Hamburg. Der Regisseur Calixto Bieito debütiert mit Verdis Großwerk in Hamburg und inszeniert es als finsteres Kammerspiel.
Schockierend!, das sagt sich so leicht – aber inszeniert sich so brutal schwer. Mit nur einem Klick ist man auf unzähligen Internetseiten direkt am Abgrund menschlichen Seins und Tuns, schon in den Vorabend-TV-Programmen stapeln sich die Krimi-Leichen, als wären es Kekspackungen im Supermarktregal. Angesichts dieser Mengen aus Blut, Schweiß und Tränen muss sich eine Opernregie schon sehr anstrengen, um ernsthaft gegen- und dennoch mithalten zu können.
Für solche Hardcorefälle gäbe Verdis „Otello“ einen prima Stoff her, aus dem die prallen Klischees wären: das klassische Eifersuchtsdrama, kräftig verrührt mit Machtspielchen und Vorurteilen gegenüber dem Fremden, mit Intrigen und Herzensgüte.
Stummes Vorspiel
Doch weil das ja so schön einfach wäre, wählte der immer noch als plumper Bühnen-Berserker verschriene Katalane Calixto Bieito lieber den dezenteren und letztlich klügeren Weg: weg von der Methode „Hau rein, ist Oper“, hin zum klaustrophobischen, beängstigenden Kammerspiel, das mit dosierten Psychose-Andeutungen tiefer geht als mit aufgeschminkten Platzwunden, aus denen nur dekorativ das Theaterblut sprudelt.
Deswegen wohl lässt Bieito seinen „Otello“ auch nicht sofort und kopfüber aufbrausend mit der Gewittermusik beginnen, die den siegreichen venezianischen Feldherrn, am besten noch amtlich veruniformt, zurück auf Zypern empfängt.
Er stellt die Geschichte mit einem stummen Vorspiel lieber in eine kahlgeräumte Hafen-Lager-Ecke. Nur ein riesiger, neidgelber Kran, als Symbol dafür, was ein einzelner – über die Köpfe aller anderen hinweg – an den Schalthebeln mit Macht bewegen kann.
Moral ist höchstens Zufall
Und ein Stacheldrahtzaun mit eingepferchtem Massen-Chor, arme Teufel sie alle, auf den Handflächen einer Gefesselten steht „HELP ME“. Auf der anderen Seite in dunklen Manager-Anzügen, Otello im Smoking: die herrschende Klasse, schön unter sich bleibend. Frau trägt Pelz oder wenigstens Schmuck.
Otello ist hier kein Mohr mehr, um ihn zu verfremden, das wäre zu holzhämmernd pauschal. Doch weil er kein Frühstücksdirektor ist, verfärbt sich das Taschentuch blutrot, mit dem er sich nach gewonnener Schlacht die Hände säubert.
Das Freudenfest nach dem Sieg über den Muselman? Feist verrohte Führungskräfte, die sich neureiche Champagner-Duschen gönnen und zwischendurch einen aus der Menge der Armen an den Kranhaken hängen, weil sie es können. Der Firnis der Demokratie ist hier nur hauchdünn, Moral ist höchstens Zufall. Und irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass Otellos Eifersucht die Giftinjektionen durch den auf der Karriere-Bahn links überholten Jago nicht mehr bräuchte.
Frisch und szenisch packend
Sie geben dieser Ehe, in der Otello seiner Frau stumpf Gewalt antut, nur noch den Rest. Dieser Otello ist schon vorher jenseits von Gut und Böse, die Unterstellungen, mit denen Jago die Reputation von Desdemona ins Bröckeln bringt, wirken flott, ohne Zögern.
Neu ist diese Inszenierung nicht, frisch und szenisch packend ist sie nach wie vor. Als Bieito Hausregisseur am Theater Basel war, hatte dieser „Otello“ dort Ende 2014 Premiere, der damalige Intendant Georges Delnon importierte ihn nun an die Dammtorstraße. Je tiefer Otello hier in seiner Raserei versinkt, desto statischer wird die Geschichte allerdings: Der Kran ist bald so ziemlich das Einzige, was sich zumindest hin und wieder bewegt.
In ihm hat Svetlana Aksenova ihren großen Auftritt, als liebende Gattin, die nach wie vor nicht weiß, warum ihr geschieht, was da geschieht. Glücklicher Nebeneffekt der Vollbremsung: Die Regie lässt der Musik den Vortritt. Wo so wenig im Bild passiert, was Verdi nicht ohnehin dringlicher und plastischer erzählt, bleibt mehr Platz fürs Zuhören.
Mit Paolo Carignani haben die Philharmoniker einen Dirigenten vor sich, der die scharfen Kanten dieser Hochspannungs-Partitur nicht abrundet und verharmlost, sondern sie thrillergleich stehen und wirken lässt.
Marco Berti hatte die Titelpartie erst kurz vor der Premiere als Einspringer übernommen, so könnte zu erklären sein, dass seine Rollendarstellung sich weitestgehend auf betreutes Stehen beschränkte. Viel mehr war bis zum Finale nicht von ihm zu sehen. Dafür aber um so mehr zu hören, denn die Durchschlagskraft seiner Stimmleistung hätte für zwei Otellos gereicht.
Jago von Claudio Sgura eher konfektionsböse
Mit charakterlicher Feinzeichnung jedoch hielt er sich anfangs nicht auf, auf diesem Feld glänzte Aksenova kurz vor ihrem tragischen Ende umso mehr. Der Jago von Claudio Sgura dagegen war eher konfektionsböse. Und so speziell, wie das Elend begann, endet es auch, mit einem Otello, der sich nicht selbst richtet und dennoch stirbt.
Der Schlussbeifall für die singenden und spielenden Teile des Ensembles war groß; als Bieito und sein Team kamen, empfingen ihn auch viele wütende Buh-Rufe. In wenigen Tagen haben Bieito-Interessierte die nächste Gelegenheit, sich ins Finstere mitnehmen zu lassen.
Am Sonntag hat „¡Gesualdo!“ Premiere in der Opera stabile, ein Abend über den Spätrenaissance-Adligen und -Komponisten, der seine Frau und ihren Liebhaber in flagranti ertappte und rasend vor Eifersucht ermordete. Und der als Resultat seiner Trauerarbeit Madrigale hinterließ, die an Schönheit und Komplexität ihresgleichen suchen.
Weitere Termine: 11./14./ 17./20./25. Januar, 7. Februar, 19.00 Uhr, Staatsoper.
Karten (6 bis 97 Euro) unter T. 35 68 68, www.staatsoper-hamburg.de