Hamburg. Kurz vor Festival-Eröffnung spricht Albert Wiederspiel über die Bedeutung der Veranstaltung, das Publikum – und über Geld.

Ein Gespräch mit Albert Wiederspiel sollte man nicht unter zwei Stunden ansetzen. Denn das Interessenspektrum des langjährigen Filmfestchefs reicht von Elbphilharmonie bis Esskultur, von Kulturbehörde bis Kleinkunstbühne. Wenn es dann, pünktlich zur Vorspeise, um seine Lieblingsdisziplin Film geht, ist Wiederspiel ganz in seinem Element. Von Donnerstag an wird er zehn Tage lang Filmteams begrüßen, Reden halten, in geselliger Runde Abendessen servieren (lassen). Von Stress jedoch keine Spur. Wiederspiel schwärmt vom Kino.

Am Wochenende soll es wieder warm und sonnig werden – aus Filmfestsicht wären wahrscheinlich Graupelschauer das bessere Wetter.

Albert Wiederspiel: Das stimmt. Kino ist ein wetterempfindliches Medium. Der Zuschauer entscheidet sich meist spontan für einen Kinobesuch. Ein großer Unterschied zu Konzert- oder Theaterkarten, die man oft im Voraus kauft. Aber unser Vorverkauf läuft erstaunlich gut: Wir haben schon mehr als 9000 Karten verkauft, einige Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Unsere Kinosäle werden also auch bei Temperaturen über 20 Grad nicht leer bleiben.

Sind die Hamburger kinobegeistert?

Für die Zielgruppe trifft das gewiss zu. Der Festivalbesuch ist ja auch nicht billig. Die Kartenpreise liegen bei 9,50 Euro – viel Geld, finde ich. Der Besuch eines Festivals ist ja immer auch ein Wagnis: Der Zuschauer kennt oft den Regisseur nicht, er hat in den meisten Fällen nur ganz wenig über den Film gehört. Das ist etwas anderes als Multiplexkino mit Bruce Willis. Sollten wir im nächsten Jahr bei 10 Euro landen, wäre das nur schwer vertretbar. Aber die hohen Kartenpreise lindern natürlich auch die finanzielle Not des Festivals ein wenig. Ich finde übrigens Kultur in Hamburg grundsätzlich eher teuer.

Was zum Beispiel meinen Sie?

Ich war neulich am Wochenende in der Kunsthalle und musste 14 Euro bezahlen. Unter der Woche kostet der Eintritt nur 12 Euro. Das heißt: Die arbeitende Bevölkerung zahlt also mehr als diejenigen, die es sich leisten können, wochentags Ausstellungen zu besuchen. Finde ich unklug. Bei unserem Publikum merken wir, dass Rabattaktionen wie unsere Zehnerkarten besonders gut angenommen werden. Der Preis, das Geld, spielt also doch eine wesentliche Rolle.

Wie würden Sie das Hamburger Kinopublikum sonst charakterisieren?

Man muss die Zuschauer erobern. Das dauert. Aber hat man es geschafft, sind sie sehr treu. Mit nur einem größeren Programmkino, dem Abaton, sind Hamburgs Kinoliebhaber zudem nicht verwöhnt. In der zweitgrößten Stadt Deutschlands wäre viel mehr möglich. Umso wichtiger ist unser Filmfest. Natürlich für das Publikum, aber auch für die Kinobetreiber. Die können sich dar­über ein neues Publikum erschließen. Auch die ansässige Film- und Fernsehbranche braucht eine Plattform. Nicht zuletzt sind Festivals eine große Chance für die Regisseure. Der Cannes-Gewinner Atom Egoyan hat mir gesagt: „Ohne Festivals würde es mich nicht geben.“

Welche Anstrengungen unternimmt das Filmfest, um junge Zuschauer anzulocken?

Es ist schwierig, Filme zu finden, die die 18-Jährigen interessieren. Für diese Generation bedeutet Kino ein Cinemaxx-Besuch mit parallelem Chatten auf dem Handy. Unser Stammpublikum ist 40 plus: Menschen, die Programmkinos besuchen und die Tageszeitung lesen. In diesem Jahr haben wir das Glück, dass bei Olivier Assayas’ „Personal Shopper“ die zur Zeit extrem angesagte Kristen Stewart die Hauptrolle spielt. Für die werden auch die Jungen ins Kino gehen.

Das Filmfest zeigt ja mit „Amerikanisches Idyll“ erstmals einen US-Film zur Eröffnung. Wir hätten vorab eher auf Fatih Akins „Tschick“ als Eröffnungsfilm getippt ...

Wir freuen uns sehr, dass wir mit „Amerikanisches Idyll“ eröffnen können – umso mehr, weil Ewan McGregor und Jennifer Connelly nach Hamburg kommen. „Tschick“ hätte ich sehr gern gezeigt, auch Fatih Akin wäre gern hier gelaufen – aber der Film musste zwei Wochen vor Festivalbeginn starten. Das ist höhere Verleihpolitik, da bin ich als Festivalchef machtlos. Dann gibt es noch solche Filme, die wir hätten haben können, auf die wir aus Kostengründen verzichten mussten. Das schmerzt sehr.

Wie sieht denn die aktuelle finanzielle Situation des Filmfests aus?

Wir haben deutlich zu wenig Geld zur Verfügung. Das weiß auch die Stadt. Unsere Zuwendung liegt bei 750.000 Euro, nächstes Jahr sind es sogar nur 720.000 Euro. Dabei belaufen sich die Festivalkosten auf mindestens 1,2 Millionen. Das Filmfest München hat die vierfache Summe zur Verfügung. Ich finde nicht, dass es Hamburg gut zu Gesicht stünde, lediglich eine Art Studentenfilmfestival zu haben. Umso glücklicher sind wir über unsere Partner, die uns treu sind – und in diesem Jahr die Commerzbank als neuer Hauptpartner.

Wofür brauchen Sie das Geld?

Um noch mehr gute Filme nach Hamburg zu holen. Um noch mehr Gäste einladen zu können. Wenn das Flugticket eines Regisseurs aus Südamerika 1500 Euro kostet, kann ich mir das beim besten Willen nicht leisten. Zudem haben wir fast null Euro Budget für das Marketing. Wenn wir steigende Besucherzahlen vorlegen wollen, müssen wir auch in Sichtbarkeit investieren.

Der Douglas-Sirk-Preis wird dieses Mal nicht verliehen. Aus finanziellen Gründen?

Nein, das ist unglücklichen Umständen geschuldet. Wir hatten zwei tolle Kandidaten – beide Personalien sind an terminlichen beziehungsweise gesundheitlichen Gründen gescheitert. Im nächsten Jahr soll der Preis wie gewohnt verliehen werden.

Das Hamburger Filmfest ist für seinen politischen Schwerpunkt bekannt. Werden in Zeiten politischer Unruhen eigentlich mehr politische Filme gedreht?

Das beobachte ich so nicht. Wir hatten viele Filme zur Flüchtlingsthematik erwartet – aber es ist entweder zu früh dafür oder es ist bereits eine Art Übersättigung eingetreten. Je komplizierter die Weltlage, umso mehr sehnen die Zuschauer sich nach „normalen“ Filmen. Es ist erstaunlich, wie viele Filme von Familien handeln. Familie steht jetzt als Metapher für die ganze Welt.