Frankfurt/Main. Abendblatt-Autor Holger True traf den “Boss“ bei der Buchmesse. Was er erlebte, war selbst für hartgesottene Reporter verblüffend.
Geradezu ehrfurchtsvolle Stille senkt sich über den Konrad-Adenauer-Saal in der Frankfurter Nobelherberge Villa Kennedy. Die Verlagsmitarbeiter sind gesammelt hinter einer Doppeltür verschwunden, zwei Sicherheitsleute haben Aufstellung genommen, jetzt muss er jeden Moment kommen. Bruce Springsteen, der größte Star der Frankfurter Buchmesse, schon Mitte der 70er als „Zukunft des Rock ’n’ Roll“ gefeiert, derzeit aber vor allem der Mann, der dem Heyne Verlag mit seiner Autobiografie „Born To Run“ einen Bestseller beschert hat.
Die stellt er nun in einem „moderierten Pressegespräch“ den etwa 100 Medienvertretern vor, die sich hier versammelt haben. Der Veranstaltungsort wurde erst am Vorabend bekannt gegeben und durfte vorab keinesfalls publiziert werden. Man befürchtete einen Massenauflauf der Springsteen-Anhänger.
Selfie mit dem "Boss"?
„Warst du auch beim Konzert in München?“ – „Ich hab ihn das erste Mal 1980 live gesehen!“ Die Gespräche, die die Wartezeit verkürzen, zeigen: Viele sind an diesem Abend in zweiter Linie Journalisten. Und in erster Linie Fans. Sie haben alte Platten mitgebracht, die der „Boss“ signieren soll, ihre Handy-Akkus bis zur 100-Prozent-Marke aufgeladen, falls sich die Gelegenheit zum Selfie ergeben sollte, und blicken angespannt zur Doppeltür.
Als Springsteen auf die Bühne kommt, darf zwei Minuten lang fotografiert werden – ein Klick- und Blitzgewitter bricht los, das dem 67-Jährigen in Jeans, Hemd und Jackett ein wenig unangenehm zu sein scheint. Andererseits: Er kennt es ja nicht anders. So viele, die ihn treffen, möchten unbedingt ein Foto, eine Erinnerung an die Begegnung mit einem Mann, der für sie eben mehr ist als nur ein Fußballstadien füllender Superstar.
Springsteen schrieb den Soundtrack für das Leben der Fans
Wie er damit zurechtkomme, dass er so vielen Menschen so viel bedeutet, dass einige sagen, er habe den Soundtrack zu ihrem Leben geschrieben, wird er später gefragt. „Well“, sagt Springsteen, „das ist es ja, was ich immer erreichen wollte. Es bedeutet Verantwortung, es ist eine Ehre, aber ich beschäftige mich nicht ständig mit dieser Tatsache.“ Gerade allerdings komme er von Signierstunden in den USA. Kaum mehr als zehn Sekunden habe er da zu jedem Fan Kontakt gehabt, „aber selbst in dieser kurzen Zeit erzählen sie mir vom wichtigsten Ereignis in ihrem Leben“ – an dem Springsteen, so gehen die Geschichten dann, mit einem seiner mehr als 300 Songs beteiligt war.
Springsteen Traum mit Mick Jagger
In der Villa Kennedy sind schon viele Fragen zur Autobiografie gestellt, da greift Springsteen zum Buch und liest. Die Passage, in der er als Jungspund davon träumte, den plötzlich erkrankten Mick Jagger als Sänger der Rolling Stones zu ersetzen, sorgt für Gelächter – auch beim Autor selbst. Der Abschnitt, der davon erzählt, wie er sich nach vielen bitteren Jahren mit seinem Vater aussöhnte, wirkt in ihm sichtbar nach. Er erzählt von seiner Mutter, die an Alzheimer erkrankt ist, berichtet von einer schweren Schreibblockade, die ihn ein Jahr seines Lebens beschäftigt habe, und schwärmt davon, wie viel Energie es ihm gebe, bei Konzerten immer wieder neue, junge Fans in den ersten Reihen zu sehen. Einsilbig wird er nur, wenn die Verehrung dann doch etwas zu groteske Formen annimmt
Ob er den Sinn des Lebens erkannt habe, wird Springsteen gefragt. Er schaut leicht irritiert, lacht dann ein „No!!“ in den Saal. Eine Mischung aus Vaterfigur und bester Freund ist er ja schon, den Dalai Lama kann er nicht auch noch geben. Ebenso wenig, eine weitere Frage, wie den übernächsten US-Präsidenten. Dass Bob Dylan den Literaturnobelpreis bekommt hat, findet er gut. „Was soll ich als Musiker auch anderes sagen. Ich selbst rechne aber erst mal nicht damit.“ Erneutes Lachen.
Ein Pils für den Boss!
Springsteen ist ein Weltstar, aber an diesem Frankfurter Abend wirkt er eher wie ein alter Kumpel, mit dem man an der Bar noch einen Absacker trinkt und in Erinnerungen schwelgt. So ähnlich kommt es dann auch: Beim Empfang des Heyne Verlags schlendert er plötzlich herein, bestellt sich ein Pils und ist so normal, wie man es eben sein kann, wenn 100 Augenpaare auf einen gerichtet sind und selbst gestandene Alt-Redakteure heimlich das Handy zücken, um irgendwie das Fotografierverbot zu umgehen.
Das Sicherheitsteam wirkt leicht nervös, die Damen der Presseabteilung betonen immer wieder: „Er möchte hier nur entspannt reden, nichts signieren“, aber der Boss signalisiert: „Alles gut.“ Und stößt mit den Umstehenden noch mal an. Der Abend ist ja noch jung. Und nur der „Boss“ sagt, wann Schluss ist.