Hamburg. Mitreißender als der italienische Dirigent Riccardo Minasi kann man Gluck wahrscheinlich kaum wach rütteln.
Eine riesige, rostbraune Stahlwand füllt die Bühne aus. Als Bild für die starren Gesetze der Götter, die den Menschen beengen. Da wird’s einem gleich klamm in der Brust – nicht zum letzen Mal an diesem Abend.
Ja, es gibt starke Ideen in der sieben Jahre alten Inszenierung von Glucks „Iphigenie auf Tauris“, deren tragische Geschichte Philippe Calvario in endzeitliche Grautöne kleidet. Der Regisseur weiß, was er tut. Doch so richtig zum Ereignis wird die umjubelte Wiederaufnahme an der Staatsoper vor allem durch die Musik: sie berührt den Hörer ganz direkt. Wie innig etwa der Tenor Rainer Trost als Pylade im Angesicht des Todes die Freundschaft zu Oreste beschwört, wie zornesheiß der Bariton Viktor Rud den Selbsthass dieses Oreste hochkochen lässt, das vermittelt einen Eindruck von der emotionalen Dichte des Stücks.
Traumzarte Klänge an den Piano-Stellen
Die expressive Kraft von Glucks Musik belebt den antiken Stoff um Menschenopfer, Muttermord und Mitgefühl, sie spricht die Sprache der Empathie. Manche Momente, wie der hinreißend gesungene Klagechor der Priesterinnen am Ende des zweiten Akts, sind geradezu zum Heulen schön.
Schade, dass sich ausgerechnet die Sopranistin Anna Caterina Antonacci in der Titelpartie nicht auf diese Schlichtheit einlässt. Bei ihrem Staatsoperndebüt durchleidet sie die existenziellen Krisen der Iphigenie zwar mit packender Präsenz, aber auch mit zu viel Druck und Vibrato in den leisen Passagen.
Dabei bräuchte sie doch nur die Einladung anzunehmen. An den Piano-Stellen kommen so traumzarte Klänge aus dem Graben emporgeschwebt, wie man sie äußerst selten hört. Das Orchester wirkt wie ausgewechselt. Und das ist es ja auch: Weil die Philharmoniker derzeit durch Südamerika touren, spielt erstmals das Ensemble Resonanz in der Staatsoper – unter Leitung von Riccardo Minasi, der ebenfalls debütiert und eine unbändige Risiko- und Musizierfreude versprüht. Er reizt das Farbspektrum des Kammerorchesters und den Affektreichtum der Oper bis in die Extreme aus: vom süßen Saitenstreicheln bis zum kriegerischen Lärm von Pauken und Trompeten, deren Akzente er mit beidhändigen Taktstockschlägen in die Luft hämmert.
Der italienische Dirigent hüpft, federt und gestikuliert wie unter Starkstrom, verliert aber nie den organischen Fluss aus dem Blick und formt alle Phrasen stilecht im Duktus der französischen Sprache. Mitreißender als Minasi kann man Gluck wahrscheinlich kaum wach rütteln.
Weitere Aufführungen: 11.,13. und 15.10.