Hamburg. Eine große Ausstellung in der Sammlung Falckenberg präsentiert Arbeiten der weltbekannten Künstlerin.
Zahlenkolonnen haben die Hamburger Künstlerin Hanne Darboven international bekannt gemacht. Zahlen, streng sortiert nach aufeinanderfolgenden Tagen. Darbovens Vater war Inhaber der Harburger Kaffeefirma J. W. Darboven, die allerdings nicht mit der Kaffeefirma J. J. Darboven zu verwechseln ist. Vor 25 Jahren hatten die Deichtorhallen in Kooperation mit dem Sammler Carl Vogel eine riesige Darboven-Ausstellung geschultert. Nun kommt auf den vier weitläufigen Ebenen, wo die Sammlung Falckenberg in Harburg untergebracht ist, mit der Schau „Hanne Darboven – Gepackte Zeit“ etwas Frisches, Belebendes hinzu.
Das liegt zum einen daran, dass Florentine Gallwas und Nicole Krapat von der Harburger Hanne Darboven Stiftung mittlerweile einen Großteil ihrer Hinterlassenschaften aufgearbeitet haben. Sie waren Teil des Kuratorenteams neben Deichtorhallenchef Dirk Luckow und Goesta Diercks. Zum anderen hat aber auch der Sammler Harald Falckenberg seinerzeit einige Darboven-Werke gekauft. Ebenso übrigens Arbeiten ihrer Künstlerkollegen Lawrence Weiner oder Carl Andre, sie erweitern die große Ausstellung hier sinnvoll.
Arbeit auf den ersten Blick sehr spröde
Nun ist die Arbeit der 2009 gestorbenen Hanne Darboven zunächst nicht sofort zugänglich und auf den ersten Blick sehr spröde. Wer trotzdem bleibt und langsam durch die Ausstellung wandert, der wird die Phoenixhallen am Ende vermutlich angeregt verlassen.
Schon 1966 zog Hanne Darboven nach New York und entwickelte dort über drei Jahre ihre ersten Zeichnungen und Serien. Von 1968 an zeichnete sie systematisch ihre Schreibbilder, Zahlen, Summen und Quersummen, stets versehen mit dem Datum des jeweiligen Tages.
Leben für das Schreiben von Zahlen
So ist die Künstlerin zu einem Menschen geworden, der einen großen Teil seines Lebens dem Schreiben von Zahlenkolonnen und Zahlworten auf Papier gewidmet hat. Und doch ist jedes einzelne Werk mehr als das.
Der ersten Arbeit der Schau beispielsweise, unter der Überschrift „Milieu 80“, hat Hanne Darboven pro Tag ein Foto aus ihrem Atelier hinzugefügt, durch das sie sich täglich bewegte. So wird das abstrakte Tagezählen plötzlich konkret. Noch Persönlicheres eröffnet ein nahes Kabinett, wo eine Auswahl an Briefwechseln mit Carl Andre, Sol LeWitt oder Lawrence Weiner Einblicke in ihr privates (Liebes-)Leben geben. Sie zeigen überdies, wie intensiv damals Fragen der Kunst diskutiert wurden. Auch per Brief. Ihr Freund Lawrence Weiner schickte ihr außerdem später eine Reihe von Postkarten, die hier in einer Vitrine liegen.
Ihre Zahlenkolonnen breiten sich in Falckenbergs oberen Etagen über lange Wände aus, die man im eigenen Rhythmus ablaufen muss. Mit ihnen hat die Künstlerin das Verrinnen der Zeit verbildlicht. Während man als Ausstellungsbesucher an Hanne Darbovens Bildern, Büchern, Filmen und Objekten entlangläuft, denkt man fast zwangsläufig über die Vergänglichkeit des Lebens nach.
Zwei berühmte, ja monumentale Arbeiten sind dort zu erleben; die eine trägt den Titel „Welttheater“ und wurde hier zum ersten Mal vollständig aufgebaut, die andere heißt „Kinder dieser Welt“. Letztere besteht wieder aus Schreibbildern, diesmal auf Packpapier und in Büchern. Darüber hinaus hat Darboven für dieses vielteilige Werk aus den Jahren von 1990 bis 1999 ältere und neuere (Kasperle-)Puppen, Bücher und Spielsachen gekauft und frei im Raum arrangiert, mit denen manch ein Besucher früher selbst gespielt haben wird. Auch auf diese Weise wird die verronnene Zeit plötzlich konkret, sie wird gekoppelt an persönliche Erinnerungen – und an das Jahr 1990 und folgende Jahre, die die politische Landkarte der Welt entscheidend verändert haben.
Musik gleich mehrfach in New York gespielt
Weniger bekannt ist, dass Hanne Darboven auch Komponistin war. Ihre „numerischen Konzepte“, wie sie die Künstlerin selbst nannte, seien „verwandt“ mit musikalischen Themen und arbeiteten wie diese mit Variationen. Darbovens handgeschriebene Noten hängen ebenfalls als Zeichnungen in der Ausstellung.
Der ehemalige Hamburger Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher hatte Hanne Darboven während seiner Hamburg-Zeit einmal in ihrem Atelier besucht. Ihre Musik wird bis heute gespielt, derzeit an verschiedenen Orten in New York und am 29. April auch in der Hamburger Petrikirche. Begleitend zu der Installation „Kinder dieser Welt“ ist darin zudem eines ihrer Bläser-Trios zu hören: Alle Instrumente erklingen synchron, ein Musiker spielt Noten entsprechend vergangener Tage, einer nach Monaten und einer nach Jahren.
Unmerklich wiederkehrende Musik
Es ist ruhige, harmonische, unmerklich wiederkehrende Musik. Lauscht man ihr, führt das auch dazu, dass sich das eigene Zeitempfinden dehnt. Und man sich womöglich fragt: Was ist das eigentlich, die Zeit? Geht es nicht vielmehr, wie Hamlet fragt, um „Sein oder Nichtsein“?
Hanne Darboven, „Gepackte Zeit“ bis 3.9. Sammlung Falckenberg (S Harburg), Wilstorfer Str. 71, jeden ersten Sonntag im Monat von 12.00–17.00, Eintritt 10,-/6,-, oder von Do bis So nach Anmeldung unter www.deichtorhallen.de/buchung, dann Eintritt 15,-/12,-; Ausstellung „Movie Stars“ von Hanne Darboven in der Galerie Renate Kammer, Münzplatz 11, vom 5.3.–1.4., Di–Fr 12.00–18.00, Sa 11.00–15.00; Festkonzert mit Organist Thomas Dahl inSt. Petri (U Rathaus), am Sa, 29.4., 19 Uhr, der Eintrittspreis steht noch nicht fest