Hamburg. Neil LaButes neue Komödie erlebte in den Kammerspielen eine gelungene deutschsprachige Erstaufführung.
Von den Hügeln über Hollywood, dem Zentrum der US-amerikanischen Filmindustrie, bis nach Hamburg-Rotherbaum an die Kammerspiele ist es ein ganz schön weiter Weg. Ihn zu gehen ist kein leichtes Unterfangen. Noch dazu, wenn es sich um ein Stück von Neil LaBute handelt, dem gesellschaftskritischen US-Dramatiker, hierzulande bekannt geworden dank seiner Erfolge „Bash: Stücke der letzten Tage“ und „Fettes Schwein“.
Auch in „Ganzkörpereinsatz“, das an der Hartungstraße seine mit lang anhaltendem Beifall gefeierte deutschsprachige Erstaufführung erlebte, lotet LaBute erneut Widersprüche menschlichen Zusammenlebens aus. Diesmal im Schauspielermilieu. Selbstdarsteller unter sich, könnte man meinen. Was zählt, sind ein möglichst junges Alter, bewusste Ernährung und Vermarktung. Das Image also.
Eine heikle Frage
Die Hollywood-Stars Karen und Steve gehören zwar zum Establishment, haben aber schon bessere Zeiten gesehen. Karen hat ihr Coming-out hinter sich und teilt ihr schönes Anwesen über den Hollywood-Hills mit ihrer Partnerin Bev. Karens Filmpartner Steve, der auf die 50 zugeht, damit indes keinesfalls konfrontiert werden möchte, besucht das lesbische Paar zum Essen mit seiner neuen halb so alten Ehefrau Missy.
Nicht ohne Grund: Karen und Steve wollen vor ihrem neuen Filmdreh mit ihren Partnerinnen eine heikle Frage klären: Die beiden Stars sollen vor der Kamera Sex haben, richtigen Sex, so will es der Regisseur, für Steve „ein europäisches Arschloch, irgend so ein Belgier“. Doch beider Karrieren würde dies neuen Schub geben.
Preis des Ruhms in Zeiten von Instagram
Wie hoch ist der Preis des Ruhms in Zeiten, da Schauspieler auch in den sozialen Medien fast alles von sich preisgeben, um im Gespräch zu bleiben? Darum geht es in dieser als Satire angelegten Komödie – um die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, wie es der Software-Entwickler Georg Franck einmal treffend genannt hat.
Regisseur Kai Wessel hat im „Ganzkörpereinsatz“ vier Akteure zu einem Ensemble zusammengeführt, das überzeugt. Wessel, der an den Kammerspielen LaButes „Fettes Schwein“ zum Kult-Stück entwickelt hatte, gewährt den Akteuren genug, manchmal sogar etwas zu viel Spielraum, ihre Charaktere zu entwickeln. Maren Christensens Ausstattung mit viel Sand auf der Bühne, Metall- und Holzinstallationen wirkt anfangs abstrakt, bildet aber mit zunehmender Dauer den Boden und Rahmen für sich anbahnende wechselnde Konflikte.
Blonder Porsche-Chauvi
Julia Koschitz, („Das Sacher“, ZDF) gibt bei ihrem Hamburger Bühnendebüt im aprikotfarbenen Dinnerkleidchen eine Karen, der man die Rolle der nicht perfekten Gastgeberin abnimmt. Da muss der Film-Star mit eigener Modelinie und regelmäßiger Benefiz-Aktion gar nicht erst mit den Garnelenpastetchen kommen. Die Ängstliche spielt sie – auch stimmlich – noch besser als die Wütende, wenn sie klagt: „Es geht nicht mehr darum, wer der Star des Monats ist, sondern der Star der Minute. Und sobald sie dich fragen, ob du eine Mutter spielen willst, weißt du, es ist vorbei ...“
Demgegenüber trägt Patrick Heyn als blonder Porsche-Chauvi Steve richtig dick auf: Mit 80er-Jahre-Popper-Tolle, Halskette überm T-Shirt und Sakko versucht der „Jack Hammer“ in spe, der Midlife-Crisis zu begegnen. Immer eine Hand und mindestens ein Auge am Smartphone, sieht er seine junge Braut Missy vor allem als schmückendes Anhängsel, der er sogar verbietet zu essen. Stella Roberts gibt sie als blondes Beiwerk, das für ein nachgespieltes, saukomisches eigenes YouTube-Video sogar Szenenbeifall einheimst und am Ende mit einem überraschenden Statuswechsel aufwartet.
Feministisch bewegte Frau
Reiben – nicht nur verbal – kann sich Steve an Karens Partnerin: Stress mit Bev. Mit der feministisch bewegten Frau ist der Konflikt programmiert: Joanna Kitzl versprüht Aggressionspotenzial. Die unterschiedlichen Wertvorstellungen sind deutlich, etwas zu lange wird über andere Themen diskutiert, bis es ans Eingemachte geht: darum, ob und wie Karen mit Steve Sex vor der Kamera praktizieren darf.
Die Antwort tragen Steve und Bev in einem Ringkampf aus. Dass das Wort mit „f“ mehrfach fällt, versteht sich fast von selbst. Die Beschimpfungen „Windbeutel“ oder „Solariumschläfer“ für Steve und „Muffmotte“ für Bev sind dabei noch die harmloseren Ausdrücke.
Wie weit Verhaltensmuster aus der US-Schauspielbranche übertragbar sind auf unsere Gesellschaft, bleibt die Frage. Dass Schauspielerei vor allem Körperarbeit ist, spürte auch Joanna Kitzl. Als Bev zog sie sich im finalen Kampf eine Prellung am Jochbein zu. So gab es bei der Premierenfeier erst mal einen Eisbeutel statt Alkohol.
„Ganzkörpereinsatz“ bis 12.3., Kammerspiele, Karten zu 19,- bis 44,-: T. 413 34 40