Hamburg. Seine Freiheitsoper „Fidelio“ erlebt ihre Premiere in der Saison 2017/18. Auch beim Ballett spielt der Komponist demnächst eine große Rolle
Wir leben in aufregenden Zeiten. Das Zukunftsweisende und das Bedrohliche, die elbphilharmonische Aufbruchsstimmung und das Entsetzen über die Weltpolitik, all das bildet sich im Programm der Staatsoper für die kommende Saison ab.
Wo es um Freiheit und Menschenrechte geht, ist Beethoven nicht weit. Er sei der Komponist der Stunde, sagte Intendant Georges Delnon bei der Saisonvorstellung. Darauf sind in den vergangenen Jahren schon andere gekommen, eine Staatsoper ist eben ähnlich wendig wie ein Supertanker. Und doch ist es ein Signal, Beethovens einzige Oper „Fidelio“, sein Freiheitsopus schlechthin, neu herauszubringen. Generalmusikdirektor Kent Nagano dirigiert, Delnon führt Regie. Er habe aber nicht vor, sich als neuer Regisseur einzuführen, scherzte der Intendant, sie hätten sich das als einmaliges Projekt in ihrer fünfjährigen Zusammenarbeit vorgenommen.
Sechs Premieren stehen für die Saison auf dem Programm, ein entschiedener Querschnitt durch die Epochen, Stile und Sujets und eine womöglich noch entschiedenere Absage an den Vorrang außerkünstlerischer Kriterien wie der Vermarktbarkeit.
Zur Eröffnung am 16. September bringt der Regie-Altmeister Achim Freyer Wagners „Parsifal“ auf die Bühne, mit Nagano am Pult und einer Sängerbesetzung vom Allerfeinsten. So ist Andreas Schager als Parsifal dabei, Kwangchul Youn als Gurnemanz und Claudia Mahnke als Kundry.
Der Kontrast zur zweiten Produktion könnte schärfer nicht sein: Auf das romantische Repertoireschlachtross folgt die Hamburger Erstaufführung von Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in Patria“, rund 400 Jahre alt. Die Inszenierung von Willy Decker ist eine Übernahme aus Zürich, die Musik vertraut Delnon dem hervorragenden Prager Originalklangensemble Collegium 1704 unter Václav Luks an. Klangvolle Namen auch unter den Gästen, so singt die Altistin Sara Mingardo die Penelope.
Calixto Bieito inszeniert Verdis „Messa da Requiem“
Nach dem „Fidelio“ folgt eine der für den Stil des Hauses typischen genreübergreifenden Produktionen. Ausgerechnet Calixto Bieito, das Enfant terrible unter den Regisseuren, der kürzlich Verdis „Otello“ inszenierte, setzt dessen Requiem in Szene. Spekulationen in alle Richtungen sind erlaubt.
Zwei denkbar unterschiedliche Uraufführungen hat Delnon ins Programm genommen: Jan Dvorak, Jahrgang 1971, hat im Auftrag der Staatsoper den Mythos „Frankenstein“ vertont. Das Stück kommt auf Kampnagel heraus, während Peter Ruzicka, ehedem Intendant des Hauses und als Komponist gewissermaßen zum Inventar gehörend, dem Philosophen Walter Benjamin mit „Benjamin“ ein Denkmal setzt.
Als Extraschmankerl lädt das Haus im März und April zu den „Italienischen Opernwochen“ mit einer für Hamburg ungewöhnlichen Riege von Stars (siehe nebenstehenden Kasten), darunter die Sopranistin Angela Gheorghiu.
Die Opera stabile bleibt das quicklebendige Labor mit Kinderoper, zwei Uraufführungen, der Telemann-Oper „Miriways“ und einer Neuauflage von „Isoldes Abendbrot“.
Dem Leitstern Beethoven verschreibt sich auch das Hamburg Ballett. Intendant John Neumeier plant zur Eröffnung der Ballett-Tage ein Projekt nach dem Muster seiner Mahler-Choreografien. Außer dem Arbeitstitel „Beethoven-Projekt“ verriet er kaum mehr, als dass – wahrscheinlich – Beethovens Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“ erklingt. Als zweite Premiere bringt Neumeier Rudolf Nurejews Deutung des „Don Quixote“ nach dem „Vater des klassischen Balletts“, Marius Petipa. Seine Saison trage gleichsam die Überschrift „Klassiker“, sagte er bei der Programmvorstellung.
„Klassiker“ stellen auch Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester in den Mittelpunkt ihres so einfachen wie intelligenten Konzepts. Schwerpunkt der Saison werden Konzerte, die jeweils einem Komponisten gewidmet sind, darunter Haydn, Strauss, Schubert, Schumann und Mozart. Das schärft bekanntlich die Ohren, und genau darum geht es Nagano: für jeden Komponisten den Klang der Elbphilharmonie ganz neu zu entdecken. „Da wollen wir in die Tiefe gehen“, sagte er. „Wir sind noch in einem Lernprozess.“ Wer die spektakuläre Aufführung von Widmanns „Arche“ zur Eröffnung der Elbphilharmonie erlebt hat, weiß, das kann eine aufregende Reise werden.
Und das liebe Geld? Ein Hauch von Kostenbewusstsein hängt über dem ausgetüftelten Spielplan. Mit der Auslastung ist es so eine Sache. Da konnten sich „Die Zauberflöte“, „Otello“ und „Lulu“ noch so gut verkaufen, der Doppelabend „Senza sangue/Herzog Blaubarts Burg“ riss die Zahlen wieder herunter. Was nichts mit der Qualität zu tun hat. Wie gut, dass das Ballett regelmäßig bei fast sozialistisch anmutenden Zustimmungsquoten liegt.
In die kommende Saison gehe man mit einem geplanten Fehlbetrag von 1,4 Millionen Euro, teilte Ralf Klöter mit, der Detlef Meierjohann als Geschäftsführender Direktor beerben wird. Das entspreche guter betriebswirtschaftlicher Übung.
Zu der Frage, wie lange Delnon und Nagano der Hansestadt noch erhalten bleiben, schwiegen die Beteiligten stille. Ihre Verträge laufen noch drei Jahre. Höchste Zeit für die Stadt, in die Verhandlungen einzusteigen, wenn sie eine Verlängerung will. Die künstlerischen Ideen der beiden reichen jedenfalls, das zeigte dieser Vormittag einmal mehr, über die schnöde Zahl 2018 weit hinaus.
Infos: www.staatsoper-hamburg.de