Hamburg. Pünktlich zur Wahl widmen sich zwei Bücher den USA: Nathan Hills „Geister“ und Tuvia Tenenboms „Allein unter Amerikanern“.

Der deutsche Titel von Nathan Hills kolossal unterhaltsamem Debüt „The Nix“ ist so griffig, so verständlich, so auf den Punkt, dass man gar nicht anders kann, als ihn als Symbolwort für Amerika zu begreifen. Der Roman trägt den Titel „Geister“, und nichts könnte besser beschreiben, was man als Europäer zu sehen glaubt, wenn man auf Amerika schaut: Gespenster überall, Schreckensgestalten, bedrohliche Angreifer auf die Moral und den gesunden Menschenverstand.

Der irre blinkende Leuchtturm der Freiheit streift derzeit vor allem garstige Amerikabilder; Politiker mit Schaum vor dem Mund, Trump-Anhänger mit zornrotem Gesicht, schwarze Männer, von Polizisten erschossen. In „Geister“ – dessen ursprünglicher Titel den in der germanischen Mythologie beheimateten Wassergeist, den „Nix“, meint – sind die Strafverfolgungsbehörden in anderer Hinsicht unerbittlich. Sie verfolgen Faye Anderson-Andresen in Person eines zwangsgestörten, rachsüchtigen Polizisten, der Jahrzehnte später Richter ist und Faye wieder ins Visier nimmt. Allerdings macht diese Frau, die mal Hippie gewesen ist (was als Charakterisierung in vielerlei Hinsicht hinreichend ist), auch allzu deutlich auf sich aufmerksam.

Entdeckungsreise in ein Land voller Widersprüche

Sie verübt nämlich ein Attentat auf einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten, einen konservativ-rigiden Gouverneur namens Sheldon Packer, der an niemand anderen als „The Donald“ und also auch an den Trumpismus erinnert – und der wie jeder andere Politiker die absurden Möglichkeiten der Selbst-PR in der Medienwelt nutzt. Der Angriff wird sofort in eine Steigerung der Popularitätswerte umgemünzt.

Aber was heißt Angriff; es ist doch viel eher ein Attentätchen. Faye wirft ein paar Kieselsteine, das war’s. Aber für eine Hysterie reicht das heutzutage in Amerika, bei uns wahrscheinlich auch. Nathan Hill, Jahrgang 1976, wird bereits mit Jonathan Franzen und Donna Tartt verglichen, John Irving hat ihn zu seinem neuen Lieblingsautoren auserkoren. Vielleicht, weil Hill es versteht, sein 850 Seiten langes Epos mit großem Interesse für die Mentalitätsgeschichte seines Landes zu erzählen, dabei aber nicht die satirische Komponente vergisst. Ganz sicher, weil Hill ein mutiger Arrangeur der Geschichte ist, die er erzählen will, und ein Erzähler, der seine Hauptfiguren plastisch auftreten lässt.

Familienroman und gleichzeitig ein Antifamilienroman

„Geister“ ist ein Familienroman und gleichzeitig ein Antifamilienroman. Letzteres offenbart sich in der Grundidee des Romans, dessen Handlung sich über mehr als ein halbes Jahrhundert erstreckt und der von den europäischen Einwanderern ebenso berichtet wie von den Studentenprotesten Ende der Sechzigerjahre. Die Grundidee also: Faye Anderson-Andresen ist die Mutter Samuel Andersons, eines halb verkorksten Literaturprofessors, der zwei unglückliche Vergangenheiten mit sich herumschleppt. Er hat die Frau nicht bekommen, die die einzige Liebe seines Lebens ist. Und er ist von Faye, seiner Mutter, verlassen worden, als er noch ein Kind war. Nun soll er der Angeklagten durch entlastende Aussagen helfen, er hat sie seit Jahrzehnten nicht gesehen. Allerdings tut er das nicht ohne Weiteres.

Da wäre das Buch, das er als verhinderter Autor seinem Verlag schuldet. Es soll nach Willen seines Literaturagenten die Geschichte seiner Mutter erzählen, weil nichts mehr Quote macht als der Skandal und die Erzählung dahinter.

In seinem weite Bögen schlagenden Roman, der viele Geschichten in einer erzählt, montiert Hill nun die Biografien von Mutter und Sohn nebeneinander. Ihr einstiges Zerrissensein zwischen traditionellen Erwartungen und dem Selbstverwirklichungsimperativ ist seine Melancholie, die aus dem frühen Verlassenwerden resultiert und einer beinah traumatischen Dreiecksgeschichte, die in seiner Jugend spielt. Dysfunktionale Personen sind sie beide.

Nathan Hill:
„Geister“, Piper,
Übers. v. Katrin
Behringer u.
Werner Löcher-Lawrence,
864 S., 25 Euro
Nathan Hill: „Geister“, Piper, Übers. v. Katrin Behringer u. Werner Löcher-Lawrence, 864 S., 25 Euro © Piper Verlag

Mit beiden Figuren und ihren Erlebnissen porträtiert Hill Amerika und das, was es einmal war. Es gibt ein paar unwahrscheinliche Wendungen in „Geister“, die dickste Pointe dagegen sieht man kommen. Sie wird an dieser Stelle nicht verraten und ist jedenfalls keineswegs in der Tatsache zu finden, dass Donald Trump durch diesen Roman schleicht.

Jenen Roman, der sicherlich viel will und dabei Genregrenzen überwindet – eingebaut ist beispielsweise eine klassische Geschichte des Erwachsenwerdens. Die Beobachtung, das für einen Hasardeur wie Trump Politik eben auch ein Spiel ist, kann einem in den Sinn kommen, wenn man die literarisch stärksten Passagen liest. Sie beleuchten die bösen Geister, die Spielsüchtige nicht mehr los werden: Realitätsverlust als schmerzhafte Diagnose.

Wenn in seiner Heimat gewählt wird, ist Nathan Hill übrigens in Deutschland auf Lesereise. In Hamburg liest er morgen. Hoffentlich dreht sich dann alles um das gute Amerika.

Lesung Mi 9.11., 19 Uhr, Amerikazentrum(Bus 6), Am Sandtorkai 48. Anmeldung unter Telefon 70 38 36 88