Hamburg. Das Gastspiel des Scala-Orchesters mit Daniil Trifonov und Riccardo Chailly in der Laeiszhalle
Würde das Orchester der Scala, mit Verdi tief in seiner Kollektiv-DNA, dessen Musik nicht allerliebst und makellos aus dem Handgelenk schlenzen, gehörte das Tutti milanese zur Strafe mit zu lange gekochten Pappardelle von der Bühne geprügelt. Deswegen war die zweite Hälfte des Scala-Gastspiels in der Laeiszhalle auch ein erwartbar gelungener Selbstläufer: Die ebenso nette wie harmlose Ballettmusik aus Verdis „Les vêpres siciliennes“ war auf den Punkt al dente, danach erst, sehr kurioses Timing, folgte die Ouvertüre dieser Oper; und als Zugabe Rossinis „Guillaume Tell“-Ouvertüre. All das wurde von Riccardo Chailly bestens, feinforsch und süffig unterhaltsam aufgetischt, mit einer angenehmen Gestensprache, die keine Unklarheit aufkommen ließ.
Überraschender, allerdings auch entschieden kurioser, war der Konzertteil vor der Pause. Italiener, ausgerechnet, die Schumann spielen, diesen so deutschen Gemüts-Rheinländer aus Sachsen mit seinen sonderbar vergrübelten Schwermutsschüben? Eigen, sehr eigen, diese Grenzüberschreitung. Aber da Chailly als Gewandhauskapellmeister in Leipzig lange an der Quelle war und gearbeitet hatte, gelang der Einblick ins derart andere Repertoire erstaunlich gut, konsequent durchdacht und gestaltet. Die „Manfred“-Ouvertüre, eines dieser seltsam irrlichternden Schumann-Unikate, setzte zu Beginn den Tonfall, sehnig und sehnsuchtsvoll.
Chailly ließ den Klavierpart zum wichtigen Teil des Gesamtklangs werden
Und um die Sache mit den sich anziehenden Gegensätzen noch komplexer zu machen, saß Daniil Trifonov am Flügel. Ein Überwältungsvirtuose, weltweit gefeiert, der zuletzt an dieser Stelle mit einem übermächtig aufbrausenden Solo-Abend umgehauen hatte und dessen demnächst erscheinende Einspielung der Liszt-Etüden diese Flughöhe beibehalten kann.
Trifonov also, der Allesverzauberer, und Schumann, der Sinnsucher – es wurde aber dennoch kein Ringen um Form und Haltung, eher eine hochkonzentrierte Dechiffrier-Etüde in gespannter Gelassenheit und mit klar leuchtender Tongestaltung. Trifonov hatte von Anfang an die Ruhe raus. Er ließ sich von den Noten nicht ins Wechselbad von Gefühlen locken wie ein fleißiger Anfänger, sondern wahrte die Contenance, musikalisch wie physisch: kaum eine Regung oberhalb der Handgelenke – die Anspannung und deren Lösung spielte sich einzig in der Musik ab. Als Studie eines Interpreten, der sich klug und cool hinter das Kunstwerk zurückzieht, höchst interessant und fast schon altmodisch, wenn man an die Brause-Virtuosen denkt, die sich mitsamt ihrer Selbstverliebheit beim erstbesten Rubato ins Flügelinnere werfen.
Chailly hielt Trifonov den sprichwörtlichen Rücken dabei frei, stützend, unterstützend, unaufdringlich präsent ließ er den Klavierpart zum wichtigen Teil des Gesamtklangs werden. All das auf höchstem pianistischen Niveau. Erst in der Zugabe, Schumanns Toccata op. 7, ließ Trifonov seinem nach vorn drängenden Spieltrieb freieren Lauf, ohne höflich auf ein Orchester Rücksicht nehmen oder gar warten zu müssen.
CD-Tipp: „Transcendental. Trifonov plays Liszt“ (Deutsche Grammophon 2 CDs, erscheint am 7. 10., ca. 18 Euro)