Hamburg. Hells Bells im Volkspark, Samtanzug-Überraschungen: 46.000 Fans bejubeln die Hardrocker. Und einer brachte alle Kritiker zum Schweigen.
Teufelshörner. Überall Teufelshörner. Auf dem Rundbogen der Bühne im Volksparkstadion, auf vielen Köpfen der insgesamt mehr als 46.000 Fans, die an diesem eher nassen Donnerstagabend ins Volksparkstadion gekommen sind. Rot blinken sie in den Stellinger Nachthimmel hinein, rot ist auch die dominierende Farbe, als um 20.36 Uhr das Intro über die riesigen Leinwände läuft: Auf einem fremden Planeten sind Raumfahrer gelandet. Plötzlich eine Eruption, ein Dämon erwacht. Es pulsiert lavaartig, ein feuerrot glühender Brocken mit AC/DC-Logo löst sich und rast – immer schneller, immer schneller – auf die Erde zu. Irgendwo in den Weiten des Weltalls streift er die „Hells Bells“-Glocke, erste Riffs erklingen, dann der Einschlag mit Explosion, Rauch, Feuer – natürlich auf der Volkspark-Bühne.
Tja, klein und bescheiden können andere, bei AC/DC gibt’s von Anfang an mit dem Vorschlaghammer auf die Zwölf. Und mit „Rock Or Bust“ eine der wenigen neueren Nummern als Opener. Ansonsten nämlich wird hier vor allem in der Vergangenheit geschwelgt. Das fängt schon bei der Optik an: Auch mit inzwischen 61 Jahren marschiert Gitarrist Angus Young immer noch im Stechschritt über die Bühne, während er seine einfach unkaputtbaren Riffs in die mal wogende, mal Fäuste reckende, oft unisono kopfnickende Masse feuert. Keine Ahnung, welche Schule er inzwischen zu besuchen vorgibt, aber die legendäre Schuluniform – natürlich mit kurzer Hose – trägt er immer noch. Ein Symbol für das ewige Kind im Manne? Auf jeden Fall für die so kindliche wie ansteckende Begeisterung, die da von der Bühne schwappt. „Hell Ain’t A Bad Place To Be“ singt Axl Rose, die Hölle ist kein so schlechter Ort, da könnte was dran sein – jedenfalls wenn AC/DC den Soundtrack liefert.
Axl Rose ist Live immer noch eine Macht
Überhaupt Axl Rose. Nachdem Sänger Brian Johnson vom Arzt wegen drohender Taubheit die Rote Karte gezeigt bekommen hatte – Stichwort Höllenlärm –, wurde die hauptberufliche Guns-N’-Roses-Rampensau als Ersatz präsentiert. Und was erhob sich da für ein Geheul. Das sei Betrug, AC/DC nur noch eine Mogelpackung tönte es aus Fankreisen, wie könne dieser Mann es wagen undsoweiter undsofort. Für das Wiener Konzert gaben 500 Fans ihr Ticket zurück, auch in Hamburg gab’s einigen Missmut, aber ach, so mancher dürfte sich jetzt ärgern.
Schon als er beim Tourauftakt in Lissabon nach einem Fußbruch noch im Stuhl auf der Bühne sitzen musste, machte old Axl, 54, stimmlich einiges her, inzwischen steht er wieder und hat in Sachen Bühnenausstrahlung nachgezogen. Auch wenn er statt „Paradise City“ jetzt „Back In Black“ , statt „Welcome To The Jungle“ nun „If You Want Blood (You’ve Got It)“ singt: Der Mann, den die meisten schon in der Schublade „Rüstige Frührentner“ abgelegt hatten, ist live immer noch eine Macht und erinnert bisweilen sogar an die ganz große AC/DC-Ikone, den 1980 gestorbenen Bon Scott.
Weit über eine Million Zugriffe haben die von Fans auf YouTube geposteten Wackelhandy-Mitschnitte der ersten Konzerte mit Axl Rose bereits, und begeisterte Kommentare wie „Wo hat der Mann bloß die letzten 20 Jahre gesteckt?“ oder „Wie großartig ist das denn bitte?“ überwiegen längst.
Das Glockenintro von Hells Bells – herrlich!
Natürlich spielt ihm dabei eine Setlist in die Karten, die schlicht das Allerbeste aus mehr als 40 Bandjahren versammelt. Zwar behaupten Kritiker, bei AC/DC klinge ein Song wie der andere, aber die gehen zum Rocken vermutlich in den Keller und reden im Übrigen Unsinn: Lediglich die Zutaten – drei coole Riffs, eine zwingende Melodie – sind stets gleich, das Ergebnis hingegen klingt immer wieder anders. Und klang nie so gut wie auf den ersten sieben Alben, von denen an diesem aufpeitschend lauten Abend die meisten Songs kommen. „Back in Black“, „Thunderstruck“, „Hells Bells“: Man muss gar nichts hören, nur die Songtitel nennen und fühlt sich schon wie im Hardrock-Nirvana. Apropos „Hells Bells“: Da können sich auch St.-Pauli-Fans im HSV-Stadion mal richtig heimisch fühlen, erklingt der Song mit dem donnernd schweren Glockenintro doch seit mehr als 16 Jahren immer dann, wenn am Millerntor die Mannschaften einlaufen. Herrlich!
Ach, es ist ein legendärer Abend, einer mit Spaß ohne Reue – außer man verpulvert in der Euphorie zu viel Geld am Merchandise-Stand (T-Shirts ab 35 Euro!) oder lässt den Bierbecher zu häufig nachfüllen. Ein Abend, der zeigt, dass AC/DC über alle Generationen hinweg funktioniert, an dem der 60plus-Fan mit verwaschenem Uralt-Tourshirt überm Bierbauch neben dem dürren Nachwuchs-Mattenträger mit frisch gebastelter Metalkutte steht. Ein Abend, an dem sich für gut zwei Stunden einfach mal vergessen lässt, dass es auf der Welt noch etwas anderes gibt als die Gute-Laune-Riffs der Australier. Ein Abend der Knalleffekte (Kanonenschüsse!), des Rauchs und der Feuerfontänen. Eine Hardrock-Party, wie sie Hamburg seit 2001 nicht mehr erlebt hat, als AC/DC auf der Trabrennbahn Bahrenfeld spielte. Auch damals war die Bühne mit Teufelshörnern geschmückt. Es gibt eben ein paar Dinge, die ändern sich nie. Wie schön.