Hamburg. Viel Applaus gab es für „Das Haus auf dem Land“, die deutsche Erstaufführung eines Familiendramas.

Die Anspielungen sind eindeutig: Schon die Birken, die Momme Röhrbein für sein Bühnenbild im St. Pauli Theater benutzt hat, weisen auf Anton Tschechow (1860–1904) hin. An den Wänden des geräumigen Landhauses irgendwo in der amerikanischen Provinz hängen sogar Theaterplakate zu „Iwanow“ und zur „Möwe“, zwei von Tschechows bekanntesten Stücken.

Der russische Dramatiker hatte in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts Familiengeschichten aus dem russischen Kleinadel erzählt. Seine ­Figuren sind Träumer und apathische Versager mit einem gestörten Verhältnis zur Realität. Eine ähnliche Personenkonstellation benutzt auch US-Schriftsteller Donald Margulies für sein Stück „Haus auf dem Land“ – nur eben im Nordamerika der Gegenwart.

Eifersüchteleien und offene Ablehnung

Ein Jahr nach dem Krebstod ihrer Tochter Kathy versammelt die alternde Filmdiva Anna Patterson (Judy Winter) ihre engste Familie in ihrem Landhaus um sich. Sohn Eliot (Heikko Deutschmann) und Enkelin Susie (Janina Stopper) sind genauso dort wie Ka­thys Mann Walter (Michael Mendl).

Der allerdings hat seine neue Freundin Nell (Anika Mauer) mitgebracht, was beim Rest der Familie nicht gerade für Beifall sorgt. Außerdem taucht auch Michael Astor (Christian Schmidt) auf, ein erfolgreicher Schauspieler und Freund der Familie, der sich wegen Dreharbeiten zufällig in der Nähe aufhält. Im Laufe der Handlung werden immer mehr Verbindungen zwischen den Figuren offenbart. Es kommen Geheimnisse ans Licht, die zu Eifersüchteleien und offener Ablehnung führen.

Schauspieler zu Recht heftig beklatscht

In dieser Anordnung der Personen nimmt niemand eine zentrale Position ein. Doch Eliot spielt sich in den Mittelpunkt. Er hat sein Leben lang im Schatten seiner berühmten Mutter und seiner erfolgreichen Schwester gestanden. Als Schauspieler ist er gescheitert, nun versucht er sich als Dramatiker und tönt, welch bedeutendes Debüt ihm gelungen sei. Er präsentiert das Stück seiner Familie, lässt es mit verteilten Rollen vorlesen und erlebt ein Fiasko.

Dem Premierenpublikum bleibt die Lesung erspart, es bekommt nur die Reaktion darauf zu sehen, nämlich ­betretenes Schweigen und Kommentare wie: „Da musst du noch ein bisschen was dran tun“ und „geistige Onanie“. Wieder einmal ist Eliot gescheitert.

Opfer ­familiärer Verhältnisse

Heikko Deutschmann spielt diesen etwas verlotterten, sich dauernd am Bauch kratzenden Loser als Opfer ­familiärer Verhältnisse. „Immer war ich der einzige Niemand im Zimmer“, bringt Eliot seine Tragik auf den Punkt.

Nicht nur Deutschmann liefert eine starke schauspielerische Leistung ab. Ihm gelingt es, seiner Figur Konturen zu geben: hin und her gerissen zwischen Aggressivität, Arroganz und Selbstmitleid. Das Gegenteil ist der erfolgreiche Michael Astor, der von allen Frauen verehrt wird.

„Ich bin wie eine Rückblende“

Christian Schmidt spielt ihn als Mann, der auf dem Teppich geblieben ist, der die Avancen der jungen Susie und der alten Anna charmant pariert. Lediglich bei Nell würde er schwach werden. Kein Wunder, denn Anika Mauer spielt ihre Figur als sympathische Frau, die sich um Freundlichkeit allen gegenüber ­bemüht, aber immer wieder schroff in ihre Schranken gewiesen wird.

Auch das Alter thematisiert ­Donald Margulies in seinem Stück. ­Judy Winter kokettiert mit ihrer Vergesslichkeit und ihrer abnehmenden Attraktivität. „Ich bin wie eine Rückblende“, sagt sie, die einmal ein Star war und sich durch den 20 Jahre jüngeren Michael etwas Jugend zurückholen möchte.

Zu viele Handlungsfäden

Auch Walter muss sein Alter kompensieren: mit junger Freundin und Porsche. Mendl spielt ihn als Pragmatiker, der seine Haltungen von einst aufgegeben hat und nun schlicht Filme dreht, um Geld zu verdienen. Die zwei Generationen jüngere Susie, von Janina Stopper unprätentiös gespielt, will wenigstens nicht ins Metier der Schauspielerei wie der Rest ihrer Familie – ein Hoffnungsschimmer.

Margulies’ Stück, von Guntbert Warns als deutsche Erstaufführung ­inszeniert, kommt vor der Pause etwas schwer in Gang, weil zu viele Handlungsfäden gesponnen werden müssen, Im zweiten Teil nimmt es deutlich an Intensität zu. Besonders die Dialoge zwischen Deutschmann und Mendl und Deutschmann und Winter überzeugen. Am Ende wird das großartige Ensemble mit starken Applaus belohnt.

„Haus auf dem Land“ läuft bis zum 5.3., täglich 19.30, sonntags 18.00, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29–30; Karten ab 17,70 in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, und: T. 30 30 98 98