Hamburg. Die renommierte Regisseurin Birgit Scherzer löst den Gründer und jahrzehntelangen Intendanten Uwe Deeken ab.
In Würde abzutreten, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die das Leben bereithält. So mancher verpasst den rechten Zeitpunkt, nicht selten schließt sich daran unter den Augen der Öffentlichkeit eine wahre Agonie an. Uwe Deeken, 74 Jahre alt und eine Hamburger Institution, geht erhobenen Hauptes. Sozusagen durch den Vordereingang des kleinen, feinen Allee Theaters, das er einst ins Leben rief und bewunderungswürdig durch die Fährnisse des örtlichen Kulturlebens und besonders der Förderungspolitik gelenkt hat.
Bei der Pressekonferenz in dem Haus an der Max-Brauer-Allee trat die Vorstellung des Programms für die kommende Saison beinahe in den Hintergrund gegenüber der grundlegenden Neuigkeit, die der Wechsel in der Leitung bedeutet. Deeken hatte schließlich keinen der üblichen Zwei- oder Dreijahresverträge. Seit 48 Jahren stand er dem Theater vor. Seinem Theater. Seine Nachfolgerin Birgit Scherzer, 61, wird also erst die zweite Leiterin in fünf Jahrzehnten.
Scherzers Berufung geschah unter sanftem Druck der Kulturbehörde
„Ich glaube, wir haben einen guten Griff gemacht“, sagt Deeken, „nicht nur für das Theater, sondern auch für Hamburg.“ Seit drei Jahren arbeiten er und seine Frau Barbara Hass, die das Theater als Dramaturgin und Kostümbildnerin künstlerisch maßgeblich mitgeprägt hat, mit Scherzer zusammen. Die Entscheidung, die renommierte Choreografin und Regisseurin am Allee Theater zu installieren, geschah unter sanftem Druck, wie Deeken freimütig gesteht; die Kulturbehörde hatte die weitere Zuwendung von Fördermitteln von einer Nachfolgelösung abhängig gemacht.
Ein Blick auf Scherzers Vita empfiehlt sie als erfahrene Theaterfrau. Ausgebildete Tänzerin, hat sie früh auch als Choreografin gearbeitet. Ihre Regielaufbahn begann sie als Assistentin der berühmten Ruth Berghaus. Als Regisseurin hat sie allein in Berlin, wo sie wohnt, an der Staatsoper Unter den Linden, an der Komischen Oper und an der Berliner Volksbühne gearbeitet, zudem hatte sie mehrere Engagements im Ausland. Professorin an der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“ ist sie auch. Nur Intendantin ist sie noch nicht gewesen.
„Ich kann mir ein Leben ohne Theater nicht mehr vorstellen“, sagt Scherzer. „Aber unter dem Dach des Allee Theaters das Theater für Kinder und die Hamburger Kammeroper zusammenzuführen, das ist eine neue Herausforderung für mich.“
Dabei steht ihr Marius Adam als Stellvertreter und Künstlerischer Betriebsdirektor zur Seite. Seit geraumer Zeit der Bariton vom Dienst, hat sich Adam schon in der Vergangenheit für entlegeneres Repertoire eingesetzt und zur Realisierung von Vorhaben wie der gefeierten Oper „Lauter Verrückte“ von Johann Simon Mayr beigetragen. Für die kaufmännische Seite zeichnet künftig Ralph Ertel verantwortlich.
Die juristische Neustrukturierung im Verhältnis zwischen den beiden Theatern und der Gastronomie dürften das Publikum weniger interessieren als die Neuerungen im Programm. Es trägt bereits Scherzers Handschrift. Allein für die Kammeroper stehen sechs Premieren auf dem Spielplan. Bei näherem Hinsehen sind es zwar nur fünf Neuproduktionen – die Saison eröffnet mit Mathias Husmanns Erfolgsstück „Verdi und die Dame mit Noten“ aus der vorvergangenen Saison –, doch das sind noch drei mehr als bislang üblich.
Viel Belcanto steht auf dem Spielplan. Es gibt eine konzertante „Anna Bolena“ von Donizetti; die weibliche Hauptpartie in Bellinis „Romeo und Julia“ (Regie: Ini Gerath) und Verdis „Luisa Miller“ übernimmt die Sopranistin Luminita Andrei, derzeit die Kronprinzessin unter all den Sängern, die über die Jahre erste Opernerfahrung auf der winzigen Barockbühne gesammelt haben. Scherzer selbst führt bei dem Stück Regie, wie auch bei dem Doppelabend mit den Einaktern „Das Medium“ von Peter Maxell Davies und „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ von Michael Nyman. Und rechtzeitig zum Jahresende gibt es einen weiteren Doppelabend mit der Barockoper „Pimpinone“ und „Dinner for One“, einer musikalischen Satire nach Lauri Wylie.
Als Kinderopern werden „Der kleine Mozart“ und „Die Schneekönigin“ neu produziert. Bei „Die Arche Noah“ von Annegret Ritzel werden die Opernsänger mit Flüchtlingen auf der Bühne stehen. Die Produktion soll nicht nur in der Max-Brauer-Allee gezeigt werden, sondern auch in Stadtteilzentren und Schulen. Und im Repertoire laufen die Familienmusicals „Kleiner Dodo, was spielst du?“, „Lupinchen und Robert“ und „Der Froschkönig“ weiter.
Uwe Deeken und seine Frau bleiben dem Theater verbunden
Mehr Neuproduktionen, neue Formate, all das kostet. Mehr Geld von der Kulturbehörde gibt’s aber nicht. Die Zuschüsse bleiben bei 485.000 Euro für das Theater für Kinder und 130.000 Euro für die Kammeroper. Den restlichen Batzen sollen Sponsoren einbringen und, nicht zu vergessen, der Kartenverkauf. Es soll mehr Vorstellungen geben. Seit es einen Webshop gibt, seien für das Theater für Kinder die Verkaufszahlen gestiegen, heißt es.
Uwe Deeken und seine Frau sind dem Alltagsgeschäft künftig enthoben. Als Alleingesellschafter der Trägergesellschaft bleibt Deeken dem Theater wirtschaftlich dennoch verbunden. „Ich bin der Kulturbehörde dankbar, dass sie mich rausgeschubst hat“, sagt er. „In Zukunft haben meine Frau und ich mehr Zeit füreinander.“ Und, wie sollte es bei Überzeugungstätern wie dem Ehepaar Hass-Deeken anders sein, für neue Projekte. Auf dem Landgut in den Abruzzen, das sie in 30 Jahren hergerichtet haben, gibt es nicht nur Oliven und Wein zu ernten, die beiden haben schon Pläne musikalischer Art.
In Hamburg haben die beiden regelmäßig Besuch von den Enkeltöchtern. Deeken schwärmt vom Vorlesen, gemeinsamem Essen und Spielen. Und dann fällt doch wieder das magische Wort Theater. „Wir werden endlich mal zu Premieren gehen! Wir konnten die Einladungen bisher nur selten wahrnehmen.“