Hamburg. Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ eröffnet die diesjährigen „Lessingtage 2017“ am Thalia Theater.

Bertolt Brechts Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ stellt seit seiner Uraufführung 1941 auf eindringliche Weise die Frage nach Moral und Menschlichkeit in Zeiten des Krieges.

Es erzählt die Geschichte einer Händlerin, die während des Dreißigjährigen Krieges mit wechselnden Truppen durch die Lande zieht und ihnen Waren verkauft. Sie profitiert von dem Schrecken, den der Krieg hervorruft, doch am Ende wird er ihr alles nehmen, wenn nacheinander ihre drei Kinder dem Krieg zum Opfer fallen.

Hochkarätige Gastspiele

Der junge Regisseur Philipp Becker präsentiert sich mit der Premiere, die auch von Paul Dessau seinerzeit geschriebene Lieder und Musiken umfasst, am 27. Januar erstmals am Thalia Theater. Seine Inszenierung der „Mutter Courage“ mit Publikumsliebling Gabriela Maria Schmeide in der Titelrolle eröffnet das diesjährige Thalia-Festival „Um alles in der Welt – Lessingtage 2017“, dessen thematischer Schwerpunkt der 500. Jahrestag der Reformation bildet. Die Gedanken Martin Luthers haben nämlich auch den religiösen Toleranzgedanken Gotthold Ephraim Lessings inspiriert, der seit 2010 Pate für das von Thalia-Intendant Joachim Lux ins Leben gerufene Festival steht. In diesem Jahr sind die Lessingtage auf eine Woche konzentriert (27. Januar bis zum 5. Februar).

Das Programm umfasst Eigenproduktionen und hochkarätige Gastspiele zu Themen wie Krieg, Frieden, Reformation und Rebellion, darunter Schillers „Wallenstein“ (31.1./1.2.) von Regisseur Michael Thalheimer mit Ingo Hülsmann in der Titelrolle, eine aktuelle Auseinandersetzung mit Europa des Hamburger Regisseurs Falk Richter in „Città del Vaticano“ (4./5.2.) und ein Gastspiel mehrerer Gegenwartstexte zum Thema Werte: „10 Gebote“ (4./5.2.) hatte die Hamburger Regisseurin Jette Steckel erst am Sonnabend in Berlin uraufgeführt.

Das Auftaktstück „Mutter Courage“ bleibt auch nach dem Festival im Spielplan.

„Um alles in der Welt – Lessingtage 2017“ 27.1. bis 5.2., Thalia Theater (Alstertor, Gaußstraße und andere Orte), Karten zu 10 bis 52 Euro unter T. 32 81 44 44

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© picture alliance / dpa

Intendant

„Mutter Courage“ ist eine Figur, die ungebremst an sich selbst glaubt und davon überzeugt ist, dass sie unbeschädigt sogar durch einen brutalen Krieg kommen kann. Eine Haltung, die ein schwerer, aber weit verbreiteter Irrtum ist, der zur Zeit politisch wieder in Mode kommt. Der Dreißigjährige Krieg war ein Religionskrieg und hat ganz Europa in Schutt und Asche gelegt. Daran wollen wir erinnern. Wegen des Reformationsjubiläums, aber auch wegen unserer eigenen Gegenwart mit ihren Religionskriegen. Der Regisseur Philipp Becker, der erstmals am Thalia inszeniert, ist keiner von den „neuen Wilden“ , seine Qualität ist eine andere. Wir haben Aufführungen von ihm am belgischen Theater NT Gent gesehen, ohne Schnickschnack, von hoher formaler Dichte und aufs Wesentliche konzentriert. Wir laden immer wieder Regisseure ein, die nicht schon überall unterwegs sind. Ein Risiko? Vielleicht – aber wichtig. Joachim Lux

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© Konrad Fersterer

Bühnenbild

Am Anfang stand die Überlegung, dass der Dreißigjährige Krieg zwei Drittel der Bevölkerung gekostet hat und es 150 Jahre brauchte, um sich von dieser Verwüstung zu erholen. Daraus entstand die Idee, durch Körper und Bewegung den Raum zu formen. Der Regisseur wollte am liebsten 200 oder 300 Menschen auf der Bühne, das geht praktisch leider nicht. Es sind jetzt immerhin mehr als 60, das reicht hier aus für den Eindruck einer Menschenmasse. Die Bühne ist ein Kreis, wo es kein Vorn oder Hinten gibt, keine Richtung. Damals im Kriegstross sind ja Tausende von Menschen durch Europa gezogen. Nicht nur Soldaten, sondern auch Leute wie die Mutter Courage. Der Krieg ist wie ein Heuschreckenschwarm, der sich durch eine Landschaft frisst und eine Leere hinterlässt, in der die Leute sich wieder neu aufstellen müssen. Es geht mir als Bühnenbildnerin auch um einen Moment der Irritation und um den Raum als Gegenspieler. Bettina Pommer

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© f.x.brun

Regisseur

Ich war Feuer und Flamme für die Idee der „Mutter Courage“. In einem nächsten Schritt habe ich überlegt, wie geht man damit um, dass dieses Stück von Brecht so lehrstückhaft und sehr im Zeitkolorit geschrieben ist. Ich habe schnell gemerkt, dass die „Mutter Courage“ ein unglaublich heutiger, authentischer Mensch ist, dem ich mit großer Empathie und zugleich mit großem Schrecken begegne. Wir nehmen das Stück und die Figuren ganz ernst. Die Courage meint ja, in diesem Weltenbrand ein Bewusstsein zu haben, wie das System funktioniert. Sie meint zu agieren und verliert unbarmherzig ihre drei Kinder an diesen Krieg. Ich habe mich früh entschieden, mit einem Chor zu arbeiten. Eine organisierte Masse übt eine Faszination auf mich aus. Wenn die 40 Mitglieder des Altonaer Kammerchores ihre Einzelstimme in den Dienst einer Harmonie stellen, ist das anrührend, pathetisch, aber vielleicht auch erschreckend. Philipp Becker

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© HA | Roland Magunia

Musik/Komposition

Es ist schwierig, wie schon in der „Dreigroschenoper“, Brechts Idee lehrstückhaften Theaters in einer lustvollen Art und Weise zu verhandeln. Lustvoll im Sinne von spannend. So, dass das Publikum eine Spielform gezeigt bekommt und trotzdem Empathie entwickeln kann und die Figuren toll oder anziehend oder abstoßend finden kann. Bei der „Mutter Courage“ spielen wir die von Paul Dessau komponierte Musik eins zu eins und versuchen zu verstehen, was der Komponist damit gemeint hat, und sie entsprechend zu interpretieren. Die Musik ist natürlich im Geist der 1940erJahre gehalten. Obwohl sie tonal und harmonisch gesetzt ist, empfinden Leute, die eher Pop oder Bach hören, sie fast wie Neue Musik. Es gibt Brüche, die den Schrecken des Krieges ausdrücken. Ich habe noch weitere Musik komponiert. Es gibt Chorkompositionen, die einen musikalischen Kontrast zur DessauMusik setzen. Johannes Hofmann

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© Armin Smailovic

Schauspielerin

Die Vorbilder oder Rollenvorgänger habe ich versucht auszublenden. Ich schaue mir während der Probenzeiten nie die Arbeiten von anderen an, weil ich mich nicht beeinflussen lassen möchte. Natürlich hat man bei dem Namen „Mutter Courage“ Helene Weigel, die ehemalige Intendantin des Berliner Ensembles, im Kopf. Ich bin glücklich, dass ich einmal im Leben Mutter Courage spiele, eine riesige, eine tolle Rolle, ich hoffe, ich kann ihr gerecht werden. Es war ganz leicht, Sympathie für sie zu entwickeln. Bei der Erarbeitung der Rolle ahme ich nichts nach oder werfe mich in riesige Geschichtswälzer. Ich schaue einfach, was mein Körper macht, wenn ich die Gedanken im Kopf habe, die diese Frau hat. Ich finde diesen Kampf, den sie führt, total menschlich, total verständlich und trotzdem grausam. Ich bin viel zwischen meiner Wohnung in Eimsbüttel und dem Thalia Theater gelaufen. Diese 50 Minuten sind meine intensive Textlernzeit. Gabriela Maria Schmeide