Hamburg. Dank der Unterstützung des Mäzens Michael Otto und weiterer Spender erhält das Museum für Kunst und Gewerbe sein Herzstück zurück.

Wer den historischen Grundriss des 1877 eröffneten Museums für Kunst und Gewerbe (MKG) betrachtet, findet im Zentrum der Vierflügelanlage einen großen Raum. Auf der Zeichnung ist er mit einem rätselhaften T gekennzeichnet. Aus der Legende wird ersichtlich, dass T für „Turnhalle“ steht. Das klingt merkwürdig, denn warum sollte im Museum geturnt werden? Die Erklärung ergibt sich aus der Geschichte: Ursprünglich musste sich das MKG das Gebäude mit mehreren Schulen teilen, unter anderem auch mit einer Realschule, die die Turnhalle für den Sportunterricht genutzt hat.

Seit der Nachkriegszeit existierte der Raum nicht mehr, da man damals eine Zwischendecke einzog, ein zeittypischer, aber keineswegs glücklicher Eingriff in die historische Bausubstanz. Ab Anfang Juli werden die Besucher im Gebäude am Steintorplatz die „Turnhalle“ nun wieder vorfinden, denn im Zuge der baulichen Entwicklung und inhaltlichen Neuausrichtung des Museums wurde der zentrale Raum in der Mittelachse in den letzten Monaten in seinen ursprünglichen Dimensionen wiederhergestellt.

Ursprünglich wurde das Haus auch als Schule genutzt

Mit einer Spende von 500.000 Euro hat das Unternehmer-Ehepaar Michael und Christl Otto das Rückbauprojekt ermöglicht, der Bund steuerte aus seinem Denkmalschutz-Sonderprogramm 300.000 Euro bei, die Stiftung Denkmalpflege Hamburg beteiligte sich mit 200.000 Euro. Bei dem Projekt orientierte sich das Architektenbüro Kleffel Papay Warncke am historischen Bestand. Vor allem ging es darum, die großzügige Bogenarchitektur wieder zur Geltung zu bringen.

Aber wozu braucht ein Museum eine Turnhalle? MKG-Direktorin Sabine Schulze antwortet schmunzelnd: „Natürlich wird hier nicht wieder geturnt, der Name bezieht sich nur auf die ursprüngliche Funktion des Raumes, die aber schon unter Justus Brinckmann beendet wurde.“ Tatsächlich war es dem Gründungsdirektor des MKG mit einer geschickten Verdrängungsstrategie Ende des 19. Jahrhunderts gelungen, die Schulen nach und nach aus dem Haus zu bekommen. Nachdem 1908 die Realschule ausgezogen war, ließ Brinck­mann deren Turnhalle in einen großzügigen Ausstellungssaal umgestalten, der schon aufgrund seiner zentralen Lage zum Herzstück des Museums wurde. 1910 war der Umbau vollendet, und dieser Zustand bildet auch den Ausgangspunkt für das jetzige Projekt.

Das MKG orientiert sich neu

Dabei ist die Rückgewinnung des historischen Raums Teil einer umfassenderen Neuorientierung des Museums, die schon vor Jahren unter dem früheren Direktor Wilhelm Hornbostel begonnen hatte und jetzt weitgehend abgeschlossen ist. „Es geht darum, spätere Einbauten zu beseitigen und das Haus wieder zu öffnen, sowohl baulich, als auch inhaltlich“, sagt Sabine Schulze, die in diesem Zusammenhang auf zwei wichtige Etappen verweist: das 2009 wieder freigelegte Westportal, das von Einbauten und Vermauerungen befreit wurde und das Haus wieder Richtung City öffnet – auch wenn es aus Kostengründen nur nach dem jeweiligen Bedarf als Zugang genutzt wird.

Die zweite wichtige Etappe war 2010 das zentrale Hauptfoyer auf der Ostseite, bei dem ebenfalls Zwischenwände und Einbauten entfernt sowie Wand- und Deckenmalereien rekons­truiert wurde. Seither präsentiert sich das Haus mit einem lichtdurchfluteten Entree, dem sich ein neu gewonnener Sonderausstellungsraum (nach Süden) und die Buchhandlung König als Museumsshop (nach Norden) hin anschließt.

Wenn die Besucher das Entree durchquert hatten, konnten sie über das elegante Treppenhaus zwar die obere Etage erreichen, wurden aber an der Mittelachse gewissermaßen ausgebremst. Statt eines großzügigen Ausstellungssaals erreichten sie treppab oder treppauf zwei niedrige Räume, die für Sonderausstellungen (unten) oder die Präsentation der Porzellan- und Fayence-Abteilung genutzt wurden. Das passte nicht mehr in das modernisierte Konzept des Museums, das seine Sammlungen nicht mehr nach Materialien ordnet, sondern jeweils in einen inhaltlichen und kulturgeschichtlichen Kontext stellt, wie sich etwa an den neu gestalteten Abteilungen zu den Weltreligionen deutlich wird.

Das Projekt stieß nicht nur auf Gegenliebe

„Um die dringend nötige Neupräsentation unserer Sammlungen finanzieren zu können, haben wir uns seit Jahren um Saalpaten bemüht, also um Persönlichkeiten, die sich für jeweils einen bestimmten Raum materiell engagieren“, erzählt Sabine Schulze, die von der großen positiven Resonanz vieler Stifter und Mäzene begeistert ist. Als sich auch Christl und Michael Otto nach einer Saalpatenschaft erkundigten, erzählte die Direktorin ihnen von der „Turnhalle“ und den enormen Möglichkeiten, die die Rekonstruktion dieses zentralen Raumes eröffnen würde.

„Eigentlich hatten wir uns ja einen kleineren Saal vorgestellt, aber als wir die historischen Fotos der ehemaligen Turnhalle sahen, waren meine Frau und ich von dem Projekt sofort angetan“, sagt Michael Otto dem Abendblatt: „Wichtig ist uns zweierlei: Einmal wird es den Besuchern durch die Rückgewinnung des Saales deutlich leichter fallen, sich künftig im Haus zu orientieren. Und zum anderen erhält das Museum einen zentralen Raum, der sich sowohl für Sonderausstellungen als auch für Veranstaltungen, Konzerte und sogar für Empfänge eignet, zumal er sich auch nach außen öffnen lässt, sodass man auf die Terrasse treten kann.“

Zunächst war das Projekt allerdings auch auf Skepsis und Gegnerschaft gestoßen. Vor allem die Freunde der bisherigen Porzellanabteilung wandten sich vehement dagegen. Doch nachdem die Porzellan- und Fayencen-Sammlung in anderen inhaltlichen Zusammenhängen an verschiedenen Stellen des Hauses neu präsentiert wird, sind die Proteste weitgehend verstummt. Und spätestens, wenn der wiedergewonnene Raum seine Qualität als Ausstellungssaal unter Beweis stellt, sollten auch die einstigen Gegner versöhnt sein.

Die Turnhalle beeindruckt

Das historische Foto, das Sabine Schulze dem Ehepaar Otto Ende 2014 gezeigt hatte, stammt von 1911. Zu sehen ist eine Ausstellung mit Werken von Carl Otto Czeschka und Richard Luksch, die hervorragend zur Geltung kommen. Wer die rekonstruierte Turnhalle künftig betritt, wird diesen Raum mit seiner beeindruckenden Wirkung wiedererkennen. Prägend ist vor allem die Helligkeit und die Weite des Saales, der durch seine Bogenarchitektur gegliedert wird und eine besondere Spannung erhält.

Zum Auftakt wird hier übrigens doch wieder geturnt, zumindest im übertragenen Sinn. Denn die erste Ausstellung, die ab 2. September hier zu sehen ist, widmet sich unter dem Titel „sports / no sports“ dem Wechselspiel von Mode und Sportbekleidung. Bis dahin bleibt der Saal erst einmal leer, was den Besuchern die vielleicht nie wiederkehrende Chance bietet, die reine Architektur auf sich wirken zu lassen.