Hamburg. Der fulminante Aufritt des Kammerorchesters The Knights im Großen Saal der Elbphilharmonie mit Werken von Bach setzt hohe Maßstäbe.
Man hätte es eigentlich kommen sehen können, dass die antäuschen. Denn auf dem Papier wirkte die zweite Programmhälfte, mit dem The Knights aus New York im Großen Saal der Elbphilharmonie debütierten, so harmlos und konventionell, als hätten sie es aus dem Nachlass von Sir Neville Marriner selig geerbt: Bach, Haydn, Boccherini. Tanztee-Klassik, wenn man das nur meisterschülerbrav wegspielt.
Aber dann: Bachs Drittes Brandenburgisches Konzert, flott angegangen. Erster Satz vorbei, das Cembalo fantasierte gerade noch etwas ziellos auf den Überleitungsakkorden zum Finale vor sich hin – da legt die Geigerin Christina Courtin, auf der Juilliard School ausgebildet, ihre Geige auf den Bühnenboden, stellt sich an die Mitte der Rampe. Und singt, allein und zum Hinknien. Gänsehaut wie Schleifpapier mit Körnung 6, nicht übertrieben. Denn sie singt ja nichts Barockes von Bach, um mit ihren Buddys aus Brooklyn wenigstens in der historischen Epoche zu bleiben, sondern Paul Simons „American Tune“, den gerade mal 40 Jahre alten Singer-Songwriter-Klassiker.
Basis: Choral
Der auf dem Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ basiert. Den Bach in seiner Matthäuspassion verwendete, weil er so tief ins Herz geht. Kann man theoretisch machen, wenn man es denn kann. Es kommt bloß praktisch niemand drauf, programmatisch um mehrere Ecken zu denken.
Spätestens in diesem anrührenden Moment war klar: Das Konzert gehört auf eine innere Bestenliste. Das sanft groovende „Duet“ für zwei Violinen und Streicher von Steve Reich, minimalistisch modern, hatte Purcells „Fantasia“ vorgesetzt bekommen, mit einigen im Raum verteilten Solisten als Effektwürze. Haydns 80., viel feiner Humor, bestens gearbeitet, klang eben nicht wie eine 80. Sinfonie. Strawinskys Ensemble-Kunststückchen „Dumbarton Oaks“ wurde so geschmeidig und detailklug abgespult, dass es die reine Freude war.
Wu Man und ihre Pipa
Vor allem aber: Wu Man und ihre Pipa. Sollte Jimi Hendrix je im Körper einer chinesischen Schalenhalslauten-Virtuosin reinkarnieren wollen – diese Frau wäre die beste Wahl für das Comeback. Im Pipa-Konzert ihres Landsmanns Tan Dun konnte und musste sie sich voll verausgaben: verhakelte Rhythmen, hauchfein gezupfte Tremoli, Melodielinien knapp jenseits unserer harmonischen Hörgewohnheiten, kollektives Brüllen und Stampfen, um das Adrenalin im Klangkörper auf Trab zu halten. Ein Soundtrack für eine Reise in eine sehr fremde, eigene, faszinierende Welt, in der man sich dennoch sofort zu Hause fühlt. Für Boccherinis „Fandango“ kam Wu Mans Pipa als Gitarren-Ersatz und Stil-Joker erneut ins Spiel, die Kastagnetten wurden vom Klopfen auf die Kontrabässe gedoubelt. Als Bonustrack legten die Ritter aus Brooklyn ihr Bravourstück „Ascending Bird“ nach. Mehr geht nicht an einem Abend.