Hamburg. An den Kammerspielen funktioniert der Abend „Jungs im Herbst“ als Tragikomödie ohne Beanstandungen.

Freunde nach langer Zeit wiederzusehen, ist eine zweischneidige Sache. Man freut sich, man erinnert sich gern an gemeinsame Erlebnisse, aber man spürt auch, dass man sich weiterentwickelt hat. Und meist nicht parallel: Man hat sich voneinander entfernt. Das merkt man, wenn man sich mit alten Freunden trifft, und das tut weh.

Bernard Sabath hat mit seinem 1981 uraufgeführten Stück „Die Jungs im Herbst“Mark Twains „Tom Saw­yers Abenteuer“ fortgeschrieben: Was wäre, wenn sich Tom Sawyer und sein Jugendfreund Huckleberry Finn noch einmal begegnen würden, 50, 60 Jahre später, nach Hüftproblemen, grauen Haaren und gelebten Leben? Und was wäre, wenn Huckleberry, der kindliche Tunichtgut, sein Leben geordnet hätte: Studium, Job, Ehe, abends beim Kreuzworträtsel im Schaukelstuhl sitzen?

Da ist keine Freundschaft mehr

Und wenn Tom, der bei Twain meist der Brave war, irgendwann den Boden unter den Füßen verloren hätte, Künstler geworden wäre, also: billiger Zauberkünstler? Die beiden würden sich an ihre Kindheit erinnern, und sie würden merken, dass sie sich voneinander entfernt haben. „Ich komme als Freund“, sucht Tom, der mittlerweile Thomas Gray heißt, den Kontakt, „Wenn ich einen Freund suche, dann gebe ich eine Annonce auf“, antwortet Huck, der längst den Namen Henry Finnegan trägt.

Es ist nicht leicht, Stephan Benson als Huck und Hardy Krüger jr. als Tom zuzusehen, wie sie die Annäherung der beiden Kindheitsfreunde in den Hamburger Kammerspielen darstellen. Weil man eine Entfremdung spürt: Da ist nur noch Sentiment, das durchbricht, wenn sie sich an ihre Jugend erinnern, Sentiment, das sich in augenrollender Komik ausdrückt. Der Lacher, den das Stück in diesen Momenten provoziert, ist ein Trost, immerhin, aber es ist ein schwacher Trost.

Tatsächlich nähern sich Huck und Tom einander noch an. Aber diese Annäherung läuft nicht über die schönen Erinnerungen, sie läuft über die Tragik. „Die Jungs im Herbst“ tut zwar zunächst so, als ob es eine Komödie wäre, tatsächlich aber gibt es mit zunehmender Dauer des Abends immer weniger zu lachen.

Verpfuschte Leben

Sowohl Tom als auch Huck haben Schuld auf sich geladen, die Leben, die sich hier entfalten, sind verpfuschte Leben. Und der Wiener Regisseur Christian Nickel schafft es, diesen radikalen Stimmungswechsel vollkommen natürlich erscheinen zu lassen. Mag die darstellerische Qualität nicht ganz mithalten, mögen noch große Gesten und clowneske Mimik die Performance prägen, wo es inhaltlich längst um Missbrauch und schwere Krankheit geht – Nickel vertraut auf das Stück, das Menschen zeigt und nicht nur Typen, er weiß, dass Benson und Krüger konzentriert genug sind, diese Menschlichkeit zuzulassen und schon die Kurve kriegen werden, hin zu einer ehrlichen Darstellung des Abgründigen. Und wo sie die Kurve nicht kriegen, spielt er ein paar Takte Delta Blues ein, auf dass der Stimmungswechsel deutlich werde.

Vertrauen auf das Stück

Dieses Vertrauen auf das Stück hat natürlich zur Folge, dass der Regisseur extrem zurückhaltend agiert – eine klar wiedererkennbare Handschrift zeigt Nickel hier keine, er inszeniert eben so, dass der Abend als Tragikomödie ohne Beanstandungen funktioniert. „Ich bin vom Varieté“, beschreibt Tom seine Profession. „Verstehen Sie: Kunst!“ „Die Jungs im Herbst“ würde in diesem Kontext eher als Kunsthandwerk durchgehen, aber ordentliches Handwerk hat auch seinen Wert. Zumal die Grundthese von Sabaths Stück so klar und unverstellt im Raum steht: dass echte Freundschaft Jahre überdauern kann. Als zweischneidige Sache.

„Die Jungs im Herbst“, wieder 17.–20., 24.–27., 31.5., Kammerspiele, Hartungstr. 9–11, Karten in der Abendblatt-Geschäfts­stelle, ­Gr. Burstah 18–32, T. 30 30 98 98