Hamburg. Der Bundestagspräsident spricht zum Festivalauftakt über Religion, Politik und Gewalt – und spart als Katholik auch Luther nicht aus.
Eigentlich sollte Bundestagspräsident Norbert Lammert zur Eröffnung der Lessingtage im Thalia Theater über Toleranz sprechen. Allein: „Die Einladung war ehrenhaft, die Zusage gut gemeint. Und zu spät wurde mir klar, dass der Plan, im Geiste Lessings über Toleranz im Kontext von Religionen zu sprechen, unüberlegt war.“ Im Grunde stehe dazu alles in „Nathan der Weise“, in der „Ringparabel“: „Der rechte Ring war nicht erweislich“, es lässt sich nicht sagen, ob Juden, Christen oder Muslime das gottgefälligere Leben führen.
Er redet über Religion, Politik und Gewalt
Aber die Lessingtage 2017 stehen im Kontext des Lutherjahres, und wer an Toleranz denke, muss nicht zwangsweise an Lessing denken, er kann auch an Luther denken. Wer nämlich dessen Pamphlete gegen Juden, Türken, Bauern und Täufer lese, käme zum Schluss, dass Toleranz hier eine zweischneidige Sache sei. „Luther würde schwerlich für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels vorgeschlagen werden“, resümiert der Katholik Lammert mit hintergründiger Ironie und hält stattdessen eine Rede über Religion, Politik und Gewalt. Eine Dreieinigkeit, die nicht erst im 21. Jahrhundert als „schreckliches Bündnis“ auftritt: Für Lammert steht schon zu Beginn der Bibel mit dem Mord von Kain an Abel der Eintritt der Gewalt am Beginn der Menschheitsgeschichte.
Politik muss Gewalt domestizieren
Gar so pessimistisch bleibt der Politiker allerdings nicht. Als wesentliche Aufgabe von Politik und Religion sieht Lammert den Versuch, Gewalt zu domestizieren. Die Religion versuche dies durch Wertevermittlung, die Politik auf der strukturellen Ebene. Gleichwohl: „Beide sind offenkundig nicht durchgängig erfolgreich.“ Die Geschichte ist hier eine Geschichte des Scheiterns, und Kultur ist der Versuch, sich mit diesem dauernden Scheitern zu arrangieren. Womit die Brücke zu den Lessingtagen geschlagen ist, die ja bei aller philosophischen und gesellschaftspolitischen Anbindung immer noch in erster Linie ein Theaterfestival sind.
Lammert ist ein talentierter Redner, der mühelos von Luther auf Habermas kommt und von dort zum islamischen Mystiker Rumi, und der trotz christdemokratischen Parteibuchs politisch argumentiert, ohne parteipolitische Gräben aufzureißen. Zudem schafft es der gebürtige Bochumer, seine Rede ruhrgebietscharmant zu erden, wo die Gefahr pastoraler Abgehobenheit droht. Am Ende kehrt er mit der Rumi-Losung „Man muss sich treffen wollen“ elegant zum Lessingschen Toleranzbegriff zurück – der deutlich weiter gefasst ist, als das lateinische „Tolerantia“, das Luther mit „Tollerantz“ übersetzte und eigentlich nur „Duldung von etwas, das ohnehin nicht zu ändern ist“ bedeutet.
Wenn man allerdings bereit zu einem Treffen ist, wenn man dem Gegenüber in die Augen schaut, dann macht man mehr als zu dulden, dann arbeitet man aktiv an der eigenen Toleranzfähigkeit.
Intolerant sind immer die anderen
Intoleranz sollte man hingegen gegenüber denjenigen üben, die selbst intolerant sind. Wobei auch hier eine Schwierigkeit liegt: „Intoleranz“, so weiß Lammert, „beobachtet man deutlich häufiger bei anderen als bei sich selbst.“