Hamburg. Das Abendblatt fragt die Menschen in der Stadt, worüber sie sich Gedanken machen. Teil 4: Angela von Samson-Himmelstjerna.

Die schweren Brandschutztüren auf dem Weg vom Behindertenparkplatz in die Kunsthalle, der „Fahrrad-Irrsinn“ rund um die Alster und die oft bürgerferne Stadtentwicklung sind Themen, die Angela von Samson-Himmelstjerna aus Winterhude derzeit beschäftigen. Menschen wie sie kommen in der neuen Abendblatt-Reihe „Was Hamburger bewegt“ zu Wort. Es sind Menschen, die kein politisches Amt bekleiden, keine Interessen von Vereinen, Verbänden oder Berufsständen vertreten, sondern ganz normale Hamburger, die mit ihrem Blick auf das Leben in unserer Stadt zu Wort kommen.

So barrierefrei ist Hamburg

Angela von Samson-Himmelstjerna (69) ist durch eine schwere Multiple Sklerose seit 20 Jahren auf einen Rollator angewiesen. Weitere Strecken bewältigt die frühere PR-Beraterin mit einem E-Scooter oder ihrem Auto, das auf Handbetrieb umgerüstet ist. Die Mutter erwachsener Zwillinge lebt mit ihrem Mann in einer Altbauwohnung in Alsternähe. Will sie diese betreten oder verlassen, ist sie wegen einiger Treppenstufen auf Hilfe angewiesen.

Frau von Samson-Himmelstjerna, was bewegt Sie gerade?

Angela von Samson-Himmelstjerna: Gehbehinderte Menschen, die sich für Kultur interessieren, haben es schwer in Hamburg. Das betrifft Museen, Theater und Konzerthäuser gleichermaßen. Ich habe oft den Eindruck, dass es reicht, wenn die Einrichtungen bei der Gebäudeabnahme ein Behinderten-WC nachweisen können. Wie es dann um die tatsächliche Barrierefreiheit bestellt ist, interessiert später keinen mehr.

Können Sie Beispiele nennen?

Samson-Himmelstjerna: Klar, mehr als genug. Ich gehöre einer privaten Kunstgruppe an und bin häufig unterwegs. Sehr schlimm ist es in der Kunsthalle, wo wir regelmäßig an Führungen teilnehmen. Zum Treffpunkt im Foyer kann ich nicht eigenständig gelangen. Ich brauche immer eine Begleitung: entweder, um mir den Schlagbaum in der hinteren Ecke des Geländes zu öffnen, damit ich vorfahren kann, oder um mir auf dem Weg vom Parkhaus ins Gebäude zu helfen. Denn um von den zwei Behindertenparkplätzen zum Fahrstuhl zu gelangen, muss man zwei schwere Brandschutztüren öffnen. Das gelingt mir nicht, da ich ja auf dem E-Scooter sitze und im Stehen nicht kräftig genug bin.

Wo haben Sie noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen?

Samson-Himmelstjerna: Schlimm sind auch die Kammerspiele. Dort gibt es zwei Riesentreppen, aber keinen Fahrstuhl. Oder die Deichtorhallen. Die Behindertentoilette kann ich nur in Begleitung eines Mitarbeiters erreichen. Über den Lastenfahrstuhl!

Was bedeutet das für Sie?

Samson-Himmelstjerna: Das ist demütigend und ausgrenzend! Was geht es die Mitarbeiter der Deichtorhallen an, wann ich auf Toilette muss? Auch das Ernst-Barlach-Haus im Jenischpark ist nicht behindertenfreundlich. Dort gibt es zwar draußen nur wenige Stufen, aber kein Geländer. Und die Behindertentoilette ist zwar im Erdgeschoss, die Ausstellungsräume aber im Untergeschoss. Man erreicht sie nur über eine schmale Treppe – eine Rampe will man dort aus Versicherungsgründen nicht anlegen.

Was ist mit der Elbphilharmonie?

Samson-Himmelstjerna: Ich konnte bisher noch keine Karte ergattern. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich mich hintraue. Man hört auch von dort nicht viel Positives zu Behindertenfreundlichkeit und Barrierefreiheit.

Dann zurück zu Kunsthalle und Deichtorhallen. Sie sind im Besitz der Stadt. Was müsste diese aus Ihrer Sicht tun?

Samson-Himmelstjerna: Wir haben doch eine Behörde für Gleichstellung und sogar eine Senatskoordinatorin. Die Verantwortlichen sollten sich mal in den Rollstuhl setzen und die Musentempel ihrer Stadt aufsuchen. Dann würden sie sicher merken, wo die Missstände liegen. Es ist ärgerlich, wenn ich als Gehbehinderte durch die Nachlässigkeit anderer meine Eigenständigkeit verliere. Je mehr davon verloren geht, desto wichtiger ist sie nämlich.

Wie selbstständig ist man mit Ihrem Handicap im Alttag?

Samson-Himmelstjerna: Naja, ich bin nicht mehr die Schnellste. Aber ich fahre allein zum Einkaufen, zum Friseur oder zum Arzt. Allerdings brauche ich beim Ein- und Aussteigen Hilfe, um Rollator und E-Scooter zu verstauen oder aufzubauen.

Und wie finden Sie jemanden, der Ihnen hilft?

Samson-Himmelstjerna: Entweder ich rufe vorher an, dass ein Mitarbeiter rauskommt. Oder ich spreche Menschen an, die gerade vorbeigehen.

Und wie reagieren die?

Samson-Himmelstjerna: Überwiegend hilfsbereit. Nur ganz selten kommt es vor, dass jemand so tut, als habe er mich nicht gehört oder bewusst wegschaut.

Was empfinden Sie dann?

Samson-Himmelstjerna: Ich glaube, meistens ist es eher Unsicherheit als mangelnde Hilfsbereitschaft. Aber ich ärgere mich manchmal über das Unverständnis, das Menschen, die nicht ins „gesunde“ Weltbild passen, entgegengebracht wird.

Wann erleben Sie das noch?

Samson-Himmelstjerna: Zum Beispiel, wenn ich mit meinem E-Scooter an der Alster unterwegs bin. Ich fahre normalerweise auf dem Fahrradweg. Manchmal klingeln mich Radfahrer, denen ich zu langsam bin, aus dem Weg. Ich finde das rücksichtslos.

Wie reagieren Sie darauf?

Samson-Himmelstjerna: Ach, Ärger nützt da nicht viel. Ich begegne ihnen mit Höflichkeit und mache Platz. Das beschämt sie. Mich ärgert aber der allgemeine Fahrradirrsinn rund um die Alster.

Meinen Sie damit auch die Pläne der Stadt?

Samson-Himmelstjerna: Ja. Es hat mit der Umgestaltung des Harvestehuder Wegs angefangen – in meinen Augen war das komplett überflüssig. Gerade dort herrschte ein gutes Miteinander von Radfahrern, Fußgängern und Autofahrern. Alle hatten genügend Platz. Jetzt ist dort eine teure Fahrradstraße entstanden, und auch auf der anderen Alsterseite sind gigantische Radwege geplant. Die ermutigen doch nur zum noch schnelleren und rücksichtsloseren Fahren. Generell bin ich dagegen, Radfahrstreifen auf die Fahrbahn zu verlegen, weil das Park- und Haltemöglichkeiten vernichtet und viele Hamburger ärgert. Aber leider entwickelt sich die Stadt mittlerweile in vielen Bereichen am Bürger vorbei.

Wie meinen Sie das?

Samson-Himmelstjerna: Hamburg ist mit seinem vielen Grün und dem Wasser traumhaft schön. Aber die Stadt fängt an, ihre Identität zu verlieren. Es wird zu viel, zu groß und zu wuchtig gebaut. Ob Elbphilharmonie, HafenCity oder die vielen neuen Wohnquartiere – die Architektur ist trotz des vielen Backsteins überall gleichermaßen gesichtslos. Manchmal frage ich mich, wie lange die Hamburger noch stolz auf ihre Stadt sind.

Was könnte man besser machen?

Samson-Himmelstjerna: Man sollte darauf achten, dass Neubauten ihrer Umgebung entsprechen. Es gibt ja die Möglichkeit, historisierend und der Geschichte entsprechend zu bauen. Gute Beispiele gibt es am Harvestehuder Weg und vereinzelt auch an anderen Stellen der Stadt. Ein schlechtes Beispiel ist meiner Meinung nach die Jugendmusikschule am Mittelweg.

Und worüber freuen Sie sich?

Samson-Himmelstjerna: Über die Idee, den Feldstraßenbunker zu begrünen. Und darüber, dass es auch behindertenfreundliche Kulturstätten gibt. Zum Beispiel das Bucerius Kunst Forum und die Musikhalle.