Hamburg. Nächste Station Reeperbahn: Das Hamburger Urgestein probt „Große Freiheit No. 7“ am St. Pauli Theater. Ende Mai ist Premiere.

Manchmal passieren Dinge, die man sich nicht besser ausdenken könnte. Beim Interview mit Volker Lechtenbrink auf der „Rickmer Rickmers“ tritt gar nicht mal so zurückhaltend ein Herr auf, der sich als „quasi der Kapitän“ des Großseglers vorstellt und den Künstler im Namen der Stiftung des Museumsschiffs begrüßt. Er wolle nicht stören, aber seine Frau sei Fan. Ob Lechtenbrink nicht vielleicht eine Autogrammkarte dabei habe? Lechtenbrink scheint die Unterbrechung des Interviews ein wenig unangenehm zu sein, schließlich geht es hier um sein neues Stück, das beworben werden will.

Andererseits kommt der Eindringling zum richtigen Zeitpunkt, denn was musste Hamburgs großer Volksschauspieler, der an fast allen hiesigen Bühnen bereits gespielt hat, da für eine Frage mit abwehrender Geste vernehmen? Die nach den Ex-Frauen, vier an der Zahl. „Frauen sind immer ein wunderbarer Teil meines Lebens gewesen“, sagte Lechtenbrink (72) also, um dann aber die Privatheit des Themas zu betonen – er redet ja auch in Talkshows nicht mehr darüber.

Und nun aber der Autogrammjäger! Seine Frau, der Lechtenbrink-Fan, habe ihm erzählt, dass Lechtenbrink ein toller Schauspieler sei und außerdem auch mal „mit mehreren Frauen gleichzeitig“ zusammenlebe. „Nein, ganz falsch“, sagt Lechtenbrink und lacht gequält.

Es ist schon verständlich, dass er lieber gar nichts mehr zum Thema sagt. Man sieht ja, was dabei herauskommt.

Lechtenbrink wollte unbedingt diesen Johnny spielen

Und doch muss man einfach über die Liebe sprechen, wenn man über Hans Albers spricht, über dessen Hannes Kröger und „Große Freiheit No.7“ , jenen legendären St. Pauli-Stoff, der noch im Krieg gedreht wurde und kurz nach diesem gezeigt wurde. Lechtenbrink spielt nun den Hannes Kröger am St. Pauli Theater, der wie in der ursprünglichen Version jedoch wieder Johnny Kröger heißt – Goebbels, Hitlers Mann unter anderem für kulturelle Deutschtümeleien, hatte unter anderem was gegen das amerikanisch klingende Original.

Lechtenbrink hatte den unbedingten Wunsch, diesen Johnny, eine der großen Hamburg-Figuren, zu spielen – so wird es Ulrich Waller, der die 2017er-Theaterversion von „Große Freiheit No. 7“ inszeniert, später beim Dinner erzählen. Und Lechtenbrink wiederum ­erzählt von der Entstehungsgeschichte des Stoffs und des Films, der fast vollständig in Prag gedreht wurde und die er als Rollen-Vorbereitungs-Profi natürlich genau kennt, an diesem schönen Frühsommertag auf der Elbe gleich mehrere Male mit seiner markanten und rauchigen Stimme. Das St. Pauli Theater hat eingeladen, die versammelte Presse ist da, es gibt Fisch und alte Songs, denn, klar, dafür ist „Große Freiheit No.7“, ja besonders bekannt: Der Matrose Kröger, also Albers, singt Seemannslieder. Sie gehören zu den ­bekanntesten überhaupt: „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, „La Paloma“. Evergreens, bei denen jeder sofort an ein Schwarzweißfoto denkt, an ­Albers, die Kapitänsmütze und das Akkordeon.

Auf das charakteristische Hinaufziehen der Stimme, sagt Lechtenbrink, „auf das Kieksen von Hans Albers“ wolle er verzichten, und mal grundsätzlich: Die seien nicht leicht, die Stücke, hoffentlich klappt das alles auf der Bühne, toi, toi, toi – er klopft auf Holz.

Und wie sie klappen, es gibt ja später in Anwesenheit der Theatercrew um Waller und Thomas Collien, dem Chef vom Ganzen, auch eine Kostprobe. Mit Matthias Stötzel am Klavier, der für die Musik des Stückes zuständig ist. Lechtenbrink trägt souverän und so emphatisch, als stände er nicht im Kapitänsraum der Rickmer Rickmers, sondern auf der Bühne am Spielbudenplatz, zwei Lieder vor. Applaus, Applaus.

Das muss man unbedingt und sowieso rührend finden. Auch ganz grundsätzlich, weil Lechtenbrink längst die Aura der langgedienten Bühnenschauspieler – dem Fernsehen hat er meist abgesagt – umgibt, der lebenslangen Unterhaltungskünstler, die so erhaben und würdevoll wirken mit ihrem Erfahrungsreichtum. Aufführung für Aufführung stehen sie im Dienste des Publikums, und der Glanz, den ihnen ein ­gelungener Theaterauftritt verleiht, ist auch nach Jahrzehnten noch das Ziel, dem sie hinterherjagen.

Lechtenbrink hat Falten und ­Linien, die die Jahre ihm ins Gesicht ­gefurcht haben. Für manche Rollen, sagt er, müsse man alt genug sein. Vor 20 Jahren hätte er sich für die Albers-Paraderolle des Johnny Kröger nicht in dem Maße interessiert wie heute. Jetzt wieder das Thema Liebe, es muss einfach besprochen werden. Johnny liebt also das Mädchen vom Kiez, sagt Lechtenbrink, „aber er ist ein zerrissener Typ, denn er liebt auch die Ferne, die See, er hat Sehnsucht“. Er kann gar nicht richtig glücklich sein, findet Lechtenbrink. Wie ein Mann mit diesem Zwiespalt lebt, das will Lechtenbrink nun auf die Bühne bringen. Und das mit Freude und aus einer Position „der Verehrung für Hans Albers“, den Lechtenbrink aber nicht nachahmen will, „das würde nicht klappen, ich verlasse mich auf meine Art zu spielen“.

Das muss, das kann und das soll er auch, denn wenn es so etwas wie die Schwere der Jahre und die Tiefe einer Karriere gibt, dann finden sie sich ziemlich sicher bei Lechtenbrink. Er muss niemanden imitieren, er hat seinen eigenen, über Jahrzehnte geformten Stil. Er hat selbst Gewicht. Vielleicht nicht das von Albers, aber ein großer Name ist er doch auch.

Am St. Pauli Theater hat Lechtenbrink einst seine Abschlussprüfung vor der Bühnengenossenschaft abgelegt, nach dem Alzheimer-Drama „Der Vater“ und Yasmina Rezas „Ihre Version des Spiels“ ist „Große Freiheit No. 7“ nun die dritte Zusammenarbeit mit Ulrich Waller. Es herrscht Vorfreude, bei beiden: Mehr Hamburg als in „Große Freiheit No. 7“ geht nicht, und Waller hat sowieso eine spezielle Beziehung zu der „Hamburgensie, die den Mythos eines ganzen Stadtteils begründet hat“, wie der Regisseur die Bedeutung des Stücks treffend umreißt. Waller besuchte als Kritiker für die „taz“ in den 80erJahren die Theateraufführung der „Großen Freiheit“ mit Freddy Quinn im Operettenhaus. Und war erbost, weil die Adaption rein gar nichts mit dem Film zu tun hatte.

Es schmeichelt ihm, wenn er bewundert wird

Am St. Pauli Theater will Waller deswegen weitgehend der Dramaturgie des Filmes folgen, „sie ist einfach gut“. Gleiches gilt, siehe oben, für die Sangeskünste des Volker Lechtenbrink. Er ist ja ein Sänger, auch wenn es lange her ist. Kaum zu übersehen ist seine Freude, wenn man sich als Kenner seiner Lieder („Ich mag“, „Der Spieler“) zu erkennen gibt. Bis in die 80erJahre hinein hat Lechtenbrink Lieder gesungen, die er meist selbst textete. Seine eigentliche Liebe, erklärt Lechtenbrink, sei das Theater, aber die Musik hat ihm ebenfalls viel gegeben. „Als in den vergangenen Jahren immer mal wieder Leute aus der Musik mit mir etwas aufnehmen wollte, habe ich immer nein gesagt – ich wollte mir das, was ich in der Musik ­erreicht habe, nicht mit Projekten kaputt machen, hinter denen ich gar nicht stehe“, sagt Lechtenbrink.

Jetzt singt er auf der Bühne, und es wird ihm eine Ehre sein. Wer anders als das Hamburger Urgestein Lechtenbrink sollte die Kiez-Ikone Hans Albers in der Rolle eines wehmütigen Seemanns auch beerben? Es muss im Übrigen ganz herrlich sein, Volker Lechtenbrink zu sein, ein Mann also, der die Dämonen der Vergangenheit, der den Suff längst hinter sich gelassen hat, der seine Kinder (zwei Töchter, ein Adoptivsohn) liebt und wenn er auf den Markt geht, verlässlich von freundlichen Menschen angesprochen wird. „Es schmeichelt mir, wenn ich bewundert werde“, sagt Lechtenbrink, „und ich war auch immer selbst ein großer Bewunderer.“

Vor ein paar Jahren hat Lechtenbrink ein kleines Memoir geschrieben, eine leichtfüßige Rückschau auf seine Karriere: „Gib die Dinge der Jugend mit Grazie auf“ heißt das Buch, aus dem er immer noch ab und an liest. Es offenbart einen Menschen, der sich nicht immer wichtig nimmt. Selbstironie ist wichtig, findet Lechtenbrink, „du musst eitel sein als Schauspieler, aber nicht als Mensch“.

„Große Freiheit No. 7“ Mo 29. Mai
(Premiere) bis 15. Juli, St. Pauli Theater
(S Reeperbahn), Spielbudenplatz 29-30.
Für die Premiere (Mo 29.5., 19.30 Uhr) sind
nur noch Restplätze zu haben. Karten zu 18,90 bis 63,90 Euro gibt es u.a. in der Abendblatt-
Geschäftstelle, Großer Burstah 18-32, oder unter T. 30 30 98 98.