Hamburg. Die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan gibt die Lulu in Christoph Marthalers Inszenierung an der Staatsoper.

Manchmal hat man ja diese eindimensionalen Bilder von Opernsängerinnen im Kopf. Diven-Bilder von Frauen, die singen und bewundert werden wollen. Und am Ende dann den Applaus und ansonsten eher wenig.

Die Kanadierin Barbara Hannigan dagegen will mindestens alles von einem Opernabend, sie wirft sich mit einer körperlichen Präsenz und dramatischer Ausdrucksdichte in ihre Rollen, dass einem um ihre Unversehrtheit angst und bange werden kann.

Als die Sopranistin vor einigen Jahren in München in Andreas Kriegenburgs brillanter Inszenierung von Zimmermanns monströs schweren „Soldaten“ die ­Marie sang und sie diese Marie bis in die Haarspitzen war, wirkte dieser Sog­effekt, eigentlich nur sie sehen und ­hören zu wollen, von ihrem ersten bis zum letzten Ton in den Saal hinein. „Being the music“, die Musik sein, so hat sie einmal ihre Sichtweise aufs Verkörpern definiert.

2012 präsentierte sie ihre erste Lulu

2012 präsentierte Hannigan in Brüssel ihre erste Lulu, und die war „sehr sexy: High Heels, sinnlich, Rockstar, enge Kleider“. Auch auf Spitzenschuhen, die sie Abend für Abend zwar fast umbrachten, aber auf die sie sich auch vorfreute, weil sie so sehr ein konsequent richtiger Teil dieser Lulu waren. Kein Kritiker und keine Kritikerin, die von diesem Aufmerksamkeitsmagnet nicht hingerissen war.

Danach, das war ihre feste Absicht, war aber vorerst wieder Schluss mit ­Lulu auf der Opernbühne. Etliche Anfragen lehnte sie dankend und konsequent ab. Ihre nächste Lulu sollte kein So-etwa-wie-in-Brüssel-Aufguss sein, sondern durch und durch anders, sonst wäre es ja zu einfach. Entweder sang Hannigan deswegen lediglich die „Lulu“-Suite, oder sie sang und dirigierte das Stück.

Denn in den letzten Jahren hat Hannigan diese andere Facette ihres musikalischen Mitteilungsdrangs entdeckt und aufblühen lassen. Sie ist längst nicht mehr nur die aus Kanada, die so toll Zeitgenössisches singt, sie ist ebenso die Interpretin, die sich vor ein Orchester stellt und ihm mit energischer Coolness zeigt, wo es wie langgeht. In anderthalb Jahren wird sie in Göteborg „The Rake’s Progress“ von Strawinsky dirigieren, die erste Oper, in der sie mit 19 mitwirkte. So schließen sich Kreise.

Jetzt aber Hamburg, Staatsoper, Probebühne, Probenende. Ganz anders werde diese Lulu sein, orakelt Hannigan, sie hat „etwas Tierisches, wie ein kleiner Vogel oder ein wildes Tier, ihre Körpersprache ist sehr speziell und das ändert alles.“ Zu sehen sind Teile einer rumpeligen Theaterbühne. „Wir sind so etwas wie eine nicht besonders gute ­Varieté-Truppe voller starker Persönlichkeiten“, beschreibt Hannigan dieses Setting.

Hinreißend widersprüchliche Frau

In wenigen Tagen steht die Premiere an, inszeniert von Christoph Marthaler, der trotz seiner Musikleidenschaft und Repertoire-Kenntnis nur selten einen Opernstoff in sein Auftragsbuch einträgt. Und: „Es ist genau so, wie ich es erhofft hatte“, sagt sie, „wenn nicht besser. Es gibt eine Art Fluss auf der Probebühne, der sehr wichtig ist, um die Ideen am Köcheln zu halten.“

Das Geheimnis dieser ihre Verehrer locker in den Abgrund schleudernden Femme fatale, um die Berg zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der faszinierendsten Opern der Musikgeschichte drapierte? Hannigan hat sie als „unendlich faszinierende, hinreißend widersprüchliche Frau, die sich immer treu bleibt“ beschrieben.

Neugierde auf Neues

Dass diese Charakterzeichnung auch auf Wagners anders gestrickte Brünnhilde passen könnte, mag sie nicht gelten lassen und holt zu einer weiteren Definition ihrer Partie aus: Sie möge, dass Lulu im Reinen mit sich sei, wie sehr sie sich in ihren Worten, in ihrem Körper wohlfühle. „Man muss dieser Körper werden, um sie zu spielen.“ Lulu werde „überlebensgroß, aber nur, weil sie sehr, sehr wahr ist. Sie ist intensiver als ein normaler Operncharakter.“

Und damit genau die Richtige für Hannigan. Nach Hamburg brachte sie auch die Neugierde auf Neues: Marthalers Name stehe seit vielen Jahren auf ihrer Musiktheater-Abenteuerspielplatz-Wunschliste, mit Kent Nagano hat sie unter anderem die Arbeit an George Benjamins „Written on Skin“ in Wien zusammengebracht, eine andere ihrer Markenzeichen-Rollen. Singt sie jetzt nicht mehr, denn alles hat seine Zeit.

Neues Arrangement

Damit so viel wie nur möglich anders ist, haben sich Nagano und Marthaler für einen Dreh entschieden, um zu kompensieren, dass der dritte Akt von Bergs Oper bis auf wenige Partiturseiten und viele Rohlinge unvollendet blieb. Sie nehmen weder den dritten Akt, den Friedrich Cerha aus dem Material konstruierte und auch nicht die originalen Fragmente.

Aus der Tatsache, dass Berg die Arbeit an „Lulu“ für sein Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ einstellte, entwickeln sie durch ein neues Arrangement des Vorliegenden einen anderen musikalischen Zusammenhang. Und auf der Besetzungsliste der Produktion steht sicher nicht zufällig die Geigerin Veronika Eberle.

Unterschiedliche, interessante Richtungen

Da Hannigans Karriereweg sich in zwei ganz unterschiedlich interessante Richtungen gabelt, liegt eine leicht unbeantwortbare Frage nah: Was wäre sie in zehn Jahren lieber – Isolde in Bayreuth oder Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker? Nach kurzem Schmunzeln kommt die gekonnt diplomatische Antwort: „Die Isolde würde ich nie singen, die Antwort also einfach ... Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob ich Chefin der Berliner sein wollen würde.“

Dirigieren werde dann sicher noch prominenter sein, sie werde aber immer noch viel Zeit mit Opern verbringen. „Konzerte nur als Sängerin gebe ich immer weniger. Wenn Konzerte, dann dirigiere ich eher – und wenn Singen, dann eher Oper. Natürlich wird die Stimme weniger elastisch sein“, dann sei sie 55 und vielleicht mehr mit Theater beschäftigt.

„Nur Fünfjahrespläne“

„Ich weiß es einfach nicht. Normalerweise mache ich nur Fünfjahrespläne.“ Eines aber weiß Hannigan schon jetzt: „Mit dem Singen von Lulu werde ich so schnell nicht aufhören.“ Und gegen das Dirigieren der ­gesamten Oper hätte sie auch nichts, im Gegenteil.

Termine: „Lulu“-Premiere am 12.2., 18 Uhr, Staatsoper. Weitere Vorstellungen, danach 15./18./21./24.2., 19.00 Uhr, Karten (6 bis 97 Euro) unter T. 35 68 68. Am 29. Mai tritt Hannigan mit dem Mahler Chamber Orchestra, dirigiert von Teodor Currentzis, im Großen Saal der Elbphilharmonie auf, mit Werken von Xenakis, Vivier und Berio. Das Konzert ist ausverkauft.