Elbjazz: Als um kurz nach 17 Uhr Jan Garbarek und Band loslegen, sind fast alle Besucher am Platz. Auch Bürgermeister Olaf Scholz und seine Frau, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Britta Ernst, erleben, wie der Große Saal sich in eine Kathedrale des Jazz verwandelt. Gänsehautjubel schon, als die Musiker auf die Bühne kommen, danach ein Sound zum darin Versinken.
Eigentlich lehnt es Garbarek ab, auf Festivals zu spielen. Dank des Köders Elbphilharmonie hat er eine Ausnahme gemacht und sorgt nun für zwei bewegende Sternstunden voller Tiefe und melodiöser Melancholie. Auf dem Blohm+Voss-Gelände sind derweil bereits vier Bühnen in Betrieb, und langsam wird es richtig voll. 13.500 Besucher zählen die Organisatoren am ersten Tag – ein Rekord!
Miu eröffnet den Reigen auf der Hauptbühne
Der Hamburger Sängerin Miu kommt die Ehre zu, den Reigen auf der Hauptbühne zu eröffnen, danach stellen die NDR Bigband und Gitarrist Nguyên Lê ihre Version des Pink-Floyd-Klassikers „Dark Side Of The Moon“ vor – ganz anders als das Original und gerade deshalb so packend.
Wer in der Maschinenbauhalle die jüngst mit einem Echo Jazz ausgezeichnete Newcomerin Anna-Lena Schnabel sehen will, muss früh da sein, um noch einen Platz zu ergattern. Schon lange vor Beginn ist kein Hineinkommen mehr. Ein Szenario, das sich an den beiden Elbjazz-Tagen mehrmals wiederholt und auch für etwas Unmut sorgt, sich aber bei einem Festival dieser Art nicht verhindern lässt.
Zeichen stehen auf Fusionjazz
Die gute Nachricht: Es gibt immer auch eine Alternative: etwa den Auftritt des Joshua Redman Trios. Weltklasse-Jazz, sogar mit politischer Botschaft. Er müsse sich erst einmal für einen seinen Landsmänner entschuldigen, erklärt der US-Saxofonist, ohne Donald Trump beim Namen zu nennen, und fügt mit einem Lächeln hinzu, einen Vorteil habe der Klimawandel ja, es sei schön warm in Hamburg, ganz anders als bei seinem letzten Auftritt hier.
Danach stehen die Zeichen auf Fusionjazz: Wer bei Trompeter Erik Truffaz in der Halle keinen Platz mehr findet, genießt den Party-Sound des Kollektivs Snarky Puppy und versorgt sich an einem der zahlreichen Foodtrucks und Getränkestände. Das Angebot ist groß und dem durchschnittlich etwas älteren und genussorientierten Publikum entsprechend: Während bei anderen Festival bestenfalls zwischen Rot- und Weißwein ausgewählt werden kann, gibt es hier eine richtige Weinkarte, dazu Cocktails, drei Sorten Sekt und kulinarische Köstlichkeiten von der veganen Currywurst mit Süßkartoffelpommes bis zum gut abgehangenen Känguru-Steak. Einziger Haken: die bisweilen langen Wartezeiten.
An Tag zwei (15.000 Besucher, ausverkauft) droht das Wetter zu kippen, doch dann kommt Myles Sanko. Der Brite mit den ghanaischen Wurzeln ist nicht nur ein großartiger Sänger, bei seinem Auftritt brechen auch erste Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke. Ein Seelenwärmer vom ersten bis zum letzten Ton. Zeilen wie „I need you
more than you know“ werden laut und lauter mitgesungen, viele stehen Arm in Arm. „Wir machen das hier zusammen“, hatte Sanko zu Beginn verkündet. „Ich gebe euch etwas, und ihr gebt mir etwas zurück.“ Genauso kommt es. Grandios!
Nicht alles funktioniert
Aber nicht alles funktioniert: Dass Trompeter Nils Wülker in der Halle spielt (eine unübersehbare Menge kommt nicht hinein), das eher kammermusikalische Benjamin Schaefer Quintett hingegen auf der Hauptbühne (der Platz davor ist halb leer) ist eine Fehlplanung. Und Nina Attal eine Fehlbuchung. Mit neuer Band und neuem Konzept hat sie die Jazzeinflüsse fast auf null reduziert, dafür tragen ihre Musiker lächerliche Shirts mit Federapplikation, und zwei „Tänzer“ bewegen sich so exaltiert wie eine Amateur-Aerobiktruppe bei der Eröffnung eines Autohauses. Realsatire? Nein, leider ernst gemeint. Dass Nina Attal eine Spitzengitarristin ist, geht dabei unter.
Also muss es beim Finale ein ganz Großer richten: Gregory Porter versammelt die bisher größte Publikumsmenge vor der Hauptbühne, punktet mit Ausstrahlung, Stimme, einer Band auf Champions-League-Niveau und dem nicht minder hochklassigen Kaiser Quartett an seiner Seite. Showeffekte braucht es hier nicht, die Musik spricht für sich. Ein glänzender Schlusspunkt.