Hamburg. Franz Wilhelm Kaiser ist der neue Direktor des Bucerius Kunst Forums und ein unkonventioneller Kopf. Das kann der Zuhörer auch sehen.

Die niederländischen Umzugskisten stehen noch an der Wand, und seine Bücher konnte Franz Wilhelm Kaiser auch noch nicht einsortieren, weil ihm bisher die Zeit fehlte. Viele Gespräche hat der neue Direktor des Bucerius Kunst Forums im ersten Monat an seiner neuen Wirkungsstätte geführt. Mit seiner Frau, der französischen Schriftstellerin, Regisseurin und Operndramaturgin Marie-Noel Rio, wohnt der 58-Jährige inzwischen in St. Georg, wo sie, wenn sie vom Schreiben genug hat, nur aus der Tür zu treten braucht, um sich ein schönes Café zu suchen. Das war ihr Wunsch. Und den erfüllt er ihr gern. Auch noch nach 27 Jahren Ehe, in der die gemeinsame Basis die Gegensätzlichkeiten ausgleicht. Zur Arbeit fährt Kaiser mit der U-Bahn. Er trägt keine Krawatte, sein Jackett legt sich locker um die Schultern, die er mit Schwimmen und Joggen in Form hält.

Die vergangenen 30 Jahre hat der Mann mit dem dreifach kaiserlichen Namen Franz Wilhelm Kaiser in den Niederlanden und in Frankreich verbracht. Als er sieben Jahre alt war, verkündete er seinen Eltern, dass er fortan nur noch Franz heißen wolle, denn „ich will doch nicht, dass meine zukünftige Frau mich Franz Wilhelm nennt!“ Obwohl er also gewissermaßen sowohl vor seinem zweiten Vornamen floh als auch später aus dem Heimatland, ist er nun zurück und hat seine Besucher schon ins Herz geschlossen: „Das Hamburger Bürgertum ist sehr kunstliebend und hat in Zusammenhang damit großes Interesse an philosophischen und soziologischen Fragen. Hier gibt es eine Idee von der Erhabenheit der Kunst.“

In Den Haag, wo er 27 Jahre am Gemeentemuseum beschäftigt war, sei das nicht so gewesen, findet Kaiser. Unter seiner prägenden Mitwirkung als Ausstellungsdirektor hat sich das Haus dort allerdings von einem Anhängsel der Verwaltung mit 75.000 Besuchern im Jahr zu einem bedeutenden, international kooperierenden Museum gemausert, das jährlich rund 500.000 Menschen anlockt und zwischen 30 und 40 Ausstellungen im Jahr realisiert.

Für die Kunst pausierte er sein Studium

Mit dem New Yorker MoMa und der National Gallery in Washington hat Kaiser 1994 eine große Mondrian-Re­trospektive präsentiert, 2015 eine Anton-Corbijn-Ausstellung. Den noch wenig bekannten Teil seines Werkes will er nun nach Hamburg holen. Die letzte große Corbijn-Schau gab es 1997 im Haus der Photographie, auch die Galerie Mohr hat Corbijn bereits gezeigt. Die zentrale Frage von Kaisers Corbijn-Ausstellung soll lauten: Wann wird Fotografie zur Kunst? Franz Wilhelm Kaiser ist jemand, der gern sehr gründlich nachdenkt. Seine Freizeit verbringt er überwiegend mit Lesen und Schreiben.

Bis 1983 studierte Kaiser Kunst und Erziehungswissenschaften in Kassel. Um auf der Documenta 7 zu arbeiten, unterbrach er sein Studium für ein Jahr. Das war 1982 mit Rudi Fuchs, mit dem er nächtelang Bilder umhängte und darüber diskutierte. Neben dem Kurator Kasper König und vielen Künstlern war der Kunsthistoriker Fuchs einer seiner wichtigsten Lehrmeister, der Franz Wilhelm Kaiser in seiner Überzeugung bestätigte, dass man die Leute ermutigen müsse, selbst zu gucken, sich eine eigene Meinung zu bilden. Als Ausstellungsmacher müsse man Fragen und Sichtweisen statt fertiger Antworten anbieten, „das mache ich bis heute so.“

Bei seiner Mark-Rothko-Ausstellung in Den Haag beispielsweise bot Kaiser den Besuchern zwei verschiedene Rundgänge an: Diejenigen, die sich der Kunst Rothkos über ihre transzendentale Kraft nähern wollten, gingen links herum, die, die den Weg des Künstlers in die Abstraktion verstehen wollten, nach rechts. „Ich bin ein Mann der Aufklärung, der etwas verstehen will“, sagt Kaiser. „Aber ich respektiere, dass nicht alle Menschen so sind. Bei Rothko konnten sie wählen zwischen zwei Herangehensweisen.“

Nach dem Studium, als er längst selbst Kunstausstellungen in Grenoble machte, in Frankreichs zweitgrößtem Zentrum für zeitgenössische Kunst, begann Kaiser, sich in eine Fragestellung zu vergraben, die ihn permanent beschäftigte: Die Beziehung zwischen Wirklichkeit und Kunst. Sieben Jahre arbeitete er sich an diesem Thema ab, aus purem Erkenntnishunger. Bis man ihm an der Universität der Stadt Leiden vorschlug, das Ganze als Doktorarbeit einzureichen. Das tat er, und kam auf diese völlig unkonventionelle und absichtslose Weise zu einem Doktortitel.

Lange Zeit hatte Kaiser im Sinne des englischen Grafen Shaftesbury (einem Kunsttheoretiker und Aufklärer) und des Philosophen Immanuel Kant vorausgesetzt, dass Kunst aus und zu interesselosem Wohlgefallen entstünde, ohne Zweck oder Richtung, frei und aus sich selbst heraus. Im Grunde findet er das bis heute ideal und ist deshalb auch dafür, die Schutzräume für die Kunst zu bewahren und zu verteidigen.

Kunst braucht ihren Elfenbeinturm

Dass sich bei den Künstlern seiner eigenen Generation so etwas wie ein kultureller Wandel vollzogen hatte, das ernüchterte ihn gründlich: „Ich be­obachtete, dass es plötzlich nicht mehr um Inhalte ging, sondern ums Geldverdienen. Darum, was man mit Kunst erreichen kann. Da begann ich, mich zu langweilen und zeitgenössische Kunst nur noch selektiv zu zeigen.“ Er leistete sich Ausstellungen mit dem bildenden Künstler Jürgen Partenheimer oder dem Maler Emil Schumacher. Flops an der Kasse, aber inhaltlich spannend.

Seine Skepsis gegenüber jeglichen Versuchen, Kunst zu instrumentalisieren, ist geblieben. Die Kunst müsse autonom sein, und sie brauche ihren Elfenbeinturm, ihr Museum, sonst sei die Gefahr groß, dass sie zu Investment verkomme oder einfach verschwinde.

In die Riege der Kunstmarkt-Hasser will sich Kaiser dennoch nicht einreihen. Sein wichtigstes Projekt für das Bucerius Kunst Forum: „Die Erfindung des Kunstmarktes im 17. Jahrhundert.“ Damals, im Goldenen Zeitalter, hatte das zu Wohlstand gekommene holländische Bürgertum die Kunst in jeder Hinsicht vorangebracht, durch neue Motive, eine andere Mal- und Zeichenweise, neue Stilrichtungen. Seine guten Kontakte in die Niederlande werden Franz Wilhelm Kaiser sicher dabei helfen, wichtige Leihgaben zu ergattern.