Hamburg. Trio um amerikanischen Ausnahme-Pianisten bietet dem Publikum in der Elbphilharmonie einen magischen Abend.

Normalerweise zücken Zuschauer ihre Kameras, um schnell ein Bild des jeweiligen Künstlers auf der Bühne zu knipsen. Doch was ist in der Elbphilharmonie schon normal? Der amerikanische Jazz-Pianist Chick Corea jedenfalls wandert erst mal mit seinem Smartphone über die Bühne, fotografiert Publikum und Saal und winkt seinen Fans in den Rängen, bevor er sich an den schwarzen Flügel setzt. „This place is amazing“, sagt er und wirkt tatsächlich überwältigt angesichts der Architektur, aber auch wegen des herzlichen Beifalls, der ihn und seine beiden Mitstreiter Eddie Gomez und Brian ­Blade empfängt.

Blade kennt die Elbphilharmonie schon, er gastierte bereits im März mit dem Wolfgang Muthspiel Quintett in Hamburg, allerdings im kleinen Saal. „Wir haben eine Zeit lang nicht als Trio gespielt und müssen zu Beginn etwas üben und uns einstimmen“, erklärt Corea. Dann spielt er ein paar kurze Phrasen und lässt das Auditorium die Tonfolgen nachsingen. Das klappt vorzüglich und offenbart die beeindruckende Akustik des großen Saales.

Neue Karten, neues Glück

Als Corea dann mit großer Leichtigkeit in die erste Komposition einsteigt, kann der 2000-köpfige Chor nicht mehr folgen, zu komplex und zu rasant ist der Auftakt zu „500 Miles High“. Das Stück stammt aus dem Jahr 1973, als Corea mit seiner Band Return To Forever elektrischen Jazz-Rock gespielt hat. In der Elbphilharmonie verwandelt er die Nummer zurück in einen schnell fließenden akustischen Strom mit verblüffenden Wendungen.

Bassist Eddie Gomez neben ihm greift kräftig in die vier Saiten, legt ein rhythmisches Fundament, aus dem er immer wieder ausbricht. Schlagzeuger Brian Blade hält sich anfangs noch zurück, achtet genau darauf, wohin seine Partner driften und folgt ihnen. Überhaupt herrscht eine enge Kommunikation zwischen diesen drei Virtuosen, die traumwandlerisch sicher aufeinander reagieren. Corea ist in dieser „Trilogy“ Primus inter Pares, oft überlässt er Gomez oder Blade die Führung bei den Kollektivimprovisationen.

Zwei Kompositionen von Bill Evans

Im Programm des Abends spielt das Trio zwei Kompositionen des von Corea verehrten Kollegen Bill Evans (1929– 1980), der als entscheidender Neuerer des Cool Jazz gilt. Gomez hat elf Jahre lang gemeinsam mit diesem Jazz-Impressionisten musiziert und kennt die Stücke „Alice In Wonderland“ und „Waltz For Debbie“ aus dem Effeff. Aber auch Corea besitzt die Gabe, sich in das Tonmaterial hineinzufühlen und mit seiner überragenden Technik so zu phrasieren, wie Evans das konnte. Brian Blade lässt bei „Alice“ die Besen über seine Trommeln rascheln, das Zusammenspiel des Trios wirkt wie ein intensives Gespräch, an dem die Zuschauer teilhaben dürfen.

Auch eine ganz neue Komposition hat Corea mit nach Hamburg gebracht. „A Spanish Song“ hat er das auf einem einfachen Thema aus fünf Noten basierende Stück genannt, ohne dass dieser Titel eine tiefere Bedeutung hätte. „Wenn ich komponiere, fliegen die Notenblätter bei mir so herum und wenn ich keinen Titel drauf schreibe, finde ich sie vielleicht nicht wieder“, erklärt er.

Viele Auftritte in Hamburg

Zwischen jedem Stück plaudert der 75-Jährige mit dem Publikum, sagt die einzelnen Stücke an und macht Witze über seinen Namen: „Ich heiße nicht wirklich Chick, sondern Armando Anthony“, erzählt der schlaksige Pianist, dessen Stern 1968 aufging, als er in der Gruppe von Miles Davis Herbie Hancock ersetzen durfte. Seitdem hat Corea diverse Genres wie Latin, Free Jazz, Jazz-Rock und Klassik ausgelotet. Sehr häufig ist er mit Trios wie jetzt in Hamburg aufgetreten. Vor drei Jahren erschien das Dreifach-Album „Triology“ mit Brian Blade und Christian McBride am Bass. Mit dem 72 Jahre alten Eddie Gomez hat Corea jetzt einen der exzellentesten Bassisten des Jazz in seine Band geholt.

Ein seiner Mutter gewidmeter Tango und Stücke aus dem „Great American Songbook“ gehören ebenfalls zum Repertoire des Abends. Letztere dienen als melodischer Anker für ausufernde Improvisationen, bei denen die drei in höchstem Tempo swingen. Die Musik bekommt etwas Magisches, der Zuschauer spürt, wie Corea, Gomez und Blade zu einem elektrisierenden Höhenflug ansetzen.

„This place is wild“

Nach Ron Carter, Branford Marsalis und John Zorn beschert Chick Corea der Elbphilharmonie bereits das vierte Jazz-Konzert der Weltklasse. Das Haus lockt deutlich mehr Zuschauer an, als sonst zu diesen Auftritten gekommen wären. Nicht alle haben es bis zum Schluss ausgehalten. Sie haben verpasst, wie Corea am Ende eines überragenden Abends Abschiedsfotos des von den Sitzen gesprungenen und laut applaudierenden Publikums macht. „This place is wild“, sagt er.