Hamburg/Wien. Im Sommer bringt der legendäre Sänger das Opernspektakel „Aida“ ins Volksparkstadion. Er wird selbst dirigieren.
Plácido Domingo ist eine lebende Legende. Der spanische Sänger und Dirigent – nach eigenen Angaben 75 Jahre jung – gehört zu den größten Interpreten in der Welt der Oper, die er auch als Direktor der Los Angeles Opera und Gründer des Operalia-Wettbewerbs prägt.
Hier gibt es Karten für „Aida“ im Stadion
Im kommenden Jahr leitet Domingo eine Aufführung von Verdis Oper „Aida“ in einer gigantischen Produktion, die durch mehrere Stadien in Europa tourt und am 4. Juni auch im Hamburger Volksparkstadion zu erleben ist. Wir haben einen ausgeruhten Plácido Domingo in Wien zum Gespräch getroffen. Es wurde eine zugewandte Begegnung mit einem Weltstar, der gute Erinnerungen an Hamburg hat.
Herr Domingo, Sie stehen jetzt seit bald 55 Jahren auf der Bühne und haben während Ihrer Laufbahn über 3800 Vorstellungen gesungen, manchmal zwei Opern an einem Tag – eine unglaubliche Bilanz. Woher nehmen Sie die Energie und Ihre Begeisterung?
Plácido Domingo: Oper ist einfach das schönste Geschenk, das wir haben. Weil sie großartige Musik mit Schauspiel, Tanz und vielen anderen Dingen vereint. Deshalb ist sie für mich die kompletteste Kunstform. Damit sein Leben verbringen zu dürfen, gibt einem große Kraft, da wird man nicht müde!
In früheren Interviews hatten Sie mal betont, dass Sie Ihre Karriere mit 70 Jahren beenden wollen ...
Domingo: Mit solchen Voraussagen muss man wohl vorsichtig sein. (lacht) Im Moment genieße ich es noch sehr und habe Verträge für die nächsten drei Jahre.
Ihre Neugier auf neue Herausforderungen scheint ja auch ungebrochen zu sein. Erst 2015 haben Sie Ihr rekordwürdiges Repertoire von 147 verschiedenen Opernrollen um Verdis Macbeth erweitert. Welches Debüt kommt als nächstes?
Domingo: Im kommenden Jahr werde ich mein 50-jähriges Bühnenjubiläum an der Wiener Staatsoper mit der Partie des Marquis von Posa in Verdis „Don Carlos“ feiern – vor 50 Jahren habe ich dort in demselben Stück mit der Titelrolle angefangen. Das ist natürlich etwas Besonderes.
Der Don Carlos war einer Ihrer größten Erfolge als Tenor, mittlerweile sind Sie ins Baritonfach gewechselt, auch der Marquis von Posa ist ja eine Baritonpartie. Abgesehen davon, dass Sie jetzt in einer tieferen Lage singen – gibt es einen generellen Unterschied im Charakter der Rollen?
Domingo: Ja, den gibt es. Als Tenor ist man meistens der Held. Ein junger Mann, der die Liebe eines Mädchens gewinnt, sei es nun als Dichter, als Maler, König oder Eroberer. Natürlich sind auch viele Tenorpartien vielschichtig, wie etwa der Otello von Verdi. Aber insgesamt sind die Charaktere im Baritonfach schon komplexer und nicht unbedingt immer die „Good Guys“. Das gilt zum Beispiel für den Macbeth, den ich gerade in Wien gesungen habe. Was ich an Verdis Opern besonders liebe, sind die Beziehungen zwischen Vater und Sohn oder Vater und Tochter – wie etwa im „Rigoletto“, in der „Traviata“ oder im „Simon Boccanegra“. Für diese Vaterrollen hat Verdi mit seine beste und schönste Musik geschrieben. Vielleicht gingen ihm diese Situationen persönlich besonders nahe, weil er seine Kinder sehr früh verloren hat.
Sie haben eben den Otello in der gleichnamigen Shakespeare-Oper von Verdi angesprochen, eine wunderbare und sehr anspruchsvolle Tenorpartie. Damit gelang Ihnen der endgültige Durchbruch – und zwar an der Staatsoper in Hamburg ...
Domingo: Daran erinnere ich mich natürlich noch genau. Das war im September 1975 und eine große Herausforderung für mich. Mit 34 Jahren war ich damals ziemlich jung für diese Partie, die meisten Tenöre singen sie etwas später. Damals kamen Journalisten aus aller Welt nach Hamburg, und ich habe natürlich den Druck gespürt, aber ich glaube, dass es wirklich eine tolle Aufführung war – es wurde jedenfalls ein großer Erfolg.
Die Hamburgische Staatsoper hatte schon vorher eine wichtige Rolle in Ihrer Karriere gespielt, oder?
Domingo: Ja, 1966 hatte ich dort mit dem damaligen Intendanten Rolf Liebermann meinen ersten Vertrag für eine Festanstellung an einem der großen europäischen Opernhäuser geschlossen. Im Januar 1967 sang ich den Cavaradossi in Puccinis „Tosca“, das war auch ein ganz entscheidender Moment in meiner Karriere. Es ist zwar schon ziemlich lange her, aber ich werde meine Hamburger Zeit nie vergessen, weil ich sie wirklich sehr genossen habe.
Nach einer längeren Pause – den für 2015 geplanten Auftritt mussten Sie aus privaten Gründen absagen – kehren Sie im kommenden Jahr nach Hamburg zurück. 50 Jahre nach der umjubelten „Tosca“ an der Staatsoper sind Sie als künstlerischer Leiter einer gigantischen Produktion von Verdis „Aida“ im Volksparkstadion zu erleben. Mögen Sie das Projekt kurz beschreiben?
Domingo: Das ist ein großes Abenteuer mit einem gewaltigen Aufwand von über 1000 Mitwirkenden. Ich habe dafür die Sänger, den Regisseur, den Bühnenbildner und die Kostümbildnerin ausgewählt und werde auch selbst dirigieren. Wir haben eine wirklich gute Besetzung mit hervorragenden Sängern zusammen – aber in so einer Riesenproduktion geht es natürlich vor allem ums Spektakel. Es soll Menschen neugierig machen und anziehen, die vielleicht zum ersten Mal eine Oper erleben.
So eine Produktion wäre wahrscheinlich ohne den Erfolg der „Drei Tenöre“ kaum denkbar. Mit Auftritten wie dem Konzert bei der Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien haben Sie und Ihre Kollegen Luciano Pavarotti und José Carreras Maßstäbe für die Verbreitung und Vermarktung klassischer Musik gesetzt.
Domingo: Ich glaube auch, dass das einige Türen geöffnet hat. Wir haben damals viele Briefe von Menschen bekommen, die sich bei uns bedankt haben – weil sie etwas erleben konnten, was sie vorher nicht kannten. Das war schon ein sehr schöner Teil unseres Lebens, das werde ich nie vergessen!
Der Auftritt als Dirigent bei der „Aida“ ist für Sie nichts Neues. Schon 1973, also am Anfang ihrer Weltkarriere als Sänger, haben Sie zum ersten Mal den Taktstock in die Hand genommen; seither stehen Sie regelmäßig am Pult. Was reizt Sie so am Dirigieren?
Domingo: Ich habe schon immer gern in der Partitur geblättert, wenn ich in der Garderobe saß, und mich mit dem ganzen Stück beschäftigt. Deshalb wollte ich gern schon früh auch Aufführungen leiten und nicht damit warten, bis meine Gesangskarriere vorbei ist. Ich glaube, ich kann den Sängern gut helfen und sie unterstützen, weil ich genau weiß, wo die Probleme liegen. Es ist jedenfalls ein großartiges Gefühl, wenn man in die Noten schaut, eine bestimmte Klangvorstellung im Kopf hat, und sie dann im nächsten Moment von den Musikern umgesetzt wird.
Als Sänger, Dirigent und Operndirektor haben Sie eigentlich schon drei Fulltimejobs zur selben Zeit; Sie sind nebenbei außerdem noch als Talentsucher für Ihren Operalia-Wettbewerb im Einsatz und fördern junge Kolleginnen und Kollegen. Bleibt da eigentlich noch Zeit für eine Art Privatleben?
Domingo: Doch, die bleibt schon. Meine Familie unterstützt mich sehr enthusiastisch, von meinen Enkelkindern bis zu meiner Frau, wir verbringen viel Zeit miteinander, und das ist mir natürlich auch wichtig. Allerdings schaffe ich es leider zu selten, die Sportveranstaltungen zu besuchen, die mich interessieren. Formel-1-Rennen zum Beispiel, oder die Spiele von Real Madrid.
Zum Verein Real Madrid haben Sie eine besonders enge Beziehung; Ihren 75. Geburtstag haben Sie mit einem großen Konzert im Bernabéu-Stadion gefeiert. Wird Real in dieser Saison seinen Champions-League-Titel verteidigen?
Domingo: Schwer zu sagen. Viele Mannschaften sind stark, das haben wir ja in der Vorrunde gesehen, auch bei den Spielen gegen Dortmund. Das Finale ist übrigens am 3. Juni in Cardiff. Wenn Real Madrid das Endspiel erreicht, werde ich mir das live anschauen und dann direkt zum Konzert am nächsten Tag nach Hamburg fliegen (lacht).
... ins Volksparkstadion, wo früher ja auch mal eine große Mannschaft gespielt hat ...
Domingo: Das weiß ich natürlich noch, ich habe früher manchmal Spieler im Hotel getroffen und kann mich auch noch erinnern, wie die Fans sie während meiner Hamburger Zeit angefeuert haben (singt): Uuuuwe, Uuuwe!